Biennale Venedig 2017: Die 57. Internationale Kunstausstellung
Noch bis 26. November 2017 tobt in Venedig die Kunstbiennale. Die Kuratorin der 57. Esposizione Internazionale d’Arte, Christine Macel, stellt ihre Schau unter das Label „Viva Arte Viva“. Der Goldene Löwe für den besten nationalen Beitrag geht an den deutschen Pavillon. Den Preis als bester Künstler sammelt Franz Erhard Walther ein.
Nachdem vor zwei Jahren die verlängerte Spielzeit der Biennale zu einem Besucherrekord geführt hat – über 500.000 sollen es gewesen sein – hatte der Stiftungsrat der venezianischen Kunstschau 2017 erneut auf einen frühen Beginn gesetzt. Bereits seit 13. Mai sind die Zentralausstellung, die Ausstellungen in den Pavillons („Partecipazioni nazionali“) und die Nebenausstellungen („Eventi collaterali“) geöffnet und machen zusammen die weltweit größte Anhäufung in Sachen Gegenwartskunst.
Die zehn besten nationalen Pavillons:
Fäuste, Follies, Trolle
Die Top 10: Deutschland, Großbritannien, die USA, Finnland, Rumänien, Mexiko, Südafrika, Italien, Libanon und Island – Ein Rundgang durch die besten Pavillons der 57. Internationalen Kunstausstellung in Venedig.
Anne Imhofs „Faust“ im deutschen Pavillon:
„Wissen, wann wir die Faust erheben müssen“
Anne Imhof richtet für ihre ergreifende Performance „Faust“ den deutschen Pavillon der Biennale di Venezia zu und entwirft dabei eine sinnliche Enzyklopädie der Möglichkeiten unter den Bedingungen totalitärer Öffentlichkeit. Eine Inaugenscheinnahme der Performance von Anne Imhof.
Die sechs besten Nebenausstellungen:
Das Boot ist leck, der Käpt’n hat gelogen
Kluge/Demand/Viebrock, Tehching Hsieh, Shirin Neshat, Ryszard Winiarski, Philip Guston und junge Kunst auf der Shortlist des Future Generation Art Prize: Sechs Empfehlungen in Sachen Nebenausstellungen der Biennale Venedig 2017.
Die Pavillons der Schweiz, Österreichs und Deutschlands
Deutscher Pavillon, Anne Imhof. 57. Esposizione Internazionale d’Arte – La Biennale di Venezia, Viva Arte Viva. Foto: Francesco Galli, Courtesy: La Biennale di Venezia.
Der deutsche Pavillon, ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen als bester nationaler Beitrag 2017, wird von der Performance- und Multimediakünstlerin Anne Imhof mit einer mehrstündigen Performance („Faust“) bespielt. Die Jury der Biennale befand, das sei „eine mächtige und verstörende Installation, die dringliche Fragen zu unserer Zeit stelle. Sie treibt den Zuschauer in einen Zustand der Beklemmung.“
Die Österreicher setzen unterdessen in ihrem Pavillon auf Prominenz und schicken Kunst von zwei Staatspreisträgerinnen ins Rennen. Brigitte Kowanz hat ihre Licht- und Raumkunst mitgebracht und teilt sich die Räumlichkeiten mit dem wahrscheinlich witzigsten, ganz sicher aber erfolgreichsten Gegenwartskünstler Österreichs: Erwin Wurm.
Die schweizerische Ausstellung unter dem Titel „Women of Venice“ umkreist einen großen Abwesenden: Alberto Giacometti. Der hatte sich zeitlebens einer Präsentation seiner Werke im Schweizer Pavillon verweigert, aus Skepsis gegenüber nationaler Vereinnahmung. Das Künstlerpaar Teresa Hubbard und Alexander Birchler nähert sich in seiner Filminstallation der amerikanischen Bildhauerin Flora Mayo, die in jungen Jahren Giacomettis Geliebte war, und Carol Bove nimmt Giacomettis Figurenkonstellationen als Ausgangspunkt für ihre Skulpturen und Installationen.
Die Goldenen Löwen
Franz Erhard Walther, Various works, 1975-1986, mixed materials. 57. Esposizione Internazionale d’Arte – La Biennale di Venezia, Viva Arte Viva. Foto: Andrea Avezzù, Courtesy: La Biennale di Venezia.
Neben dem Goldenen Löwen für den deutschen Pavillon mit Anne Imhof (*1978) wurde auf der Eröffnungsfeier der Biennale 2017 ein Goldener Löwe an den Konzept- und Stoffkünstler Franz Erhard Walther (*1939) als bestem Künstler der Zentralausstellung ausgeteilt – „für seine Arbeit, die Form, Farbe, Stoffe, Skulptur und Performance zusammen bringt und fortfährt, den Betrachter in einnehmender Weise anzusprechen; für die radikale und komplexe Natur seines Werks, das unsere Zeit beeinflusst und einen Lebensstil im Übergang anregt“, so die Jury.
Den Silbernen Löwen als vielversprechendster junger Künstler nimmt unterdessen Hassan Khan (*1975) mit nach Hause. Dessen Arbeit schaffe eine „besondere und intime Beziehung zum Zuschauer“, „dem er eine Verbindung von Stimme, Klang und Horizont nahelegt. Seine Komopsition für einen öffentlichen Park schafft eine immersive Erfahrung, in der wunderschön das Politische und Poetische ineinander greifen“.
Mit besonderer Erwähnung wurden zudem geehrt der amerikanische Videokünstler Charles Atlas (*1949) und Petrit Halilaj (*1986) sowie der Pavillon Brasiliens mit der Installation „Chão de caça“ von Cinthia Marcelle (*1974).
Mit einem Goldenen Löwen für das Lebenswerk wurde – wie schon im Vorfeld bekannt gegeben – die amerikanische Künstlerin Carolee Schneemann ausgezeichnet (*1939 in Fox Chase, PA). Die „Pionierin feministischer Performance“ sei „eine der bedeutendsten Figuren in der Entwicklung der Performance und Body Art“, erklärte Macel.
Goldene und silberne Löwen werden erst seit 1986 auf der Kunstbiennale von Venedig verliehen, übernommen von der Kinobiennale, wo es die Löwen schon seit 1949 gibt.
Auf der letzten Biennale, 2015, ging ein Goldener Löwe für den besten nationalen Beitrag an den Pavillon Armeniens, die Auszeichnung als bester Künstler der Zentralausstellung an die amerikanische Konzeptkünstlerin Adrian Piper.
Mit einem Goldenen Löwen für das Lebenswerk wurde der westafrikanische Künster El Anatsui versehen, und die Kuratorin Susanne Ghez sammelte einen Sonderlöwen ein für ihre Verdienste um die Gegenwartskunst. Den Silbernen Löwen als vielversprechendste junge Künstlerin nahm die koreanische Videomacherin Im Heung-Soon (*1969) mit nach Hause.
Viva Arte Viva
Zur Kuratorin der 57. Esposizione Internazionale d’Arte ist Christine Macel berufen. Die Französin arbeitet seit dem Jahr 2000 als Chefkuratorin am Pariser Centre Pompidou und leitet dort die Sektion der zeitgenössischen und jungen Kunst. Auch Biennaleerfahrung bringt Macel mit, 2007 war sie verantwortlich für den belgischen Pavillon (mit Arbeiten von Eric Duyckaerts), 2013 für den französischen Pavillon (mit einer Multimediainstallation von Anri Sala) und 2011 schließlich war sie Mitglied der Jury der Biennale.
Macels Konzept für die Zentralausstellung, im Herbst 2016 in Venedig vorgestellt, ist von etwas verblüffender Schlichtheit. Die unter das Label Viva Arte Viva gestellte Schau werde „mit den Künstlern, von den Künstlern und für die Künstler“ entworfen, erklärt Macel. Jedenfalls werde „Viva Arte Viva die Künstler in den Vordergrund stellen und ihnen die Möglichkeit geben sich auszudrücken“, die „Rolle, die Stimme und die Verantwortung des Künstlers“ seien von entscheidender Bedeutung in den Debatten der Gegenwart, die Ausstellung ziele darauf ab, „einen Pfad hin zu einem Neo-Humanismus zu erschließen“ usw.
Etwas puschig muten dann auch die Projekte an, die die Zentralausstellung begleiten sollen. Einmal die Woche sei „der Künstler und sein Publikum“ zu einer Tavola Aperta eingeladen, einem gemeinsamen Lunch mit Dialog über die künstlerische Praxis. Und die Künstler seien aufgefordert, Listen ihrer Lieblingsbücher zu präsentieren, Unpacking My Library ist dieses Projekt betitelt, in Anlehnung an Walter Benjamins Rede über das Büchersammeln Ich packe meine Bibliothek aus von 1931.
Nun ja. Man kann recht sicher sein, dass die Kunstauswahl von Macel deutlich stärker ist als der konzeptionelle Rahmen.
Die Künstlerinnen der Zentralausstellung
Alicja Kwade, Pars pro Toto, 2017, natural stone, sound, dimensions variable. 57. Esposizione Internazionale d’Arte – La Biennale di Venezia, Viva Arte Viva. Foto: Italo Rondinella, Courtesy: La Biennale di Venezia.
Arbeiten von 120 Künstlerinnen (33%), Künstlern (62%), Duos und Kollektiven sind von Macel für die Zentralausstellung versprochen. Mit dabei sind eine Reihe von prominent etablierten Kunstschaffenden wie Kader Attia, Olafur Eliasson, Alicja Kwade, Ernesto Neto, Gabriel Orozco, Philippe Parreno, Anri Sala, Kiki Smith und Franz Erhard Walther. Auch der 2012 verstorbene Franz West ist mit Werken vertreten.
Daneben gibt es eine ganze Reihe von am internationalen Kunstmarkt noch nicht wirklich etablierten Künstlern wie dem dänischen Performer Søren Engsted, dem italienischen Installationskünstler Michele Ciacciofera, der mexikanischen Bildhauerin Cynthia Gutiérrez oder der chinesische Malerin Firenze Lai.
Die jüngsten gelisteten Künstlerinnen sind das philippinische Duo Katherine Nuñez und Issay Rodriguez (*1992/*1991), die älteste lebende Künstlerin, die in der Zentralausstellung mitspielen wird, ist die amerikanische Choreographin Anna Halprin (*1920).
Und, wenn wir gerade bei Äußerlichkeiten sind: Als ersten Wohn- und Arbeitsort geben 16 eingeladene Künstler Berlin an, 12 Paris, 11 New York, 6 London und nur einer Köln – der Videokünstler Peter Miller.
Die gesamte Liste der Ausgestellten ist einsehbar auf der Webseite der Biennale: Artists.
Rückblick
Die Biennale von Venedig geht heuer ins 122. Jahr. Seit 1895 findet die Internationale Kunstausstellung im Zweijahresrhythmus statt (vor allem kriegsbedingt fiel die Kunstschau in einigen Jahren aus).
Rückblick: Die erste Biennale von Venedig 1895
Ia Esposizione Internazionale d’Arte di Venezia
Im April 1895 eröffnet die 1. Internationale Kunstausstellung der Biennale von Venedig. Sie ist ein Publikumsrenner, zeigt ein Skandalbild, zieht prominente Kunstkäufer an. Der Anfang von mehr als 120 Jahren Geschichte der Biennale. [mehr]
57. Esposizione Internazionale d’Arte. La Biennale di Venezia. Viva Arte Viva. K: Christine Macel. Venedig, 13. Mai – 26. November 2017.
[Veröffentlicht: 31.12.2016]
[Update: 07.02.2017, Künstler der Zentralausstellung]
[Update: 08.02.2017, Details zu nationalen Pavillons]
[Update: 01.04.2017, Hinweis auf Nebenausstellungen]
[Update: 15.04.2017, Goldener Löwe fürs Lebenswerk an Carolee Schneemann]
[Update: 13.05.2017, Goldene und Silberne Löwen]
[Update: 01.06.2017, Link auf Die sechs besten Nebenausstellungen]
[Update: 03.06.2017, Link auf Die zehn besten nationalen Pavillons]