Thresholds im deutschen Pavillon – Biennale Venedig 2024
Weit diesseits der Wahrnehmungsschwelle
Unter dem Gesamttitel „Thresholds“ (Schwellen) zeigt der deutsche Pavillon auf der Biennale Venedig 2024 an zwei Standorten Arbeiten von Yael Bartana und Ersan Mondtag (Giardini) sowie fünf Stücke Klangkunst (auf La Certosa).
Deutscher Pavillon. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia. Ersan Mondtag, Monument eines unbekannten Menschen, 2024. Installationsansicht (außen). Foto: Andrea Rossetti @andrea_rossetti_archive.
Das Portal des deutschen Pavillons ist heuer verschüttet. Es heißt, Erde aus Zentralanatolien sei das, vermischt mit Abraum aus den Giardini. Das macht den Auftakt zur stärksten Arbeit in der deutschen Vertretung bei der Venedigbiennale 2024: Ersan Mondtags (*1987 in Westberlin) Monument eines unbekannten Menschen.
Drinnen im Hauptraum ist ein, im Querschnitt tropfen- oder auch tränenförmiges, von außen etwas abweisend gestaltetes, dreigeschössiges Binnengebäude errichtet.
Unten hat es eine kleine Museumssimulation mit den Überresten eines Lebens: Rentnerausweis, Lottoschein, ein Zettel mit Telefonnummern, ein Arbeitszeugnis, eine Ehrenurkunde für die 25-jährige „verdienstvolle Tätigkeit“ für die Firma Eternit.
An der Wand ist einer der Verkaufsschlager der Firma ausgestellt, unbrennbare Blumenkästen, nicht ganz billig, 140 DM sagt das Preisschild.
Deutscher Pavillon. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia. Ersan Mondtag, Monument eines unbekannten Menschen, 2024. Installationsansicht. Foto: Andrea Rossetti @andrea_rossetti_archive.
Vom unbekannten Menschen
An der gegenüberliegenden Wand erzählen DIN A4 Blätter vom unbekannten Menschen, Hasan Aygün, geboren 1940, 1968 nach Deutschland gegangen, als „Gastarbeiter“, wie man das damals nannte, zweischichtig tätig im Werk an der Köpenicker Straße in Rudow.
Die Verrentung hat er nicht lange überlebt:
Du arbeitest, du arbeitest. Du bist im Ruhestand. Du denkst, jetzt hast du es bequem, jetzt kannst du dich ausruhen. Dann kommt eine Krankheit. Er hat nicht lange gelebt.
Albert Ostermeier hat ein Gedicht beigesteuert, requiem für einen asbestarbeiter, das den Leitlyriker Goethe aufhebt:
[…] in allen wipfeln spürte er / nicht kaum einen hauch / sondern dort an den / öfen den tödlichen staub / das geschenk das wir / dem gast gaben dem / wanderer die nacht.
Deutscher Pavillon. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia. Ersan Mondtag, Monument eines unbekannten Menschen, 2024. Installationsansicht. Foto: Matteo de Mayda. Courtesy: La Biennale di Venezia.
Anbei ist eine Werkstube eingerichtet, auf der Bank steht die Büste des unbekannten Menschen. Alles ist hier von einem dichten Staub bedeckt, der für den Asbeststaub liegt, und auch die Luft ist schwer von aufgewirbeltem Staub.
3ZKB
Im 1. Obergeschoss hat es eine Wohnung, 3ZKB, sehr beengte Verhältnisse, das Bad hat die grünen Kacheln und das Sockelwaschbecken der 1970er Jahre. Auch hier ist alles von Mengen schmutzigweißen Staubs überzogen. Da nützt auch der im Schlafzimmer bereitstehende Vorwerk-Sauger nichts mehr (ein Kobold VK120, wenn ich recht sehe).
Von Zeit zu Zeit sind ein:e oder mehrere Performer:innen in der Wohnung unterwegs, staubverschmiert bewegen sie sich wie Schlafwandler:innen oder auch Geister im einer aufgelassenen Wohnung. Sie machen Alltag, Tisch decken, Tisch abräumen, Fernsehgucken, kurz ein Tanz zur Musik aus dem Fernsehen, dann warten, ruhen, bis das Telefon schellt und die Todesnachricht kommt. Der Theatermacher Mondtag weiß, wie man das sehr wirkungsvoll inszeniert.
Deutscher Pavillon. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia. Ersan Mondtag, Monument eines unbekannten Menschen, 2024. Performanceansicht. Foto: Thomas Aurin.
Zwischen Küchenzeile und Wohnzimmer ist eine Durchreiche, wie man sie auch in den Plattenbauten der DDR kennt. Auf dem Bücherregal des Kinderzimmers finden sich u.a. Brigitte Reimanns Franziska Linkerhand, 1974 in zensierter Fassung in der DDR erschienen, und dann Karl Mickels Lyrikband Eisenzeit, 1975 im Mitteldeutschen Verlag herausgebracht, die Brechtbiografie der Schumachers, 1978 bei Henschel in Ostberlin veröffentlicht.
Mondtag macht Parallelen zweier Milieus geltend: Die Gastarbeiterfamilie in der BRD oder Westberlin und die Arbeiterfamilie in der DDR. Da gebe es „weder eine Anerkennung noch eine Würdigung für diese Menschen, für deren Biografien“ [Interview Deutschlandfunk Kultur, 19. April 2024].
Ganz oben ist eine Art Dachterasse, man kann durch die Fenster des Pavillons ins Grüne schauen, sogar etwas hinüber zur Lagune, und man atmet zunächst ein wenig auf. Aber hier läuft ein Zweikanalvideo: Ein Mann (Frank Büttner) schaufelt sein Grab im Grünen.
„Licht der Völker“ (Jesaja 42,6)
Deutscher Pavillon. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia. Yael Bartana, Light To The Nations – Generation Ship, 2024. 3D Model. Installationsansicht Pavillon. Courtesy the Artist and LAS Art Foundation. Foto: Andrea Rossetti @andrea_rossetti_archive.
Vermutlich ist Abhauen die beste Option. Den größeren Rest des deutschen Pavillons in den Giardini bespielt Yael Bartana (*1970 in Afula) mit einer postapokalyptischen Fluchtfantasie als mehrteilige Multimediainstallation: Light to the Nations.
Gleich links vom Eingang gibt es ein, sehr eindrucksvoll in Szene gesetztes Großmodell eines Mehrgenerationen-Raumschiffs im Maßstab von – ich schätze mal – 1:5000. Immerhin 32 km lang sei das Vehikel gedacht, entnehme ich dem Booklet, das der deutsche Pavillon für 2 Euro vertickt.
Das Layout des Schiffs basiert mit seinen zehn Sphären, so lernt man später, auf dem Sephiroth-Diagramm der Kabbala mit seinen zehn göttlichen Emanationen, die in der mystischen Tradition des Judentums die Struktur der Schöpfung fassen: die Krone, Weisheit, Verstand, Güte, Stärke, Ewigkeit, Pracht, die Basis, das Reich. Im Zentrum aber steht die Schönheit.
Hinten im südöstlichen Seitenraum des Pavillons führt ein 21 min. langes CGI-Video, projiziert auf eine Kuppel, durch die Habitate des Raumschiffs.
Farewell
Deutscher Pavillon. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia. Yael Bartana, Farewell, 2024 as part of Light To The Nations, 2022-2024. Einkanal-Video, 15:20 Minuten. Installationsansicht Pavillon. Foto: Andrea Rossetti @andrea_rossetti_archive.
Dazwischen, in die Apsis im Hauptsaal des Hauses, hat Bartana ein monumentales Display setzen lassen: Das Einkanalvideo samt heftiger Soundinstallation, Farewell, kann man als Abschiedsritual für die Raumfahrer:innen nehmen. Tänzer:innen obliegen einem Ausdruckstanz, der an Vorbildern der 1920er Jahre geschult sein mag. Mit Fackelträger in Heldenpose wird aber auch mit der Naziästhetik des Pavillonbaus gespielt.
Also am besten Abhauen. Aber man kann wegen der mystischen und eschatologischen Überladung dieser Weltraumsaga und ihrer messianischen Rhetorik ins Nachdenken kommen, ob es wirklich so clever wäre, Überreste der Menschheit auf die Reise zu schicken. Sie würden doch nur weitere Welten aufbrauchen, falls sie sich nicht unterwegs schon zerfleischen.
Unfassbar laut
Und man kann sicher darüber streiten, ob es eine gute Entscheidung war, die zwei Positionen in einem Pavillon zu vereinen. Manchem immerhin scheint das eine produktive Konstellation zu sein. Bertanas Stück und Mondtags Stück „erschließen sich irgendwie gegenseitig“, meint etwa Jackson Arn, der Chefkritiker des New Yorker.
Ich sehe da eher eine unvermittelte Konkurrenz zweier an sich mehr (Mondtag) oder weniger (Bartana) starken Positionen. Das könnte auch daran liegen, dass es hier unfassbar laut ist, mit wummernden und teils klirrenden Bässen, die jeden klaren Gedanken vertreiben und einen im „Irgendwie“ zurücklassen.
Das ist gewiss kein Alleinstellungsmerkmal des deutschen Auftritts. Der belgische Pavillon z.B. schafft es noch lauter zu sein. Und optischer Lärm ist auf der Biennale ohnehin endemisch (und in diesem Jahr besonders virulent).
Zum Glück gibt es einen zweiten Standort der deutschen Niederlassung, auf La Certosa.
La Certosa
Also, wenn man genug hat vom deutschen Pavillon in den Giardini, überhaupt vom Lärm in den Pavillons, den wummernden Bässen, all den monumentalen zig-Kanal-Videoinstallationen, und, je nach Tagesform, den Besucherströmen, dann sei der Ausflug nach La Certosa sehr ans Herz gelegt. Mit dem Vaporetto der Linea 4.1 ist man von der Haltestelle Giardini Biennale (B) in knapp zehn Minuten da.
Die Insel hat – neben einer Marina – eine Menge Grün, ein wenig Wäldchen, Überbleibsel von Kloster- und Militäranlagen. Augustiner, dann Kartäuser haben hier vom späten 12. bis frühen 19. Jahrhundert gewest, dann kam Napoleon und die militärische Nutzung des Geländes. Heute wird die Insel nach und nach revitalisiert.
Vor zwei Jahren, 2022, hatte ein, allerdings sehr umstrittener Biennaleauftritt Namibias hier seine Spielfläche, jetzt eben der zweite Teil der Thresholds mit fünf Stücken Klangkunst.
Schwellen und ein Feld
Deutscher Pavillon. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia. Louis Chude-Sokei, Thresholds, 2024. Installationsansicht, La Certosa. Foto: Andrea Rossetti @andrea_rossetti_archive.
Gleich auf dem Steg, der von der Haltestelle auf die Insel führt, ist eine Dreikanal-Soundinstallation mit einem Kurzessay von Louis Chude-Sokei (*1967 in Enugu) zu hören: Thresholds umkreist die Bedeutung von Türschwellen als „physische Marker des Übergangs“ und als Element migrantischer Erfahrung:
Für die Menschen aber, die infolge der Migration gelähmt oder ängstlich sind, sind Türöffnungen Falten in Raum und Zeit, eine Zwischenstation für diejenigen, die wissen, wie leicht es ist, zu verschwinden oder nie und niemals anzukommen.
Ein paar Schritte weiter hat Robert Lippok (*1966 in Ostberlin) mit zwölf Tieftonlautsprechern ein Feld markiert, in dem in Gestalt eines elektroakustischen Feldversuchs, „die Gegenwart als Schwelle zwischen Vergangenheit und Zukunft fühlbar“ gemacht werden soll. Nun ja.
Akustische Erkundungen des Raums
Deutscher Pavillon. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia. Jan St. Werner, Volumes Inverted, 2024. Installationsansicht, La Certosa. Foto: Andrea Rossetti @andrea_rossetti_archive.
Die am leichtesten zugängliche Arbeit auf der Insel ist wohl Jan St. Werners (* 1969 in Nürnberg) Installation Volumes inverted. Zwei Lautsprecherinstrumente, die als rotierende Klangquellen ins Zentrum einer Kartauseruine bzw. in fixer Ausrichtung nahebei auf einem Pfahl im Wasser montiert sind. Sie werfen Folgen hochfrequenter Töne in den Inselraum. Das geht von recht gefälligen Folgen bis zu unangenehmem, anhaltendem Pfeifen. Wenn der Wind entsprechend steht, ist der Sound noch auf dem Anleger zu hören.
Weiter den Inselweg hinunter hat Nicole L’Huillier (*1985 in Santiago de Chile) ihre Installation Encuentros untergebracht. „Elastische Membranmikrofone aus Silikon und piezoelektrische Sensoren“ nehmen die Geräusche der Insel als nichtmenschliche Beobachter auf, und eine Klangmaschine gibt sie in transformierter Form wieder. Als ich vor Ort war, gab es nur ein von Knacklauten durchsetztes Brummen zu hören, nicht unähnlich einem gestörten Radioempfang. Aber das mag in den Defiziten des menschlichen Beobachters begründet sein.
Michael Akstaller (*1992) schließlich hat für Scattered by the trees zwei Trichterlautsprecher auf einen Mast montiert, die Signale zu den umstehenden Bäumen senden. Die Anordnung versteht sich als Erkundung der Rolle von Bäumen bei der Ausbreitung von bestimmten Frequenzen und als Versuch, die akustische Architektur des Waldes erfahrbar zu machen.
Deutscher Pavillon. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia. Michael Akstaller: Scattered by the Trees, 2024. Installationsansicht, La Certosa. Foto: Andrea Rossetti @andrea_rossetti_archive.
Hinweis
Am inselseitigen Kopf des Stegs gibt es einen „Info Point“ mit einem Lageplan der Arbeiten. Der Besuch der Insel lohnt übrigens auch, wenn man mit den Installationen eher wenig anfangen kann. Jenseits der Marina und auf dem Weg zwischen den Installationen ist die Insel meist annähernd menschenleer, das macht abseits des Biennaletrubels jedenfalls einen sehr erholsamen Spaziergang.
Deutscher Pavillon. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, 2024. K: Çagla Ilk. Venedig, Giardini della Biennale / La Certosa, 20. April bis 24. November 2024.