Biennale Venedig 2022: 59. Internationale Kunstausstellung
„Die Milch der Träume“
Noch bis 27. November 2022 tobt in Venedig die Kunstbiennale. Die künstlerische Direktorin der 59. Esposizione Internazionale d’Arte, Cecilia Alemani, stellt ihre Schau unter das Label „Il latte dei sogni“.
Etwas früher im Jahr als in den letzten Auflagen, bereits am 23. April, eröffnete heuer die Kunstbiennale in Venedig. Die Zentralausstellung, die Ausstellungen in den nationalen Pavillons („Partecipazioni nazionali“), die Nebenausstellungen („Eventi collaterali“) und die inoffiziellen Parallelausstellungen machen zusammen die weltweit größte Anhäufung in Sachen Gegenwartskunst. Die Biennale 2019 registrierte über 593.000 Besucher.
Als künstlerische Direktorin der 59. Esposizione Internazionale d’Arte und Kuratorin der Zentralausstellung wurde Cecilia Alemani engagiert. Die 1977 in Mailand geborene Kulturwissenschaftlern arbeitet seit 2011 in New York als Chefkuratorin der High Line Art mit Kunst im öffentlichen Raum. Für die Venedigbiennale 2017 organisierte sie den italienischen Pavillon („Il mondo magico“) – es war dort der stärkste Auftritt Italiens seit langen Jahren. Die Zentralausstellung im Arsenale und dem Padiglione Centrale hat Alemani unter das Label „Il latte dei sogni“ (Die Milch der Träume) gestellt.
Partecipazioni nazionali
Wichtiger als die Zentralausstellung sind für den Charakter der Biennale indes die nationalen Ausstellungen. In den festen Pavillons der Giardini, in den Hallen der ehemaligen Schiffswerft (Arsenale) und in Locations verteilt über die ganze Stadt verschaffen sie einen vielfältigen Einblick in das gegenwärtige Kunstmachen weltweit.
79 nationale Beiträge sind dieses Jahr vor Ort. Das sind etwas weniger als bei den vorherigen Biennalen. Das erste Mal dabei sind Kamerun, Namibia, Nepal, Oman und Uganda.
Die besten nationalen Pavillons
Ein Rundgang
Belgien, USA, Polen, Frankreich, Südafrika, Neuseeland, Niederlande, Estland, Lettland und Litauen: Ein kritischer Rundgang durch die besten Pavillons der 59. Internationalen Kunstausstellung in Venedig 2022. [mehr]
Der Kurator des Deutschen Pavillons, Yilmaz Dziewior vom Kölner Museum Ludwig, hat Maria Eichhorn eingeladen, das Haus in den Giardini zu bespielen. Eichhorn (*1962 in Bamberg) zählt zu den bekanntesten deutschen Konzeptkünstler:innen. Ihre Arbeit für die Biennale, Relocating a Structure, erscheint dem ersten Blick etwas unnahbar, sie ist aber bei näherer Beschäftigung damit sehr spannend.
Maria Eichhorns Arbeit am deutschen Pavillon
Beinahe verschwunden
Maria Eichhorns Projekt, „Relocating a Structure“, erwägt eine Translozierung des deutschen Pavillons, macht seine Geschichte durch archäologische Erkundungen lesbar und erinnert an Nazi-Terror und Widerstand in Venedig. [mehr]
Für den Österreichischen Pavillon haben Jakob Lena Knebl (*1970 in Baden b. Wien) und Ahsley Hans Scheirl (*1956 in Salzburg), unter dem Titel Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts „bühnenartige Installationen“ eingerichtet, die „Begehrensräume“ öffnen „für Identitätskonstruktionen, Begehren und sinnliche Erfahrung“.
Der Schweizer Pavillon wird von Latifa Echakhch (*1974 in El Khnansa) mit einer sehr poetischen Installation, The Concert, bespielt.
Goldene und Silberne Löwen
Goldene und silberne Löwen werden seit 1986 auf der Kunstbiennale von Venedig ausgeteilt. Neben Auszeichnungen fürs Lebenswerk schüttet die Biennale weitere Löwen für den besten nationalen Pavillon, beste Künstler:innen der Zentralausstellung und vielversprechende junge Künstler:innen aus.
Die Goldenen Löwen
Goldene Löwen für Großbritannien, Simone Leigh, Katharina Fritsch und Cecilia Vicuña
Die 59. Kunstbiennale in Venedig zeichnet den britischen Pavillon als besten nationalen Beitrag aus. Den Preis der besten Künstlerin nimmt Simone Leigh mit nach Hause. Vielversprechendster junger Künstler der Biennale ist Ali Cherri. Goldene Löwen fürs Lebenswerk gehen an Katharina Fritsch und Cecilia Vicuña. [mehr]
Il latte dei sogni
Der Titel der Zentralausstellung sei einem Buch der surrealistischen Künstlerin Leonora Carrington (1917-2011) entnommen. In den 1950er Jahren habe Carrington, erläutert Alemani in ihrem mission statement für die venezianische Kunstschau, „rätselhafte Geschichten erdacht und illustriert, zuerst direkt auf den Wänden ihres Heims, dann in einem kleinen Notizbuch mit diesem Titel.“ Und weiter:
Zu den bewusstseinserweiternden Visionen von hybriden, mutierten Wesen, die ihre phantastischen Universen bevölkern, gehören Kinder, die ihren Kopf verlieren, in Gelatine gefangene Geier und fleischfressende Maschinen. Erzählt in einem traumartigen Stil, der Jung und Alt gleichermaßen zu erschrecken schien, beschreiben Carringtons Geschichten eine magische Welt, in der Leben beständig durch das Prisma der Vorstellungskraft neu vergegenwärtigt wird, und in der jeder sich ändern, transformiert werden, zu etwas oder jemand anderem werden kann. [….] Die Ausstellung „Il latte dei sogni“ nimmt Leonora Carrington, ihre jenseitigen Wesen und viele andere Figuren der Transformation als Begleiter:innen auf einer imaginären Reise durch die Metamorphosen des Körpers und Definitionen der Menschlichkeit.
Drei Themen fokussiere die Zentralausstellung dabei im besonderem Maße: „Die Repräsentation von Körpern und ihre Metamorphosen, die Beziehung von Individuen und Technologien, die Verbindung zwischen Körpern und der Erde.“ [Statement by Cecilia Alemani]
Die Künstler:innen der Zentralausstellung
Die Zentralausstellung zeigt nicht weniger als 1.433 Werke und Objekte von 213 Künstler:innen – in der weit überwiegenden Mehrzahl Frauen: Liste der teilnehmenden Künstler:innen.
Sehr umfangreich ist dabei der historische Rückgriff, der bis zur Naturforscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian (1647-1717) hinlangt. Der Schwerpunkt liegt aber auf Künstlerinnen des Surrealismus. Neben Leonora Carrington selbst sind u.a. gelistet: Sophie Taeuber-Arp, Claude Cahun, Maya Deren, Remedios Varo, Unica Zürn, Toyen, Jane Graverol, Meret Oppenheim, Edith Rimmington, Alice Rahon, Ithell Colquhoun, Bridget Tichenor, Eileen Agar, Leonor Fini und Dorothea Tanning. Aufmerksame Kunstfreund:innen werden sich an die Ausstellung Fantastische Frauen erinnert fühlen, die 2020 in Frankfurt und Humlebæk zu sehen war.
In Sachen Gegenwartskunst liegt der geographische Schwerpunkt der Auswahl auf Nordamerika, 32 Künstler:innen geben New York City als Wohnort an, 11 London, 11 Berlin und nur jeweils eine Köln oder Düsseldorf (Cosima von Bonin und Katharina Fritsch).
180 der Künstler:innen sind erstmals in der Zentralausstellung vertreten. Zu den etabliertesten Teilnehmer:innen zählen Lynn Hershman Leeson, Rebecca Horn, Barbara Kruger, Louise Lawler, Rosemarie Trockel und Nan Goldin. Die jüngste Teilnehmerin ist die Multimediakünstlerin Simnikiwe Buhlungu aus Johannesburg (*1995), die älteste die Pionierin der Digitalkunst Vera Molnár (*1924).
Eventi Collaterali
Neben der Zentralausstellung und den nationalen Beiträgen sind die offiziellen Nebenausstellung („eventi collaterali“) und die Parallelausstellungen die dritte Säule des Kunstaufkommens in Venedig zu Zeiten der Biennale.
Zu den – in diesem Jahr 30 – Nebenausstellungen zählt dabei ein Auftritt des Ehrenmitglieds der Düsseldorfer Kunstakademie Heinz Mack (*1931) im Prunksaal der Biblioteca Nazionale Marciana ebenso wie eine Ausstellung mit Werken der US-amerikanischen Bildhauerin und Malerin Louise Nevelson (1899-1988) in den Procuratie Vecchie (alle beide am Markusplatz).
Unter den zahlreichen Parallelausstellungen, die zeitgleich zur Biennale in Venedig stattfinden, aber nicht Teil des Biennaleprogramms sind, gibt es eine Retrospektive auf das Werk von Anish Kapoor (*1954) in den Gallerie dell’Accademia. Die Peggy Guggenheim Collection zeigt unterdessen Surrealismus und Magie – Verzauberte Moderne mit Werken von mehr als 20 surrealistischen Künstler:innen. Die Ausstellung wird im Herbst/Winter 2022/2023 auch im Postdamer Museum Barberini zu Gast sein.
Die spektakulärste Spielfläche bleibt aber Anselm Kiefer (*1945) vorbehalten, der mit einer monumentalen Arbeit unter dem Titel Questi scritti, quando verranno bruciati, daranno finalmente un po‘ di luce („Wenn diese Schriften verbrannt werden, so spenden sie schließlich ein wenig Licht“) die Wände des Sala dello Scrutinio im Dogenpalast verdeckt.
Rückblick
Die Biennale von Venedig geht heuer ins 128ste Jahr. Seit 1895 findet die Internationale Kunstausstellung im Zweijahresrhythmus statt (vor allem kriegsbedingt fiel die Kunstschau in einigen Jahren aus – 2021 wurde die Biennale coronabedingt um ein Jahr verschoben).
Rückblick: Die erste Biennale von Venedig 1895
Ia Esposizione Internazionale d’Arte di Venezia
Im April 1895 eröffnet die 1. Internationale Kunstausstellung der Biennale von Venedig. Sie ist ein Publikumsrenner, zeigt ein Skandalbild, zieht prominente Kunstkäufer an. Der Anfang von mehr als 120 Jahren Geschichte der Biennale. [mehr]
59. Esposizione Internazionale d’Arte. La Biennale di Venezia. Il latte dei sogni. K: Cecilia Alemani. Venedig, 23. April bis 27. November 2022.
- Update 08.05.2022: Teaser Beste nationale Beiträge hinzugefügt, mehrere Aktualisierungen
- Update 25.04.2022: Teaser Preisträger aktualisiert
- Update 27.01.2022: Einige Künstler:innen der nationalen Pavillons nachgetragen
- Update 04.02.2022: Informationen zu Künstler:innen der Zentralausstellung und teilnehmenden Ländern ergänzt nach PM 02.02.2022
- Update 10.03.2022: Goldene Löwen für das Lebenswerk ergänzt
- Update 19.03.2022: Hinweise auf Neben- und Parallelausstellungen ergänzt