Theater in NRW: Saison 2023/2024
Die Merkliste Schauspiel
Aus den Spielzeitheften der NRW-Theater für die Saison 2023/2024: Was kann man sich vormerken? Das Theater des Jahres in Bochum, die letzte Runde in Köln, einen Klassikerschwund, Gudarzi und Ibsen allerorts sowie „Theaterinseln“ in Mülheim an der Ruhr.

Schauspielhaus Bochum. Foto/Rechte: © Hans Jürgen Landes.
Lässt man das Kinder- und Jugendtheater mal kurz beiseite, so werden die Landes- und Stadttheater NRWs in der Spielzeit 2023/24 in Sachen Sprechtheater etwa 170 Neuinszenierungen, Erst- und Uraufführungen über die Bühne bringen.
„Support Your Local Theatre“ ist ein, auch in postpandemischen Zeiten zu beherzigender Appell. Aber was, wenn das Deutschlandticket zum Schauspielabend in der Nachbarstadt lockt? Einige Vorschläge für die Spielzeitplanung:
Das Theater des Jahres: Schauspielhaus Bochum
Das Theater des Jahres 2022 war, jedenfalls nach Maßgabe der Kritiker:innen-Umfrage von „Theater heute“, das Schauspielhaus Bochum. Zwar fiel die relative Mehrheit mit 6 aus 30 Stimmen etwas dünn aus, aber sei’s drum. Die überaus erfolgreiche Bochumer Intendanz von Johann Simons geht nunmehr in ihre sechste Spielzeit. Dessen Vertrag wurde unlängst bis zum Ende der Saison 2025/26 verlängert.

Schauspielhaus Bochum, Theater des Jahres 2022. Foto/Rechte: © Birgit Hupfeld.
Für jetzt hat sich der Chef zunächst die Inszenierung einer Dramatisierung von Fjodor M. Dostojewskijs Brüder Karamasow vorgenommen, die am selben Abend sowohl das Schauspielhaus als auch die Kammerspiele umfassen soll – das klingt turbulent, mal schauen (P: 14. Oktober 2023).
Auf die Agenda für Bochum kommt auch die Bühnenadaption von Arthur Schnitzlers Traumnovelle, eingerichtet vom Regisseur und Bühnenbilder Ulrich Rasche, geboren 1969 in Bochum, aber jetzt erstmals am Schauspielhaus seiner Heimatstadt tätig (P: 18. Mai 2024).
Und fürs Frühjahr 2024 ist zudem eine neue Inszenierung des derzeit gefragtesten Theaterregisseurs auf deutschsprachigen Bühnen versprochen: Christopher Rüping verrät aber noch nicht, was das sein wird (P: 9. März 2024).
Die letzte Spielzeit in Köln

Bühnen Köln am Offenbachplatz – in Sanierung. Foto: jvf.
Ob es wirklich die letzte Spielzeit vor dem Wiedereinzug von Schauspiel und Oper Köln in das dann gründlich sanierte Gebäudeensemble am innerstädtischen Offenbachplatz sein wird, muss man sehen. Die Schlüsselübergabe ist jedenfalls geplant für den 22. März 2024 – die ursprüngliche Planung ging von einer Wiedereröffnung im November 2015 aus. Die jüngste Baukostenschätzung für die Sanierung liegt bei nunmehr 668 bis 676 Millionen Euro, unter Ausschluss der Finanzierungskosten, die mit 317 Mio. Euro veranschlagt werden.
Ganz sicher aber ist es die letzte Spielzeit der Intendanz von Stefan Bachmann, der dann, nach elf Jahren, Köln verlassen und das Direktorium des Burgtheaters in Wien übernehmen wird. Für die Abschiedssession in Köln hat sich Bachmann nur eine einzige Regie selbst vorbehalten: Im Februar 2024 wird er die Uraufführung eines neuen Stücks von Akın Emanuel Şipal (*1991 in Essen) einrichten, das das Erbe des Osmanischen Reichs in den Blick nehmen will: Akıns Traum (AT) (UA: 23. Februar 2024).

Schauspiel Köln: Scheidender Intendant Stefan Bachmann / Designierter Interimsintendant Rafael Sanchez. Fotos: Tommy Hetzel.
Der 2013 von Bachmann aus Basel ans Schauspiel Köln verschleppte Regisseur Rafael Sanchez wird 2024/25 als Interimsintendant einspringen. Erstmal aber kümmert er sich um die Dramatisierung von Tobias Ginsburgs (*1986 in Hamburg) Die letzten Männer des Westens, der Bestseller-Undercover-Recherche im Milieu der „Antifeministen, rechten Männerbünde und der Krieger des Patriarchats“ (UA: 22. März 2024).
Auf die Agenda nehme ich ansonsten die Bühnenadaption von Cho Nam-Joos (*1978 in Seoul) Kim Jiyoung, geboren 1982. Die Dramatisierung ihres autofiktionalen Romans um eine Frauenbiographie in der misogynen Welt der Gegenwart (Südkoreas) wird Marie Schleef einrichten (DE: 14. Oktober 2023).
Amir Gudarzi
Wenn man will, kann man sich in der Saison 2023/24 in NRW einen gründlichen Eindruck von den Arbeiten Amir Gudarzis verschaffen. Der 1986 in Teheran geborene Autor lebt seit 2009 im österreichischen Exil und wurde in den letzten Jahren mit Förder- und anderen Preisen zugeschmissen. Mitte August erscheint sein erster Roman Das Ende ist nah bei dtv und die Spielzeit über wird er als Hausautor am Nationaltheater Mannheim arbeiten.
Ganz zu Beginn des neuen Schauspieljahres bringt aber erstmal das Theater Münster die Deutsche Erstaufführung von Amir Gudarzis Stück über Waffenhandel und Kreisläufe der Gewalt auf die Bühne seines Kleinen Hauses: Am Anfang war die Waffe wird inszeniert von Ruth Mensah (DE: 01. September 2023).
Das Theater Aachen hat sich für Anfang Dezember dann die Uraufführung von Die Burg der Assassinen vorgenommen, in dessen Mittelpunkt Themen wie Grenzen und Grenzüberschreitung, Flucht und Vertreibung stehen sollen (UA: 08.12.2023). Und das Landestheater Detmold wird im Frühjahr 2024 die Uraufführung einrichten von Amir Gudarzis Stück Quälbarer Leib – Ein Körpergesang, 2022 mit dem Detmolder Grabbe-Preis ausgezeichnet (UA: 19. April 2024).
Aber die Klassiker!

Portrait of William Shakespeare, 1610. Ausschnitt. Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: PD-Art.
Es ist etwas verblüffend zu beobachten, wie wenig Relevanz für die Gegenwart Stadttheater in NRW heuer den klassischen Theatertexten aus den letzten Jahrhunderten beizumessen scheinen. Das ist gewissermaßen eine gegenläufige Bewegung zu den überbordend traditionspflegerischen Spielplänen der Opernhäuser hierzulande (wobei sich letzteres in den letzten Jahren schon etwas gebessert hat).
Lässt man mal Georg Büchner und seinen Woyzeck beiseite, den die Vorgaben fürs NRW-Zentralabitur 2024 und 2025 auf die Spielpläne bringt, werden offenbar im Wesentlichen nur noch Shakespeare und Ibsen gegenwärtig als bühnentauglich gesehen (die Landestheater springen da zum Teil korrigierend ein). Ich glaube nicht, dass das eine gute Entwicklung ist.
Gleichviel. Auf die Agenda nehme ich Johann Simons Inszenierung von Eugène Ionescos Klassiker des absurden Theaters, Die kahle Sängerin, am Schauspielhaus Bochum (P: 26. April 2024). Für William Shakespeares Sommernachtstraum vertraue ich auf Jan Bosse und seine Einrichtung fürs Schauspiel Köln (P: 17. Mai 2024).

Henrik Olrik, Henrik Ibsen, 1879. Ausschnitt. Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: PD-Art.
Und wer möchte, kann die Wintermonate in NRW mit einer umfassenden Werkschau von Henrik Ibsen verbringen. Am Theater Bonn richtet Charlotte Sprenger Nora neu ein (P: 16. Januar 2024). Bernadette Sonnenbichler übernimmt am Düsseldorfer Schauspielhaus die Regie von Peer Gynt (P: Januar 2024). Das Schauspiel Köln kontert Anfang Februar mit Gespenster (P: 1. Februar 2024) und das Theater Dortmund legt im März mit Ein Volksfeind nach (P: 9. März 2024).
Radikaler Wandel in Mülheim an der Ruhr
Das Theater in Mülheim an der Ruhr annonciert „den radikalen Wandel“: Man beschreite „einen völlig neuen, radikalen Weg in Deutschlands Theaterlandschaft“ (= Abschied vom Repertoiresystem).
Mit Beginn der neuen Spielzeit werden Neuproduktionen nur noch in festivalartig verdichteten Zeiträumen von drei bis vier Wochen zu sehen sein. Diese „Spielinseln“ – drei pro Saison, im Sommer, Spätherbst und Frühjahr – sollen, jeweils unterwegs mit einem umfassenden Begleitprogramm, die Saison über durch ein gemeinsames Rahmenthema zusammengehalten werden. Die Saison 2023/24 steht dabei unter dem Thema „Rausch“.
Die erste der drei „Theaterinseln“ („Rausch 1“) ist mit vier Produktionen für den Zeitraum 18. August bis 9. September 2023 terminiert. Den Auftakt macht Philipp Preuss’ Inszenierung von Euripides’ Bakchen auf der Freilichtbühne im Raffelbergpark (P: 18. August 2023).
Und sonst so?
Und, bevor ich’s vergesse: Im Düsseldorfer Schauspielhaus arbeitet der 1973 in Yokohama geborene Schriftsteller, Dramatiker und Regisseur Toshiki Okada – soweit ich sehe – das erste Mal in NRW. Im April 2024 wird er ein neues, eigenes Stück inszenieren: Homeoffice will Folgen der postpandemischen Arbeitsrealität in den Blick nehmen (UA: April 2024).
Die Merkliste Schauspiel NRW 2023/2024
- Euripides, Die Bakchen
Theater an der Ruhr, Freilichtbühne, P: 18. August 2023 - Amir Gudarzi, Am Anfang war die Waffe
Theater Münster, Kleines Haus, DE: 1. September 2023 - Nach Fjodor M. Dostojewskij, Die Brüder Karamasow
Schauspielhaus Bochum, Schauspielhaus / Kammerspiele, P: 14. Oktober 2023 - Cho Nam-Joo, Kim Jiyoung, geboren 1982
Schauspiel Köln, Depot 2, DE: 14. Oktober 2023 - Amir Gudarzi, Die Burg der Assassinen
Theater Aachen, Kammer, UA: 8. Dezember 2023 - Henrik Ibsen, Nora
Theater Bonn, Schauspielhaus, P: 16. Januar 2024 - Henrik Ibsen, Peer Gynt
Düsseldorfer Schauspielhaus, Großes Haus, P: Januar 2024 - Henrik Ibsen, Gespenster
Schauspiel Köln, Depot 2, P: 1. Februar 2024 - Akın Emanuel Şipal, Akıns Traum (AT)
Schauspiel Köln, Depot 1, UA: 23. Februar 2024 - Henrik Ibsen, Ein Volksfeind
Theater Dortmund, Schauspielhaus, P: 9. März 2024 - Eine neue Inszenierung
Schauspielhaus Bochum, Schauspielhaus, P: 9. März 2024 - Tobias Ginsburg, Die letzten Männer des Westens
Schauspiel Köln, Depot 2, UA: 22. März 2024 - Toshiki Okada, Homeoffice
Düsseldorfer Schauspielhaus, Großes Haus, UA: April 2024 - Amir Gudarzi, Quälbarer Leib – Ein Körpergesang
Landestheater Detmold, Großes Haus, UA: 19. April 2024 - Eugène Ionesco, Die kahle Sängerin
Schauspielhaus Bochum, Schauspielhaus, P: 26. April 2024 - William Shakespeare, Ein Sommernachtstraum
Schauspiel Köln, Depot 1, P: 17. Mai 2024 - Nach Arthur Schnitzler, Traumnovelle
Schauspielhaus Bochum, Schauspielhaus, P: 18. Mai 2024
Die Angaben zu den Aufführungen sind den langfristigen Planungen und Vorankündigungen der Theater in NRW entnommen (Stand Juni 2023). Bevor Sie zu einem Theaterabend anreisen, informieren Sie sich bitte bei den jeweiligen Veranstaltern über etwaige Planänderungen oder Verschiebungen.