Theater in NRW: Saison 2019/2020
Die Merkliste Schauspiel
Aus den Spielzeitheften der NRW-Theater für die Saison 2019/2020: Ein Jubiläum in Düsseldorf, Kölner Provisorien, Johan Simons in Bochum, Problemfälle und Uraufführungen. Was muss man sich vormerken?
Schauspielhaus Düsseldorf in Sanierung. Foto: jvf.
Das Düsseldorfer Schauspiel feiert heuer den 50. Jahrestag seines Einzugs in das – jetzt gerade frisch sanierte – Haus am Gustaf-Gründgens-Platz. Damals, im Januar 1970, gab es heftige Demonstrationen: Unter anderem, weil aus den ursprünglich für den Neubau kalkulierten Kosten von 25 Mio. DM am Ende 41 Mio. DM geworden waren. Kostenexplosionen bei öffentlichen Bauten ist also nicht wirklich ein neues Thema.
Eröffnet wurde das – vom Düsseldorfer Architekten Bernhard Pfau entworfene und ja noch heute ziemlich cool wirkende – Schauspielhaus mit einer Inszenierung von Georg Büchners Dantons Tod. Folgerichtig steht auch zu Anfang der Jubiläumsspielzeit 2019/20 ebendieses Revolutionsdrama aus dem Vormärz, das jetzt Armin Petras für die Düsseldorfer Bühne einrichtet (Großes Haus, P: 20. September 2019).
Zum eigentlichen Jahrestag der Eröffnung steht aber das von Roger Vontobel verantwortete Leben des Galilei von Bert Brecht auf dem Programm (Großes Haus, P: 16. Januar 2020). Wem es wie mir graut vor einem Festakt mit Düsseldorfer Honoratioren wird sich dabei besser die zweite Aufführung vormerken.
Im Mai 2020 gastiert das internationale Theaterfestival „Theater der Welt“ in Düsseldorf (Düsseldorf, verschiedene Spielorte, 14. – 31. Mai 2020).
Kölner Provisorien
Schauspielhaus Köln in Sanierung. Foto: jvf.
In Köln wäre man glücklich, zeitnah ein fertig saniertes Schauspielhaus beziehen zu können. Die jüngste „Kosten- und Terminprognose“ für die Sanierung der Bühnen am Offenbachplatz rechnet nunmehr mit Gesamtaufwendungen zwischen 554 und 571 Mio. Euro und einer Fertigstellung im 2. Quartal 2023 (ursprüngliche Planung: 253 Mio. Euro / fertig 2015).
In der Ausweichspielstätte im Mülheimer Carlswerk übernimmt zur Spielzeiteröffnung der Chef selbst die Regie. Stefan Bachmann richtet Wajdi Mouawads Vögel ein (Depot 1, P: 20. September 2019). Das multilinguale Stück (UA Paris 2017) verdichtet Konfliktlinien des Nahen Ostens zu einem Familiendrama um Identität und die Last der Geschichte.
Danach ist in Köln eine Menge Regieprominenz zu Gast. Luk Perceval inszeniert Eugene O’Neills Eines langen Tages Reise in die Nacht (Depot 1, P: 15. November 2019). Frank Castorf nimmt sich Carl Sternheims Zyklus Aus dem bürgerlichen Heldenleben vor (Depot 1, P: 17. Januar 2020). Robert Borgmann richtet Henrik Ibsens Nora ein (Depot 1, P: 13. März 2020).
Die Uraufführung eines neuen Stücks von Lukas Bärfuss hat sich aber der Chef des Hauses wieder für sich reserviert: Das Werkzeug des Herrn (Depot 2, UA: 13. Dezember 2019). Lily Sykes übernimmt dann die Ersteinrichtung von Maya Arad Yasurs Bomb (Depot 2, UA: 8. Februar 2020).
Auf der kleinen Bühne in den ehemaligen Opernterrassen am Offenbachplatz schließlich ermittelt Nuran David Calis in Sachen Doğan Akhanlıs Verhaftung in Granada (Offenbachplatz, UA: 28. Februar 2020).
Simons’ Bochum
Am Schauspielhaus Bochum geht die Intendanz von Johan Simons in die zweite Spielzeit mit einer starken Agenda. Den vergleichsweise späten Saisonauftakt überlässt Simons der Starregisseurin Karin Henkel, die Bernard-Marie Koltès’ munter-finstere Kapitalismuszerstörung Quai West Ödön von Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald inszeniert (Schauspielhaus, P: 3. Oktober 2019).
Auf die Merkliste nehme ich für den weiteren Saisonverlauf dann aber doch drei Inszenierungen des Intendanten. Zwei Klassiker zunächst, Anton Tschechows Iwanow (Schauspielhaus, P: 18. Januar 2020) und William Shakespeares König Lear (Schauspielhaus, P: 25. April 2020).
Ganz gegen Ende der Spielzeit steht dann noch die deutsche Erstaufführung von Hanoch Levins „Todesmärchen“ nach drei Erzählungen von Anton Tschechow an: Requiem (Kammerspiele, DE: 12. Juni 2020).
Zwei Problemfälle
Atlas, ein Stück von Thomas Köck, das vietnamesisch-deutsche Migrationsbiografien thematisiert, wurde 2019 mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnet. Nach dieser Auszeichnung steht das Stück des österreichischen Autors allerdings im Zentrum identitätspolitischer Debatten. Deutsch-asiatische Kulturschaffende protestieren in einem offenen Brief:
Das Stück wurde ausschließlich von weißen Menschen geschrieben, inszeniert und gespielt. […] Wenn weiße Menschen die Geschichten von „Menschen of colour“ auf deren Kosten nutzen, am Ende weiße Fantasien bedienen und Profit daraus schlagen, dann halten wir das nicht für auszeichnungswürdig, sondern für die Neuauflage kolonialer Traditionen.
Es wird spannend zu sehen, wie sich das Schauspiel Wuppertal in seiner Inszenierung (Regie: Jenke Nordalm) mit dieser Kritik auseinandersetzt – ignorieren wird man sie ja nicht können oder wollen (Theater am Engelsgarten, P: 1. Februar 2020).
In Stanniolpapier von Björn SC Deigner dramatisiert die Geschichte einer Frau, die in ihrer Kindheit Opfer von Missbrauch wird und über ihre Erfahrungen in der Prostitution erzählt. Das Stück war 2018 im Rahmen der Autorentheatertage am Deutschen Theater in Berlin zur Uraufführung vorgesehen.
Allerdings ließ die Inszenierung von Sebastian Hartmann kaum etwas von der Textvorlage übrig. Schlimmer noch, „sinnverdrehend“ sei diese Inszenierung, ein „Missbrauch des Missbrauchs“, „Ästhetisierung der Gewalt“, so die Kritik, die Jury der Autorentage distanzierte sich, der Autor ließ das Label Uraufführung streichen.
Jetzt wird sich der Regisseur Matthias Köhler der eigentlichen Uraufführung im Theater Bonn annehmen (Werkstatt, UA: 13. September 2019).
Drei Ur- und Erstaufführungen
Das Theater Oberhausen hat sich früh in der Spielzeit die Uraufführung eines neuen Stücks von Dominik Busch vorgenommen: Alles ist wahr erzählt als Dokufiktion von den „neun Leben der Marita Lorenz“ (Regie: Babett Grube). Lorenz war einst die Geliebte von Fidel Castro, später CIA-Agentin (Großes Haus, UA: 11. Oktober 2019).
Mitten im Winter geht am Theater Bonn die Uraufführung eines neuen Stücks von Anja Hilling mit dem hübschen Titel Apeiron über die Bühne (Regie: Ludger Engels) und soll von der Sehnsucht und den Niederlagen dreier Erfolgsmenschen erzählen (Werkstatt, UA: 24. Januar 2020).
Im Frühjahr setzt das Theater Krefeld / Mönchengladbach seine verdienstvolle Reihe „Außereuropäisches Theater“ fort mit der deutschen Erstaufführung eines Stücks von Muataz Abu Saleh (Studio, UA: 15. Mai 2020).
Die Merkliste Schauspiel NRW 2019/2020
- Björn SC Deigner, In Stanniolpapier
Bonn, Werkstatt, UA: 13. September 2019 - Georg Büchner, Dantons Tod
Düsseldorf, Großes Haus, P: 20. September 2019 - Wajdi Mouawad, Vögel
Köln, Depot 1, P: 20. September 2019 - Ödön von Horváth, Geschichten aus dem Wiener Wald
Bochum, Schauspielhaus, P: 3. Oktober 2019 - Dominik Busch, Alles ist wahr
Oberhausen, Großes Haus, UA: 11. Oktober 2019 - Eugene O’Neill, Eines langen Tages Reise in die Nacht
Köln, Depot 1, P: 15. November 2019 - Lukas Bärfuss, Das Werkzeug des Herrn
Köln, Depot 2, UA: 13. Dezember 2019 - Bertold Brecht, Leben des Galilei
Düsseldorf, Großes Haus, P: 16. Januar 2020 - Carl Sternheim, Aus dem bürgerlichen Heldenleben
Köln, Depot 1, P: 17. Januar 2020 - Anton Tschechow, Iwanow
Bochum, Schauspielhaus, P: 18. Januar 2020 - Anja Hilling, Apeiron
Bonn, Werkstatt, UA: 24. Januar 2020 - Thomas Köck, Atlas
Wuppertal, Theater am Engelsgarten, P: 1. Februar 2020 - Maya Arad Yasur, Bomb
Köln, Depot 2, UA: 8. Februar 2020 - Doğan Akhanlı, Verhaftung in Granada
Köln, Offenbachplatz, UA: 28. Februar 2020 - Henrik Ibsen, Nora
Köln, Depot 1, P: 13. März 2020 - William Shakespeare, König Lear
Bochum, Schauspielhaus, P: 25. April 2020 - Muataz Abu Saleh, Heimaterde
Mönchengladbach, Studio, DE: 15. Mai 2020 - Hanoch Levin, Requiem
Bochum, Kammerspiele, DE: 12. Juni 2020
Die Angaben zu den Aufführungen sind den langfristigen Planungen und Vorankündigungen der Theater in NRW entnommen (Stand Juni 2019). Bevor Sie zu einem Theaterabend anreisen, informieren Sie sich bitte bei den jeweiligen Veranstaltern über etwaige Planänderungen oder Verschiebungen.