Kulturraum NRW


Ein Skulpturenrundgang durch Hagen: Erster Teil

Hagener Impulse I

Der erste Teil des Rundgangs zu Kunst im Zentrum Hagens führt gut 1½ km vom Hauptbahnhof mit Jan Thorn Prikkers Glasmalerei über Werke der Bildhauerin Milly Steger und durch Volks- und Volmepark zu Margret Dorn-Malins Plastik „Große Kniende“.

Rundgang Skulpturen Hagen Collage mit Werken von Milly Steger, Ursula Querner, Karel Niestrath und Margret Dorn-Malin

Kennen Sie Hagen? Nicht? Ein Fehler! Die Stadt am süd­öst­lichen Rand des Ruhr­gebiets, „das Tor zum Sauer­land“, knapp 200.000 Ein­wohner, „Stadt der Fern­Universität“ usw. Vor allem aber: Anfang des 20. Jahr­hunderts war Hagen ein Hot­spot der modernen Kunst von inter­nationaler Bedeutung. Das wirkt bis heute nach.

Der hier vorgeschlagene Rund­gang zu Skulp­turen im Zentrum von Hagen ist ins­gesamt kaum 4 km lang. Zusammen mit einem unverzicht­baren Besuch des Ost­haus Museums und des Emil Schumacher Museums sowie einer Pause im dortigen Café ist aber schnell ein hübscher Tag vorbei.

Jan Thorn Prikker: Der Künst­ler als Lehrer

Oberhalb des Ausgangs im neo­barocken Empfangs­gebäude des Haupt­bahnhofs (1910) erinnert eine monumen­tale Glas­malerei (immer­hin fast 8½ m breit und mehr als 3½ m hoch) an die in kunst­historischer Perspek­tive spannend­ste Zeit in Hagen.

Das Bildprogramm ist etwas ver­wirrend. In der Mitte steht ein, durch Buch und Zirkel als Wissens­arbeiter ausge­zeichneter Mann, drum­herum vier Figuren, von denen zwei ein­deutig als Hütten­arbeiter und Bauer mar­kiert sind, die zwei wei­teren gerne als Berg­mann und Maurer ver­standen werden. Die vier Ver­treter der Werk­tätigen also richten den Blick auf das Tun des Manns im Zentrum. Ihre Hand­haltung kann man aber auch als Abwehr­geste deuten.

Jan Thorn Prikker, Der Künstler als Lehrer für Handel und Gewerbe, 1911. Glas­malerei Haupt­bahnhof Hagen. 360 × 840 cm
Jan Thorn Prikker, Der Künstler als Lehrer für Handel und Gewerbe, 1911. Glas­malerei Haupt­bahnhof Hagen. 360 × 840 cm.

Außen links scheint eine sehr elegante Textil­werkerin ohne­hin eher genug mit ihrem Gewerbe beschäftig zu sein. Rechts schützt eine Gestalt mit etwas über­mäßig gelängtem Arm ein Kind. Und ganz rechts schultert eine junge Frau ihren Ruck­sack mit ange­bundenen Skiern – mag sein, dass sie gerade aus den sauer­ländischen Bergen kommt und viel­leicht einer Zukunft ent­gegen strebt, aber kann man ihrem Gesichts­ausdruck mehr Zu­versicht als Mühe ent­nehmen?

Die Moderne macht wohl kein Ver­sprechen eines konflikt­freien Auf­bruchs. Jan Thorn Prikker (1868-1932) hat das Ding 1911 ent­worfen, Der Künst­ler als Lehrer für Handel und Gewerbe heißt es, unter Vermitt­lung und teil­weiser Finan­zierung durch den Kunst­mäzen, Samm­ler und Museums­gründer Karl Ernst Ost­haus ge­fertigt.

Milly Steger: Vier Musen und ein Schmied

Den Platz zwischen Bahn- und Bus­bahnhof lässt man besser schnell hinter sich und biegt bei Walde­mar Wiens (1927-1994) Bronze­plastik Auf­strebend (1968) in die Bahnhofs­straße ein. Auf dem Weg zum Volks­park sollte man aber einen kurzen Ab­stecher zum 1911 eröff­neten Stadt­theater machen – zu Milly Stegers (1881-1948) Vier Musen an der Fassade, die seiner­zeit wegen ihrer umziem­lichen Nackt­heit zu einigem Protest geführt haben.

Milly Steger, Vier Musen, 1911. Sandstein, 4 m Höhe
Milly Steger, Vier Musen, 1911. Sandstein, 4 m Höhe.

Der Stadtverordnete Dr. Müller wird vom West­fälischen Tage­blatt im Herbst 1911 mit Begriffen zitiert wie „Miß­geburten der Kunst“ sowie „Schand­fleck an unserem Thea­ter“ – und: „wir dürfen nicht ruhen, bis diese Figuren von der Bild­fläche ver­schwinden“.

Zum Glück sind die vier Meter hohen Figuren nicht von der Bild­fläche ver­schwunden, wurden aber im 2. Welt­krieg stark beschädigt und später von Karel Nie­strath restauriert, auf den später noch zurück­zukommen sein wird.

Links vom Eingang zum Volks­park ist Stegers Sitzender Schmied (1913) auf­gestellt. Die Bronze­plastik des aus­ruhenden Arbeiters war ursprüng­lich als Schmuck für die Alten­hagener Brücke geplant, schien dem städtischen Auftrag­geber aber dann als Brücken­figur nicht recht taug­lich und wurde zu­nächst in die Vor­halle der Stadt­halle platziert. Erst seit 2004 sitzt er nun am Volks­park.

Milly Steger, Sitzender Schmied, 1913. Bronze, 90 × 60 cm. skulpturen.kulturraum.nrw: Steger, Schmied
Milly Steger, Sitzender Schmied, 1913. Bronze, 90 × 60 cm. skulpturen.kulturraum.nrw: Steger, Schmied.

Milly Steger, 1881 geboren in Rhein­berg am Nieder­rhein, aufge­wachsen in Elber­feld, besuchte dort die Kunst­gewerbe­schule und lernte an­schließend im Atelier von Karl Janssen in Düssel­dorf. Ein Studium an der Düssel­dorfer Kunst­akademie blieb ihr als Frau verwehrt (Frauen waren an der Aka­demie erst ab 1921 immatrikulations­berechtigt).

Auf Einladung von Osthaus lebte und arbeitete sie von 1910 bis 1917 in der Hagener Künstler­kolonie, ging dann nach Berlin. In den 1910er und 1920er Jahren gehörte sie zu den bekanntesten deut­schen Bild­hauer­innen. Einige ihrer Werke wurden 1937 bei der NS-Aktion „Entartete Kunst“ beschlag­nahmt, aber Steger arrangierte sich mit der national­sozialistischen Diktatur und konnte weiter arbeiten und aus­stellen. Ihr Berliner Atelier und viele ihrer Arbeiten wurden bei einem Bomben­angriff 1943 zer­stört. 1948 starb Steger in Berlin.

Else Lasker-Schüler, mit Steger bis zu einem späteren Zerwürf­nis befreun­det, porträ­tierte die Bild­hauerin liebe­voll in einem Gedicht, das 1916 in der Schaubühne abgedruckt wurde:

Else Lasker-Schüler: Milly Steger

Milly Steger ist eine Bändigerin,
Haut Löwen und Panther in Stein.

Vor dem Theater in Hagen
Stehen ihre Großgestalten.

Böse Tollpatsche, ernstgewordene Hännesken,
Clowne, die mit ihren blutenden Seelen wehen.

Aber auch Brunnen, verschwiegene Weibsmopse
Zwingt Milly rätselhaft nieder.

Manchmal spielt sie mit Zündhölzchen,
Die entzünden sich in der Gulliverin Hand.

Sie schnitzt aus dem Holze Adam
Hinterrücks sein Weib.

Und Millys Herz lacht wie ein Apfel,
In ihren stahlblauen Augen sitzt ein Schalk.

Milly Steger die Bildhauerin ist eine Welt,
Meteore stößt sie von sich

Eine Büffelin an Wurfkraft,
Freut sie sich auch zart an dem blühenden Kern der Büsche.

Im Volkspark: Westerfrölke, Holthaus und Querner

Ursula Querner, Eselreiter, 1956. Bronze, Höhe ca. 160 cm. skulpturen.kulturraum.nrw / Heinrich Holthaus, Sitzender Junge, 1957/1958. Bronze, Höhe 85 cm, Sockel 55 × 120 × 53 cm. skulpturen.kulturraum.nrw
Ursula Querner, Eselreiter, 1956. Bronze, Höhe ca. 160 cm. skulpturen.kulturraum.nrw / Heinrich Holthaus, Sitzender Junge, 1957/1958. Bronze, Höhe 85 cm, Sockel 55 × 120 × 53 cm. skulpturen.kulturraum.nrw.

Im Volkspark sind neben der hübschen Brunnen­gestaltung mit einer Gruppe wasser­kinetischer Plastiken Vogel­schwarm (2001, Abbildung) von Ulrich Wester­frölke (*1956 in Düssel­dorf) zwei lebens­große Bronzen aus den 1950er Jahren ver­teilt.

Gleich neben dem Wasser­spiel sinnt ein Sitzender Junge (1957/1958) des Hagener Bild­hauers Hein­rich Holt­haus (1903-1980) gedanken­verloren vor sich hin. Auf Holt­haus kommen wir später noch zurück.

Die wohl populärste Bronze in Hagen ist aber Ursula Querners Esel­reiter (1956) in der nörd­lichen Ecke des Volks­parks. Aller­dings hat diese Beliebt­heit ihren Preis: Der Hagener Zweit­guss der Plastik der Ham­burger Bild­hauerin und Grafikerin (1921-1969) ist heute schwer beschä­digt. Der rechte Unter­schenkel des Knaben fehlt ebenso wie der Stab, den er in der Hand halten sollte, und auch der Schweif des Esels. Deut­lich besser erhal­ten, so heißt es, ist der Erst­guss am Ham­burger Grindel­berg – falls Sie da mal vorbei­kommen.

Karel Niestrath: Mutter mit Kind

Jenseits der Körnerstraße, da wo die Grün­flächen des Volme­parks beginnen, ist – ein biss­chen wie bei­seite gestellt – eine sehr schöne und auch anrührende Muschel­kalk­skulptur von Karel Niestrath zu finden: Mutter mit Kind (1950).

Karel Niestrath, Mutter mit Kind, 1950. Muschelkalk, Höhe 135 cm. skulpturen.kulturraum.nrw: Niestrath, Mutter mit Kind
Karel Niestrath, Mutter mit Kind, 1950. Muschelkalk, Höhe 135 cm. skulpturen.kulturraum.nrw: Niestrath, Mutter mit Kind.

Das Stück ist in seiner Kombi­nation aus brutalis­tischer Anmutung und zärt­licher Anmut nur halb­wegs typisch für das Werk Niesraths. Geboren 1896 in Salz­uflen, Studium an der Werk­kunst­schule Biele­feld und der Kunst­akademie Dresden, settelte Niestrath 1924 in Hagen. Hier erhält er in den Folge­jahren eine Menge städtische Auf­träge für Kunst am Bau.

Wichtiger aber sind seine starken, sozial­kritischen Arbeiten aus den 1920er Jahren, dar­unter die Bronze Die Hungernde (1925, 136×26×26 cm), deren Güsse heute zum Bestand ver­schiedener Museums­sammlungen in NRW gehören, u.a. des Düssel­dorfer Kunst­palasts (Hungernde). Mehr als vierzig Werke Niestraths wurden im Rahmen der NS-Aktion „Entartete Kunst“ beschlag­nahmt und zum Groß­teil zer­stört.

Zu seinen Hauptwerken gehört das Mahn­mal Bitter­mark in Dort­mund (1960), das an den Massen­mord an Zwangs­arbeitern und Widerstands­kämpfern durch die Gestapo im Früh­jahr 1945 erinnert.

Ivo Beucker: Kniende

Einen weitaus prominen­teren Platz in der Grün­anlage, näher an der Volme, zwischen im Früh­jahr hübsch blühenden Bäumen, hat Ivo Beuckers Kniende (1938) gefunden, die aller­dings einiges Unbehagen zu wecken vermag. Ich zitiere mal den Kultur­philosophen und Kunst­historiker Hans Friesen, der die Quelle des Unbehagens treffend beschreibt:

Diese Frauenfigur entspricht der national­sozialistischen Auf­fassung des mensch­lichen Körpers, derzu­folge die Plastik in ihrer Körper­lichkeit den Men­schen der Tat dar­stellen sollte. Durch ihre ent­schlossene Hal­tung war Beuckers Figur dazu geeignet, die national­sozialistische Vor­stellung von Heroik und Kraft zum Aus­druck zu bringen. [Friesen, HagenKunst, S. 9-10]

Die 147 cm hohe Bronze wurde 1939 zunächst im Volks­park aufge­stellt. 2008 wurde sie restauriert, der fast dreißig Jahre früher abgesägte linke Unter­arm ersetzt und die Plastik am heutigen Ort auf neuem Sockel platziert.

Ivo Beucker, Kniende, 1938. Bronze, Höhe 147 cm. skulpturen.kulturraum.nrw: Beucker, Kniende
Ivo Beucker, Kniende, 1938. Bronze, Höhe 147 cm. skulpturen.kulturraum.nrw: Beucker, Kniende.

Beucker, geboren 1909 in Barmen, ver­brachte einige Kindheits­jahre in Hagen, bevor sich seine Eltern in Düssel­dorf nieder­ließen. Steinmetz­lehre, Studium an der Kölner Werk­schule und an der Preußischen Aka­demie in Berlin bei Richard Scheibe. 1938 verlieh ihm die Staat­lichen Kunst­akademie Düssel­dorf den Cornelius-Preis. Nach Kriegs­einsatz und Kriegs­gefangenschaft in der Sowjet­union kehrte Beucker 1947 nach Düssel­dorf zurück, wo er bis zu seinem frühen Tod 1965 lebte und arbeitete.

Margret Dorn-Malin: Große Kniende

Auf dem Weg über die Volme kann man mit Blick auf den Fluss sinnieren, wie ein vernünf­tiger Umgang aus­sähe mit Kunst im öffent­lichen Raum, die national­sozialistische Ideo­logie repräsentiert. Viel­leicht diskutiert man das auch mit dem hübschen Butt, der etwas miss­mutig drein­schauend auf der Brücke trocken­liegt: Pjotr Arono­witsch Fisch­man (*1955), Buttje (2005) – Abbildung.

Aber das eigent­liche Ziel des Aus­flugs auf die rechte Seite der Volme ist die Grün­fläche neben dem Ricarda-Huch-Gymnasium, wo heute Margret Dorn-Malins Große Kniende (1929) ihren Platz ge­funden hat. Die Bronze hat einige Orts­wechsel hinter sich. 1934 wurde sie vor dem Portal der Villa Post an der Wehring­hauser Straße aufge­stellt, die damals als Städtisches Museum genutzt wurde. Später stand sie vor einem Kauf­haus in der Einkaufs­meile Hohen­zollern­straße.

Margret Dorn-Malin, Große Kniende, 1929. Bronze, Höhe 133 cm. skulpturen.kulturraum.nrw: Dorn-Malin, Große Kniende
Margret Dorn-Malin, Große Kniende, 1929. Bronze, Höhe 133 cm. skulpturen.kulturraum.nrw: Dorn-Malin, Große Kniende.

Die vom Jugendstil geprägte Bronze – mit ihren eleganten und anmutig geschwungenen, gelängten Formen, dem gleicher­maßen selbst­gewissen wie welt­vergessenen Ausdruck der in etwa lebens­großen Figur – zählt sicher zu den schönsten Plastiken im öffent­lichen Raum Hagens. Ganz sicher ist sie ein wirk­sames Anti­dot gegen die Nazi-Ästhetik der Knienden drüben auf der anderen Seite der Volme.

Geboren 1895 in Emmerich am Rhein, studierte Margret Malin 1914-1919 an den Kunst­gewerbe­schulen in Düssel­dorf sowie Dresden und schließ­lich an der Landes­kunstschule in Hamburg. Anfang der 1920er Jahre ging sie nach Hagen, wo sie in der Künstler­kolonie Hohen­hagen lebte und arbeitete. 1924 gehörte sie zu den Mit­begründer:innen der Künstler­vereinigung Hagen­ring zusammen mit Karel Niestrath und anderen Künstler:innen. 1939 zog sie nach Essen, später nach Kettwig, wo sie 1953 starb. Die Große Kniende gilt als eines ihrer Haupt­werke.

Karte Rundgang Skulpturen Hagen

Karte Rundgang Skulpturen Hagen, © OpenStreetMap contributors
Karte Rundgang Skulpturen Hagen, © OpenStreetMap contributors.

Die Karte zum Ausdrucken und Mitnehmen: Karte Rundgang Skulpturen Hagen [pdf 5 MB].

Quellen und Darstellungen