Kulturraum NRW


Die Goldenen Löwen – Biennale Venedig 2024

Goldene Löwen für Australien, das Mataaho Collective, Anna Maria Maiolino und Nil Yalter

Die 60. Kunstbiennale Venedig zeichnet den australischen Pavillon als besten nationalen Beitrag aus. Den Preis der besten Künstler:innen nimmt das Mataaho Collective mit nach Hause. Vielversprechendste junge Künstlerin der Biennale ist Karimah Ashadu. Goldene Löwen fürs Lebenswerk gehen an Anna Maria Maiolino und Nil Yalter.

Australischer Pavillon: Archie Moore, kith and kin. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia. Foto: Matteo De Mayda. Courtesy: La Biennale di Venezia
Australischer Pavillon: Archie Moore, kith and kin. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia. Foto: Matteo De Mayda. Courtesy: La Biennale di Venezia.

Den Goldenen Löwen für den besten nationalen Beitrag zur Biennale Arte 2024 vergibt die Jury an den austra­lischen Pavillon, der eine Instal­lation von Archie Moore (*1970 in Too­woomba, Queens­land) zeigt: kith and kin.

Im abgedunkelten Raum des Pavillons hat Moore einen monumen­talen Stamm­baum seiner Verwandt­schaft und Vor­fahren aus den first nations der Kamilaroi und Bigambul mit Kreide an Wände und Decke gezeichnet und geschrieben. Namen, die für mehr als 65.000 Jahre Kultur der indigenen Völker Austra­liens stehen.

Manchmal sind es Spitz­namen, Verwandschafts­begriffe, mitunter rassistische Klassifi­zierungen und Beleidi­gungen. Leer­stellen im genea­logischen Baum ver­weisen auf kolonialis­tische Gewalt­herr­schaft und ihre Folgen.

Australischer Pavillon: Archie Moore, kith and kin. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia. Foto: Matteo De Mayda. Courtesy: La Biennale di Venezia
Australischer Pavillon: Archie Moore, kith and kin. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia. Foto: Matteo De Mayda. Courtesy: La Biennale di Venezia.

In der Mitte des Raums ein Denkmal: Über einer Wasser­fläche (Obacht! Man erkennt nicht gleich, dass das Wasser ist, manche Besucher:innen tappen darein und holen sich nasse Füße), über einer Wasser­fläche also schweben Stapel von teils geschwärzten Unter­suchungs­berichten, die auf die über­proportional große Zahl an Inhaf­tierungen von indigenen Austra­lier:innen und die Häufig­keit von Todes­fällen in der Haft erinnern.

Moores Arbeit besteche „durch ihre starke Ästhetik, ihre Poesie und ihre Beschwörung des gemein­samen Verlusts ver­drängter Vergangen­heiten“, heißt es in der Begründung der Jury.

In einer „speziellen Erwähnung“ – eine Art Trost­preis, für den man zwar kein goldenes oder silbernes Löwen­stehrumchen, aber eine Menge Aufmerk­­samkeit und ein Dokument mit hübsch rotbandiger Schleife bekommt – weist die Biennale-Jury zudem auf den Pavillon des Kosovo hin.

Der Goldene Löwe für die besten Künstler:innen: Mataaho Collective

Der Goldene Löwe für die besten Künst­ler:innen der Zentral­ausstellung geht an das neu­see­ländische Mataaho Collective. Das 2012 gegründete Kunst­kollektiv – Erena Baker (*1984), Sarah Hudson (*1986), Bridget Reweti (*1985) und Terri Te Tau (*1981) – greift in seinen groß­formatigen Instal­lationen Kunst und Wissen der Māori auf.

Mataaho Collective, Takapau, 2022. Installation (Polyester-Hi-Vis-Bindegurte, Schnallen und J-Haken aus Edelstahl). Ortsspezifische Neueinrichtung. Museum of New Zealand, Te Papa Tongarewa. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere. Foto: Marco Zorzanello. Courtesy: La Biennale di Venezia
Mataaho Collective, Takapau, 2022. Installation (Polyester-Hi-Vis-Bindegurte, Schnallen und J-Haken aus Edelstahl). Ortsspezifische Neueinrichtung. Museum of New Zealand, Te Papa Tongarewa. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere. Foto: Marco Zorzanello. Courtesy: La Biennale di Venezia.

Die gleich eingangs für den zweiten Raum der Schau im Arsenale neu ein­gerichtete Arbeit, Takapau (2022), ist ein geflochtenes, zelt­artiges Dach aus Sicherungs­gurten, wie sie in der Logis­tik ver­wendet werden.

Der Begriff „takapau“ bezeichne, so lerne ich, ein in zere­moniellen Kon­texten der Māori ver­wendetes, textiles Geflecht, das ins­besondere bei der Geburt den Über­gang von Licht und Dunkel symbolisiere. Die geflochtene Struktur der Kon­struktion aus reflek­tierenden Gurten jeden­falls erzeugt ein Licht- und Schatten­spiel, das sicher noch deut­lich spannender wäre, fiele nur veränder­liches Tages­licht in die Halle.

Die Jury dichtet in ihrer Begründung: Takapau verweise „auf die matri­lineare Tradition von Texti­lien“, sei „sowohl eine Kosmo­logie als auch ein Schutz­raum“ und deute auf die künftige Nutzung von Techniken der Vor­fahren voraus.

Über spezielle Erwähnungen der Jury für Künst­ler:innen der Zentral­ausstellung können sich der­weil Samia Halaby (*1936 in Jerusalem) und La Chola Poblete (*1989 in Mendoza) freuen.

Der Silberne Löwe für eine junge Künstlerin: Karimah Ashadu

Karimah Ashadu, Machine Boys, 2024. HD Einkanal-Digitalvideo 16:9, Farbe, 5.1 surround sound, 8:50 min. Produziert von der Fondazione In Between Art Film. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere. Foto: Andrea Avezzù. Courtesy: La Biennale di Venezia
Karimah Ashadu, Machine Boys, 2024. HD Einkanal-Digitalvideo 16:9, Farbe, 5.1 surround sound, 8:50 min. Produziert von der Fondazione In Between Art Film. 60. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere. Foto: Andrea Avezzù. Courtesy: La Biennale di Venezia.

Der Silberne Löwe für die viel­versprechendste, junge Künst­lerin der Zentral­ausstellung nimmt unter­dessen die nigerianische Video­künstlerin Karimah Ashadu (*1985 in London, lebt in Hamburg und Lagos) mit nach Hause.

Ihr leider nur knapp neun Minuten langes Video Machine Boys (2024) portraitiert in rasanten Bildern junge Männer, die, meist aus dem Norden Nigerias stammend, in der Metropole Lagos als illegale Motorradtaxifahrer („okada“) ihr Geld verdienen.

Die Jury sagt in ihrer Begründung für die Auszeichnung, Ashadus „feministisches Kameraobjektiv“ sei „außerordentlich sensibel und intim“, „die meisterhaft geschnittenen Bilder, die die Zurschaustellung von Männlichkeit hervorheben und gleichzeitig subtil kritisieren, zeigen die sinnliche Aufmerksamkeit für die Oberflächen von Maschinen, Haut und Stoffen und enthüllen die marginale Existenz der Biker“.

Goldene Löwen fürs Lebenswerk für Anna Maria Maiolino und Nil Yalter

Ausgeezeichnet mit Goldenen Löwen fürs Lebenswerk: Anna Maria Maiolino und Nil Yalter. Fotos: Livia Gonzaga / Isabelle Arthuis
Ausgeezeichnet mit Goldenen Löwen fürs Lebenswerk: Anna Maria Maiolino und Nil Yalter. Fotos: Livia Gonzaga / Isabelle Arthuis.

Auf Vorschlag von Adriano Pedrosa, dem Kurator der 60. Inter­nationalen Kunst­ausstellung in Venedig, vergibt das Direktorium der Biennale zudem zwei Goldene Löwen fürs Lebens­werk an die brasilia­nische Künst­lerin Anna Maria Maiolino sowie an die türkische Künst­lerin Nil Yalter.

Die Entscheidung erklärt Pedrosa vor dem Hinter­grund seiner Ausstellungs­konzeption, die den Blick auf Künst­ler:innen lenke, die „zwischen Nord und Süd, Europa und jenseits Europas sowie umgekehrt gereist und migriert“ sind. Daher sei seine Wahl gefallen „auf zwei außer­gewöhnliche, bahn­brechende Künst­lerinnen, die ebenfalls Migran­tinnen sind und in vieler­lei Hin­sicht den Geist von Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere verkörpern“ – so Pedrosa, das Motto der Biennale Arte 2024 zitierend.

Anna Maria Maiolino, geboren 1942 im kala­brischen Scalea, auf­gewachsen in Vene­zuela, lebt und arbeitet sie später in Brasi­lien, den USA, Argen­tinien und wieder in Brasi­lien. Ihr Werk umfasst Zeich­nungen, Malerei, Skulp­turen, Videos und Perfor­mances. Seit den 1990er Jahren ist Ton­erde ihr bevor­zugtes Material, das sie zu groß­formatigen Instal­lationen fügt wie 2012 auf der Documenta 13, wo sie mit ihrer Multimedia­installation Here & There das gesamte ehemalige Gärtner­haus in der Karls­aue bespielte.

Nil Yalter, geboren 1938 in Kairo, aufge­wachsen in Istanbul, lebt und arbeitet seit 1965 in Paris. Die Malerin, Zeich­nerin, Foto­grafin und Multimedia­künstlerin gilt als Pionierin einer gesell­schaftlich enga­gierten Video­kunst in Frank­reich. In 2019 zeigte das Kölner Museum Ludwig eine umfassende Überblicks­ausstellung ihres Werks unter dem Titel Exile Is a Hard Job.

Die Goldenen und Silbernen Löwen

Die Goldenen Löwen für das Lebens­werk vergibt das Direk­torium der Biennale auf Vor­schlag des Biennale-Kurators. Über die weiteren Löwen – für den besten natio­nalen Pavillon, die beste Künst­lerin der Zentral­­ausstel­lung und die beste Nach­wuchs­­künst­lerin – hat eine fünf­köpfige Jury zu Beginn der Vene­zianischen Kunst­aus­stellung entschieden. Die Jury tagte unter dem Vor­sitz der Kunst­historikerin und Kura­torin Julia Bryan-Wilson.

Goldene und Silberne Löwen werden erst seit 1986 auf der Kunst­­biennale von Venedig verliehen, über­nommen von der Kino­­biennale, wo es die Löwen schon seit 1949 gibt.

Auf der letzten Biennale, 2022, ging der Goldene Löwe für den besten natio­nalen Bei­trag an den britischen Pavillon mit einer Multimedia­installation von Sonia Boyce (*1962). Als beste Künst­lerin der Zentral­ausstellung wurde die 1967 in Chicago geborenen Bild­hauerin und Multimedia­­künstlerin Simone Leigh aus­gezeichnet.

Einen Silbernen Löwen als „viel­­versprechender junger Künstler“ der 59. Kunst­biennale Venedig nahm der 1976 in Beirut geborene Bild­hauer und Multimedia­künstler Ali Cherri mit nach Hause. Goldene Löwen fürs Lebens­werk gingen an an die nord­rhein-west­fälische Künst­lerin Katharina Fritsch (*1956 in Essen) und an die chilenische Künst­lerin und Dichterin Cecilia Vicuña (*1948): Ausführliches zu den Goldenen Löwen 2022.