Kulturraum NRW


Maria Eichhorns Arbeit am deutschen Pavillon – Biennale Venedig 2022

Beinahe verschwunden

Maria Eichhorns Projekt, „Relocating a Structure“, erwägt eine Translozierung des deutschen Pavillons, macht dessen Geschichte durch archäologische Erkundungen lesbar und erinnert an Nazi-Terror und Widerstand in Venedig.

Deutscher Pavillon, Rückseite, 59. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, The Milk of Dreams. Foto: jvf
Deutscher Pavillon, Rückseite, 59. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, The Milk of Dreams. Foto: jvf.

Es ist eine Idee, die schon andere umgetrieben hat: Den deutschen Pavillon aus den Biennale-Gärten einfach mal verschwinden lassen. Von Christoph Schlingen­sief ist die Aussage überliefert (2010): „Es wäre ein Traum, man könnte auf Knopfdruck das Haus wegklicken.“ Aber, so Schlingen­sief seinerzeit weiter: „Das Gebäude ist ganz klar nicht wegzulügen, die Vergangen­heit ist auch nicht wegzulügen.“

Vor und nach Schlingensief haben Künstler:innen immer wieder versucht, ohne Weglügen, mit dem Erbe der Nazi-Repräsentations­architektur in den venezianischen Giardini offensiv umzugehen. Joseph Beuys steht da mit seiner Straßenbahn­haltestelle (1976) vielleicht am Anfang einer langen Reihe oder auch schon Gerhard Richters Achtundvierzig Porträts (1972).

Später kam Reinhard Mucha mit seinem Deutsch­landgerät (1990) und – noch unmittelbarer ein Vorläufer des heutigen Verschwindens: 1993 bearbeitete Hans Haacke den Boden des zentralen Raums mit dem Pressluft­hammer. Die scharf­kantigen Bruchstücke unter der Überschrift Germania (wie die Inschrift draußen am Portal) ließen manche an Friedrichs Kreide­felsen auf Rügen denken.

Deutscher Pavillon, 59. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, The Milk of Dreams. Foto: jvf
Deutscher Pavillon, 59. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, The Milk of Dreams. Foto: jvf.

Gregor Schneider darf man nicht vergessen, dessen Totes Haus u r (2001) den Innenraum zu einem komplexen, toträumigen Labyrinth umgestaltete. 2013 gelang es, den deutschen Pavillon weg­zutauschen und den Fran­zosen unterzuschieben. Und auch an Anne Imhofs Performance Faust (2017) kann man erinnern: „In der Architektur liegt eine Brutalität, auf die ich antworten kann“, so Imhof damals.

Gedankenspiele um das Verschwindenlassen

Maria Eichhorn (*1962 in Bamberg) hat nun also die Idee des Ver­schwinden­lassens wieder aufgegriffen. Was, wenn man den problema­tischen Bau wirklich zerlegen und ab­transportieren oder am Stück translozieren und nach Abschluss der Biennale relozieren würde? Wobei die Frage offen bliebe, wer würde das Ding denn in der Zwischen­zeit eigentlich haben wollen?

Immerhin, drüben in den Gallerie dell’Accademia gibt es ein historisches Beispiel für den künst­lerischen Umgang mit einer Gebäude­verschickung. Tiepolo malte um 1743 sein Trasporto della Santa Casa di Loreto.

Giambattista Tieplo, Trasporto della Santa Casa di Loreto, um 1743. Venedig, Gallerie dell’Accademia. Ausschnitt. Foto: jvf
Giambattista Tieplo, Trasporto della Santa Casa di Loreto, um 1743. Venedig, Gallerie dell’Accademia. Ausschnitt. Foto: jvf.

Nunmehr aber wurden in Sachen Trans­lozierung des deutschen Pavillons Expert:innen befragt, Pläne, Skizzen und Simulationen erstellt. Das Ergebnis: Im Prinzip machbar. Der Katalog zu Eichhorns Arbeit am deutschen Pavillon dokumentiert das in aller Ausführlich­keit.

Wenn man das nicht als reines konzeptionelles Planspiel nimmt, würde ich mal spekulieren, dass es weniger logistische, finanzielle oder denkmal­schützerische Gründe waren, die dagegen sprachen, das (temporäre) Verschwinden wirklich werden zu lassen. Es wäre ja eher eine Art Weglügen gewesen.

Archäologische Erkundungen

Jetzt also steht er weiterhin da, aber nunmehr als etwas sprödes Objekt einer Gebäude­archäologie. Maria Eichhorn hat den Putz an baulichen Naht­stellen des Hauses abtragen lassen und dort, wo sich früher die rückwärtige Außen­wand befand, die Fundamente freigelegt, um die Geschichte des Hauses lesbar zu machen.

Padiglione Germanico, 1912. Quelle: Ugo Ojetti: La decima esposizione d'arte a Venezia – 1912. Bergamo: Instituto Italiano d'Arti Grafiche, 1912. S. 35.
Padiglione Germanico, 1912. Quelle: Ugo Ojetti: La decima esposizione d'arte a Venezia – 1912. Bergamo: Instituto Italiano d'Arti Grafiche, 1912. S. 35..

Der deutsche Pavillon wurde 1909 als bayerischer Pavillon errichtet, damals ein hübsch proportionierter Bau nach Plänen der Münchener Secession inklusive Portal mit ionischen Säulen. Insbesondere nachdem (1912) ein Schmuck­fries angebracht wurde, war das – für den heutigen Geschmack – eine sicher etwas kitschige Sache.

Für die 10. Internationale Kunst­ausstellung 1912 übernahm die Biennale-Leitung die Kuratierung der Ausstellung im Haus selbst (die Münchener Secession hatte abgewunken) und nannte ihn nicht mehr Padiglione Bavarese, sondern nunmehr Padiglione della Germania. So blieb es fortan.

Anfang der 1920er Jahre hätte es im Übrigen beinahe eine vorweg­genommene Lösung für den späteren Problem­pavillon gegeben. Als das Deutsche Reich, nach dem 1. Weltkrieg geächtet, nicht mit einer eigenen Ausstellung in Venedig vertreten war, überließ die Biennale-Leitung 1920 das Haus der Zweiten Polnischen Republik – und noch mehr: bot Polen das Haus um eine überschaubare Summe zum Kauf an. Vermutlich aus diplomatischen Rücksichten lehnte die junge polnische Republik ab.

Der nationalsozialistische Umbau

Maria Eichhorn, Relocating a Structure, 2022. Deutscher Pavillon, 59. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, The Milk of Dreams. Foto: Marco Cappelletti, Courtesy: La Biennale di Venezia
Maria Eichhorn, Relocating a Structure, 2022. Deutscher Pavillon, 59. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, The Milk of Dreams. Foto: Marco Cappelletti, Courtesy: La Biennale di Venezia.

Die Nazis veranlassten im Vorfeld der 21. Internationalen Kunst­ausstellung 1938 die umfassende Umgestaltung des Pavillons im Sinne eines NS-Repräsentations­baus. Nach der Rückseite wurde der Pavillon um drei weitere Ausstellungs­räume und eine Apsis erweitert, das Gebäude insgesamt um mehrere Meter erhöht, der Portikus mit mächtigen Säulen quadratischen Quer­schnitts brutal monumentalisiert.

Der documenta-Gründer Arnold Bode begleitete 1957 (nicht realisierte) Entwürfe für eine Neu­gestaltung des Pavillons mit einer noch heute gültigen Wertung des Ist-Zustands:

Mit seiner kalten, antihumanen „Repräsentation“ erweckt dieser typische Epigonen­bau des Nazi­systems die unüber­windliche Aversion des Besuchers […]. Er widerspricht aller humanitas, die die Bundes­republik mit den gezeigten Kunst­werken beweisen möchte.

Unsichtbarkeiten

Maria Eichhorn, Relocating a Structure, 2022. Deutscher Pavillon, 59. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, The Milk of Dreams. Foto: Marco Cappelletti, Courtesy: La Biennale di Venezia
Maria Eichhorn, Relocating a Structure, 2022. Deutscher Pavillon, 59. Internationale Kunstausstellung – La Biennale di Venezia, The Milk of Dreams. Foto: Marco Cappelletti, Courtesy: La Biennale di Venezia.

Maria Eichhorn verzichtet bei ihrer Lesbar­machung der Baugeschichte des Gebäudes, „das aus zwei Gebäuden besteht“, auf jegliche Form der historisch-didaktischen Erläuterung in oder am Pavillon selbst (sie sind in den Katalog ausgelagert und in Teilen auf den Webauftritt des Deutschen Pavillons). Das macht es den Besucher:innen nicht leicht, einen Zugang zu finden.

Sogar Inschriften mit knappen Hinweisen an den freigelegten Bau­elementen sind in weißer Schrift auf weißem Putz gefasst – nur mit sehr guten Augen oder bei sehr günstiger Sonnen­einstrahlung erkennbar.

Das kann man als konzeptionell stringente Arbeit am Verschwindenlassen verstehen. Es eignet aber auch eine gewisse Esoterik. Jedenfalls sehe ich viele Besucher:innen, die den Pavillon nach kurzer Zeit ohne Verständnis und achsel­zuckend wieder verlassen.

Ganz anderes gilt für Stadt­führungen zu Orten des Wider­stands gegen die deutsche Besatzung Venedigs, die zum Gesamt­konzept von Maria Eichhorns Arbeit am deutschen Pavillon gehören.

Orte des Widerstands

Augusto Murer / Carlo Scarpa, Venezia alla partigiana, 1969. Foto: jvf
Augusto Murer / Carlo Scarpa, Venezia alla partigiana, 1969. Foto: jvf.

Nach dem Sturz Mussolinis besetzten Truppen Nazi­deutschlands im Sommer 1943 Nord­italien und installierten dort ein faschistisches Marionetten­regime. Venedig wurde am 11. September 1943 von deutschen Marine­einheiten besetzt. Antifaschistischen Partisan:innen gelang am 28. April 1945 die Befreiung, noch bevor alliiertes Militär die Stadt erreichte.

Während des mehr als anderthalb­jährigen Terrorregimes der deutschen Besatzer wurden 246 venezianische Jüdinnen und Juden deportiert, bis auf acht Menschen wurden alle in Auschwitz oder auf dem Weg ins Vernichtungslager ermordet.

Während der Laufzeit der Biennale führen, jeweils am Dienstag- und Donnerstag­nachmittag, drei im Wechsel angebotene Touren zu Orten des Widerstands und Gedenk­stätten in Venedig: Im Jüdischen Ghetto (Tour A), am Bahnhof und im Dorsoduro (Tour B) oder von den Arsenale bis zum Denkmal der Partisanin am Ufer bei den Giardini (Tour C).

Die Touren sind in Zusammen­arbeit mit dem Istituto veneziano per la storia della Resistenza e della societá contemporanea organisiert (Anmeldung auf den Seiten des Deutschen Pavillons).