Die Goldenen Löwen – Biennale Venedig 2015
Goldener Löwe für Armenien
Die 56. Kunstbiennale in Venedig zeichnet den armenischen Pavillon als besten nationalen Beitrag aus. Den Preis der besten Künstlerin nimmt Adrian Piper mit nach Berlin, vielversprechendste junge Künstlerin ist Im Heung-Soon. Goldene Löwen fürs Lebenswerk gehen an den Bildhauer El Anatsui und die Kuratorin Susanne Ghez.
Armenia: Armenity / Haiyutioun. Contemporary artists from the Armenian Diaspora. 56. Esposizione Internazionale d’Arte – la Biennale di Venezia, All the World’s Futures. Photo by Sara Sagui. Courtesy by la Biennale di Venezia.
Abseits der zentralen Ausstellungsorte der Biennale, draußen auf der Insel San Lazzaro, dort wo ein Mechitaristenkloster sich seit bald 300 Jahren um die armenische Sprache und Kultur verdient macht, ist der nationale Beitrag Armeniens zur Biennale eingerichtet und erinnert an den Völkermord vor 100 Jahren: 16 Künstler und Kollektive aus der Diaspora, Enkel der Überlebenden, setzen sich unter dem Label „Armenity / Haiyutioun“ mit der Geschichte ihrer Vorfahren und ihrer Identität auseinander. Nach Ansicht der Jury der 56. Internationalen Kunstausstellung in Venedig der beste nationale Pavillon der Saison. Kann man vielleicht machen, die Gesamtkonzeption der Ausstellung und die Inszenierung auf der Klosterinsel sind beeindruckend.
Hrair Sarkissian, Unexposed, 2012. Courtesy Kalfayan Galleries, Athens/ThessalonikiDie einzelnen Kunstwerke sind aber nicht uneingeschränkt auf der Höhe des Preises. Neben wunderbaren Sachen von Sarkis (*1938 in Istanbul), der auch den türkischen Pavillon im Arsenal bespielt, sind vor allem sechs Fotoarbeiten von Hrair Sarkissian (*1973 in Damaskus) bemerkenswert: Unexposed (2012) zeigen Nachfahren von Armeniern, die sich durch Konversion zum Islam vor dem Völkermord retten konnten, diese Nachfahren seien wiederum zum Christentum übergetreten und bleiben im Halbdunkel unkenntlich, sehr eindrucksvoll und etwas beunruhigend. Man kann diese Bilder und diese Ausstellung im christlichen Kloster nicht nur als Baustein in der verspäteten Aufarbeitung des ersten Völkmords des 20. Jahrhunderts nehmen, sondern leider auch als Reisig für zukünftige religiös-fundamentalistische Zündeleien. Ich weiß nicht.
Beste Künstlerin: Adrian Piper
Zur besten Künstlerin der von Okwui Enwezor kuratierten Zentralausstellung „All the World’s Futures“ wählt die Jury Adrian Piper. Die 1948 in New York geborene Konzeptkünstlerin lebt seit 2005 in Berlin. Nach Ansicht der Jury ist Piper eine Pionierin, die die Konzeptkunst um subjektive Aspekte erweitert habe. Sie lade uns sowohl ein zu einer lebenslangen Einübung in Sachen persönlicher Verantwortung, lenke aber zum anderen die Aufmerksamkeit auch auf den flüchtigen und wandelbaren Charakter von Wertesystemen. So in etwa.
Adrian Piper. Premazione – 56. Esposizione Internazionale d’Arte – la Biennale di Venezia, All the World’s Futures. Foto: Andrea Avezzù. Courtesy by la Biennale di Venezia.
Mit den in ausgestellten Sachen kann die Preiszuteilung nur bedingt begründet werden: Vier alte Schultafeln, auf die in Strafarbeitsschrift fünfundzwanzigmal „Everything will be taken away“ geschrieben steht, und fünfzehn Fotokopien von alten Portrait- und Gruppenaufnahmen, die Gesichter weggeschmirgelt und mit dem Satz „Everything will be taken away“ überschrieben (Everything #21, 2010/13 und Everything #2, 2003). Dazu The Probable Trust Registry: The Rules of the Game #1-3 (2013), eine partizipatorische Aktion, bei der man eine persönliche Erklärung abgeben kann, die 100 Jahre unter Verschluss bleibt – wenn ich die Regeln des Spiels richtig verstanden habe.
Beste junge Künstlerin: Im Heung-Soon
Ganz uneingeschränkt in Ordnung dagegen geht die Auszeichnung der koreanische Videomacherin Im Heung-Soon (*1969) als vielversprechendste junge Künstlerin. Sie verschaffe mit ihrer bewegenden Arbeit Factory Complex Einblicke in die prekären Arbeitsbedingungen von Frauen in Asien, meint die Jury.
Im Heung-soon, Factory Complex, 2014. Videoinstallation, 81 min – 56. Esposizione Internazionale d’Arte – la Biennale di Venezia, All the World’s Futures. Foto: Alessandra Chemollo. Courtesy by la Biennale di Venezia.
Im Heung-Soon kombiniert in ihrem Video Kurzinterviews mit Arbeiterinnen, Dokumentaraufnahmen aus Fabriken Ostasiens, found footage und symbolische Reinszenierungen für ein Panorama der Arbeit in den Tigerstaaten und ihrem Hinterland: Arbeit in den Nähfabriken eines Industrieparks in Kambodscha, Mai-Demonstrationen von Arbeitsmigranten in Südkorea, Überlebende von Industrieunfällen.
Goldene Löwen fürs Lebenswerk: El Anatsui und Susanne Ghez
Mit einem Goldenen Löwen für das Lebenswerk wird der westafrikanische Künster El Anatsui ausgezeichnet. Der Bildhauer, geboren 1944 in Anyako (Ghana), lebt und arbeitet in Nsukka (Nigeria) seit er 1975 einen Lehrauftrag an der dortigen Universität angenommen hat.
El Anatsui, Goldener Löwe für sein Lebenswerk – 56. Esposizione Internazionale d’Arte – la Biennale di Venezia, All the World’s Futures. Courtesy by la Biennale di Venezia.
El Anatsui arbeitet vonehmlich mit Alltagsmaterialien, gerne mit Müll. Berühmt geworden sind seine großflächigen, tapisserieartigen Mosaike aus Kupferdraht und Flaschenverschlüssen. Mit einer entsprechenden Arbeit verwandelte er während der Biennale 2007 die Fassade des venezianischen Palazzo Fortuny in eine Wandskulptur. Der Kurator der 56. Internationalen Kunstausstellung der Biennale, Okwui Enwezor, begründete die Auszeichnung damit, dass El Anatsui der „vielleicht bedeutendste lebende afrikanische Künstler“ sei und „ungemein zur Anerkennung afrikanischer Gegenwartskünstler in der globalen Arena beigetragen“ habe.
Für ihre Verdienste um die Gegenwartskunst wird zudem die amerikanische Kuratorin Susanne Ghez mit einem goldenen Sonderlöwen versorgt. Ghez habe in ihren über 160 Ausstellung seit den 1970er Jahren eine Pionierrolle für die Gegenwartskunst ausgefüllt, u.a. habe sie jungen Künstler wie Jeff Wall, Mike Kelley, Isa Genzken, Thomas Struth und Kara Walker erste museale Ausstellungen verschafft.
Die Jury und die Löwen
Abgesehen von den Löwen fürs Lebenswerk, die de facto vom Kurator der Zentralausstellung zugeteilt werden, ist eine heuer fünfköpfige, internationale Jury von Ausstellungsmachern und Museumsdirektoren für die Vergabe der restlichen Löwen zuständig: Naomi Beckwith (USA), Sabine Breitwieser (Österreich), Mario Codognato (Italien), Ranjit Hoskote (Indien), Yongwoo Lee (Südkorea).
Goldene und silberne Löwen werden erst seit 1986 auf der Kunstbiennale von Venedig verliehen, übernommen von der Kinobiennale, wo es die Löwen schon seit 1949 gibt. Auf der letzten Biennale, 2013, ging ein Goldener Löwe für den besten nationalen Beitrag an den Pavillon Angolas, die Auszeichnung als bester Künstler an den britisch-deutschen Performancekünstler Tino Sehgal. Mit Goldenen Löwen fürs Lebenswerk versehen wurden die im Frühjahr 2014 verstorbene, österreichische Malerin Maria Lassnig und die italienische Bildhauerin Marisa Merz. Einen Silbernen Löwen als vielversprechendste junge Künstlerin nahm Camille Henrot mit nach Hause.