Kulturraum NRW


Biennale Venedig 2019: Die 58. Internationale Kunstausstellung

„May you live in interesting times“

Noch bis 24. November 2019 tobt in Venedig die Biennale di Venezia mit der 58. Internationale Kunstausstellung. Ralph Rugoff hat die Zentralausstellung kuratiert. Natascha Sadr Haghighian bespielt den deutschen Pavillon. Goldene Löwen gehen an den litauischen Pavillon, Arthur Jafa und Jimmie Durham.

Stadtansicht Venedig, Markusplatz. Foto: jvf

Die letzte Kunstbiennale in Venedig hat – wie seit 2007 in jeder Runde – einen neuen Besucher­rekord aufgestellt: Genau 615.152 Besucher sollen es 2017 gewesen sein. In der 58. Auflage sind jetzt seit 11. Mai 2019 die Zentral­ausstellung, die Ausstellungen in den nationalen Pavillons („partecipazioni nazionali“) und die Neben­ausstellungen („eventi collaterali“) geöffnet. Sie machen zusammen die weltweit größte Anhäufung in Sachen Gegenwarts­kunst.

„Mögest du in interessanten Zeiten leben!“

Die 58. Esposizione Internazionale d’Arte ist von Ralph Rugoff kuratiert. Der 1957 in New York geborene Ausstellungs­macher arbeitet seit 2006 als Direktor der Hayward Gallery, der renommierten Kunsthalle an der Londoner Southbank. 2015 kuratierte er die Biennale der Gegenwarts­kunst in Lyon. Er ist berühmt und auch etwas berüchtigt für einen kommunikations- und publikums­orientierten Ansatz kuratorischer Praxis. Einen „gewieften Popularisierer der Kunst“ nennt ihn der Kunstkritiker Carsten Probst im Deutschland­funk.

Entsprechend sagt Rugoff in seinem mission statement für die venezianische Kunstschau:

Letztendlich strebt die Biennale Arte 2019 nach dem Ideal, dass das Wichtigste an einer Ausstellung nicht das ist, was sie ausstellt, sondern wie das Publikum seine Erfahrungen mit der Ausstellung hinterher nutzen kann, um Alltags­realitäten aus erweiterten Blick­winkeln und mit neuen Energien entgegen zu treten. Eine Ausstellung sollte die Augen der Menschen öffnen für bislang nicht bedachte Lebens­möglichkeiten und so ihre Sicht auf die Welt verändern.

Rugoff stellt dabei seine Zentral­ausstellung unter das Label May you live in interesting times. Dass dies eine alte chinesische Fluchformel sei, ist vermutlich die Erfindung eines westlichen Diplomaten in den 1930er Jahren. Er macht aber seitdem Karriere im politischen Diskurs, wenn es um die Rhetorik krisenhafter Zuspitzungen geht.

„Ungewisse Artefakte“ wie dieser „gefälschte Fluch“ schlügen, so Rugoff, mögliche Erkundungs­wege vor, die es Wert seien, gegenwärtig verfolgt zu werden. Kunst könne nicht den Aufstieg nationalistischer Bewegungen oder autoritärer Regime verhindern oder das tragische Schicksal von Flüchtenden lindern. Aber auf indirekte Weise könne Kunst vielleicht eine Anleitung geben, wie man in diesen ‚interessanten Zeiten‘ leben und denken soll.

Ausgestellt werden Werke von 79 Künstlerinnen, Künstlern, Diversen, Duos und Kollektiven. Zu den etabliertesten Kunstschaffenden zählen Rosemarie Trockel, Christian Marclay, Hito Steyerl, Jimmie Durham, Otobong Nkanga, Danh Vo, Shilpa Gupta und Tomás Saraceno. Der älteste Künstler ist Jimmie Durham (*1940), der jüngste Augustas Serapinas (*1990). Als Wohn- und Arbeitsort geben 16 Ausstellende New York an, 13 Berlin und nur 2 Köln (Cameron Jamie und Rosemarie Trockel). Die vollständige Liste gibt es u.a. bei der Biennial Foundation.

Partecipazioni nazionali

Giardini. Foto: jvf

Wichtiger als die Zentral­ausstellung sind für den Charakter der Biennale aber ohnehin die nationalen und regionalen Ausstellungen. In den festen Pavillons der Giardini, in den Hallen der ehemaligen Schiffswerft (Arsenale) und in Locations verteilt über die ganze Stadt verschaffen sie einen viel­fältigen Einblick in das gegenwärtige Kunstmachen weltweit.

Nach kurzfristigen Absagen und Zusagen und verspäteter Eröffnung sind jetzt 87 solcher nationalen Beiträge dabei. Das erste Mal vertreten sind Madagaskar, Malaysia, Pakistan und Ghana (letzteres mit einem fulminanten Auftritt).

Venedig, Calle Nuova. Foto: jvf

Die besten nationalen Pavillons – Biennale Venedig 2019

Ein kritischer Rundgang

Litauen, Belgien, Schweiz, Brasilien, Albanien, USA, Portugal, Ghana und Kroatien: Ein kritischer Rundgang durch die besten Pavillons der 58. Internationalen Kunstausstellung in Venedig 2019. [mehr]

Den deutschen Pavillon bespielt unterdessen „Natascha Süder Happelmann“, ein Pseudonym von Natascha Sadr Haghighian. Das „Entbinden des Künstler­subjekts von repräsentativen Rollen oder politischen Instrumentali­sierungen ist immer wieder Bestandteil der künstlerischen Praxis“ von Sadr Haghighian, so erläutert das Institut für Auslands­beziehungen, das den deutschen Pavillon verantwortet. Die Künstlerin ist seit 2014 Professorin für Bildhauerei in Bremen und sei, so das ifa, „eine wichtige Stimme der Gegenwarts­kunst“, die in ihren Arbeiten „das poetische, imaginäre und kritische Potenzial von Kunst zur Entfaltung“ bringe.

Eventi collaterali

Neben Zentralausstellung und den nationalen Ausstellungen stehen dieses Jahr 21 Nebenveranstaltungen (eventi collaterali) auf der Agenda der Biennale Venedig.

Darunter sind wie immer regionale Präsentationen, die nach den Regeln der Biennale nicht als nationale Ausstellungen durchgehen: Das Taipei Fine Arts Museum aus Taiwan und das Institut Ramon Llull aus Katalonien etwa gehören da ebenso zu den Veranstaltern wie Kulturinstitute aus Wales und Schottland (letzteres organisiert eine Schau mit Arbeiten von Charlotte Prodger, der Gewinnerin des Turner Prize 2018).

Außerdem stehen auf der Liste u.a.: Baselitz in den Gallerie dell’Accademia, Philippe Parreno in der Fondation Louis Vuitton und die Shortlist-Schau des Future Generation Art Prize der Pinchuk Stiftung.

Venedig, Vaporetto mit Biennalewerbung. Foto: jvf

Die besten Neben- und Parallelausstellungen – Biennale Venedig 2019

Eine Auswahl

Von AFRICOBRA, Baselitz und Burri über Frankenthaler, Gorky, Jonas und Kounellis bis hin zu Scully, Škarnulytė und Edmund de Waal: Welche Neben- und Parallelausstellungen zur Biennale Venedig 2019 lohnen den Besuch? [mehr]

Die Goldenen Löwen

Goldene und silberne Löwen werden seit 1986 auf der Kunstbiennale von Venedig verliehen. Neben der Auszeichnung fürs Lebenswerk schüttet die Biennale weitere Löwen für den besten nationalen Pavillon, die beste Künstlerin der Zentral­ausstellung und den besten Nachwuchs­künstler aus.

Litauischer Pavillon, Biennale di Venezia 2019. Lina Lapelytė, Vaiva Grainytė und Rugilė Barzdžiukaitė, Sun and Sea. Foto: © Andrej Vasilenko

Die Goldenen Löwen – Biennale Venedig 2019

Goldene Löwen für Litauen, Arthur Jafa und Jimmie Durham

Die 58. Kunstbiennale in Venedig zeichnet den litauischen Pavillon als besten nationalen Beitrag aus. Den Preis des besten Künstlers nimmt Arthur Jafa mit nach Hause. Vielversprechendste junge Künstlerin ist Haris Epaminonda. Ein Goldener Löwe fürs Lebenswerk geht an Jimmie Durham. [mehr]

Rückblick

Die Biennale von Venedig geht heuer ins 124ste Jahr. Seit 1895 findet die Internationale Kunst­ausstellung im Zweijahres­rhythmus statt (vor allem kriegsbedingt fiel die Kunstschau in einigen Jahren aus).

Giacomo Grosso, Il supremo convegno, 1895. Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: PD-Art

Rückblick: Die erste Biennale von Venedig 1895

Ia Esposizione Internazionale d’Arte di Venezia

Im April 1895 eröffnet die 1. Internationale Kunst­ausstellung der Biennale von Venedig. Sie ist ein Publikumsrenner, zeigt ein Skandalbild, zieht prominente Kunstkäufer an. Der Anfang von mehr als 120 Jahren Geschichte der Biennale. [mehr]

58. Esposizione Internazionale d’Arte. La Biennale di Venezia. May you live in interesting times. K: Ralph Rugoff. Venedig, 11. Mai – 24. November 2019.