Kulturraum NRW


Die Spielzeit 2023/2024: Zeitgenössische Opern in NRW

Die Merkliste Oper

Aus den Spielzeitheften 2023/24 der Opernbühnen in NRW: Was kann man sich in Sachen Gegenwartsoper vormerken? Uraufführungen in Düsseldorf, M’gladbach, Köln. Erstaufführungen in Dortmund und Bielefeld. Angehende Klassiker in Wuppertal, Bonn und Detmold.


Deutsche Oper am Rhein an der Heinrich-Heine-Allee, Düsseldorf. Ausschnitt. Foto: Jula2812. Lizenz: CC BY-SA 4.0, Quelle: Wikimedia Commons.

Uraufführungen in Düssel­dorf und Mönchen­gladbach

Für Anfang Dezember 2023 plant die Deutsche Oper am Rhein in ihrem Düsseldorfer Haus die Urauf­führung der achten Oper von Manfred Trojahn (*1949). Für die rund zwei­stündige Sep­tem­ber­­so­na­te hat der in Düssel­dorf und Paris lebende Komponist nach Vorlage einer ghost story von Henry James selbst das Libretto gestrickt (UA: 9. Dezember 2023).

Angesichts Trojahns erst im Vorjahr in Amster­dam urauf­geführter siebter Oper, Eurydice — Die Liebenden, blind, lobte die Kritikerin der Financial Times die „wunder­schön gearbeitete, in der Tradition verwurzelte“ Partitur mit ihren „deutlichen An­spielungen auf Debussy“ (Amsterdam’s Opera Forward festival trafficks in grief and loss).

Ganz was anderes: Was passiert eigent­lich mit Aida und Radamès, wenn bei Verdi der Vorhang gefallen ist? Leben­dig begraben im Gewölbe, wird sie ja nicht unmittel­bar in seinen Armen sterben. Die Frage beant­wortet Stefan Heucke (*1959) in einer kurzen Kammer­oper in sieben Szenen.

Aida – der fünfte Akt wird bereits Anfang Septem­ber 2023 im Güdderather Bunker – im Rahmen des Festivals „Herbst­zeitlose 2023“ – urauf­geführt und danach in die Krefelder Fabrik Heeder über­nommen (UA: 3. September 2023).


Stefan Heucke 2018 auf Schloss Opherdicke. Foto: Ursus Samaga. Lizenz: CC BY-SA 4.0, Quelle: Wikimedia Commons.

Zwei Uraufführungen in Köln

Die Oper Köln bringt Ende Septem­ber 2023 die Urauf­führung von Frank Pescis The Strangers über die Bühne des Staaten­hauses. Der Zwei­akter des in Köln lebenden Komponisten (*1974) erzählt vom Schicksal sizilia­nischer Ein­wanderer und von Fremden­feindlich­keit im New Orleans der 1890er Jahre (Libretto von Andrew Altenbach).

The Strangers sei „ein zeit­genössischer, emotionaler und eindring­licher Opern­abend mit klarer Erzähl­struktur und einem der gesell­schaftlichen Themen, die unsere Zeit berühren“, ver­spricht die Oper Köln. Auf Youtube kann man einen ersten Ein­druck gewinnen: The Strangers – an opera in develop­ment (UA: 30. September 2023).

Fürs Ende der Spiel­zeit hat sich dann die Kölner Oper die Urauf­führung von INES vorge­nommen. Die jüngste Oper von Ondřej Adámek (*1979) stellt den Orpheus-Mythos unter die Bedingungen einer Atom­kata­strophe (Libretto: Katha­rina Schmitt) – INES heißt die acht­stufige Skala, mit der man die Schwere von Stör- und Unfällen in kern­technischen Anlagen angibt (UA: 16. Juni 2024).


INES - Internationale Bewertungsskala für nukleare Ereignisse. Grafik: Silver Spoon. Lizenz: CC BY-SA 3.0, Quelle: Wikimedia Commons. Benennungen angepasst gemäß Angaben des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung.

Zwei deutsche Erstauf­führungen in Dort­mund und Biele­feld

Das Theater Dortmund hat sich die (szenische) deutsche Erst­aufführung von György Kurtágs (*1926) Fin de Partie auf die Agenda genommen. Die Urauf­führung der rund zwei­stündigen Oper nach Samuel Becketts gleich­namigem Endzeit­drama, 2018 an der Mailänder Scala, wurde seiner­zeit als „Urauf­führung des Jahres“ gefeiert und ausge­zeichnet.

Der belgische Komponist Wim Henderickx hat im Hin­blick auf die konzertante Auf­führung dieser einzigen Oper Kurtágs 2022 in Ant­werpen geur­teilt, das sei „Musik, die zum Wesent­lichen geht“, Fin de partie sei „wirk­lich ein Meilen­stein in Kurtágs Werk“, dem „Nestor der zeit­genössischen Musik“ (Composer Wim Henderickx about „Fin de partie“) (DE: 1. März 2024).

Die letzte Oper von Wim Henderickx, der Dezember 2022 im Alter von nur 60 Jahren ver­storben ist, bringt das Theater Biele­feld dann im Früh­jahr 2024 in deut­scher Erst­aufführung über die Bühne. Der Zwei­akter The Convert (Libretto: Krystian Lada, nach einem histori­schen Roman von Stefan Hertmans) erzählt von Liebe, religiöser Ver­folgung und Flucht im Europa und im nahen Osten des 11. Jahr­hunderts.


Wim Henderickx, 2013. Mod, jvf. Foto: Milan Henderickx. Lizenz: CC BY 3.0, Quelle: Wikimedia Commons.

Der Kritiker von pzazz war angesichts der Urauf­führung 2022 in Ant­werpen zwar von Regie und Libretto nicht überzeugt, sehr wohl aber von der Partitur, die einen „faszi­nierenden Musik­abend“ von „musi­kalischem Reich­tum und erzäh­lerischer Kraft“ ergebe. Henderickx’ Musik bringe „das Orchester zum Leuchten“ (Krachtige opera, zwakke regie) (DE: 13. April 2024).

Zeitgenössische Oper im Repertoire

Zur Eröffnung der Spiel­zeit 2023/24 richtet die Wupper­taler Oper die NRW-Erst­aufführung von Du Yuns (*1977) Angel’s Bone ein. Die knapp 1½-stündige Oper (Libretto: Royce Vavrek) mobili­siert verschie­denste Musik­stile – von sakraler Mehr­stimmigkeit bis hin zum Song – und erzählt parabel­haft von moderner Sklaverei und Menschen­handel.

„Ein knallhartes Stück, das an die Nieren geht“, schrieb der Kritiker des Orpheus angesichts einer Inszenierung in Augsburg im Frühjahr 2023 (Zwei Engel und eine Chuzpe). Für die 2016 in New York urauf­geführte Oper wurde Du Yun mit dem Pulitzer Prize für Musik aus­gezeichnet (P: 1. September 2023).


Flughafen Köln-Bonn - Schriftzug „Köln Bonn Airport Konrad Adenauer“ am Hauptgebäude des Terminal 1. Foto: © Raimond Spekking. Lizenz: CC BY-SA 4.0, Quelle: Wikimedia Commons.

Das Theater Bonn ist mit etwas leichterer Kost unter­wegs und spielt im Januar 2024 Jonathan Doves (*1959) tragi­komische Oper Flight ein. Der Drei­akter (Libretto: April De Angelis) lässt während eines Un­wetters in einem namen­losen Flug­hafen wartende Reisende auf­einander treffen und nimmt dabei auch Motive der Lebens­geschichte von Mehran Karimi Nasseri auf, dem iranischen Flücht­ling, der 18 Jahre im Flug­hafen Charles de Gaulle lebte.

Nicht alle Kritiker:innen sind von Doves, 1998 im Glynde­bourne Opera House uraufge­führtem Stück über­zeugt. Die Rezen­sentin von „Oper und Tanz“ urteilte jeden­falls an­gesichts der deutschen Erst­aufführung vor zwanzig Jahren in Leipzig: „Musik und Handlung tragen einfach keine drei­aktige abend­füllende Oper“ (Oper mit Start­schwierigkeiten) – (P: 21. Januar 2024).

Das Landestheater Detmold schließ­lich nimmt sich im Früh­jahr 2024 mit Dead Man Walking von Jake Heggie (*1961) eine der meist­inszenierten zeit­genössischen Opern vor. Die Story des, 2000 in San Fran­cisco urauf­geführten, rund 2½-stündigen Zwei­akters basiert auf dem gleich­namigen Buch der ameri­kanischen Ordens­schwester und Akti­vistin gegen die Todes­strafe Helen Prejean (Libretto: Terrence McNally).

Als die Oper 2019 neben­an in Biele­feld über die Bühne ging, war die Meinung der Kritik gespalten. Der Kriti­ker des Deutschland­funks be­mängelte an Heggies Musik, es gebe „kaum Rätsel, kaum Ecken und Kanten […] in diesen stets an­genehmen Dur-moll Welten, die stellen­weise auf­gepeppt sind mit Schlagzeug­beats rockigen Zuschnitts“ (Mensch­liche Schick­sale im Todes­trakt). Der Rezen­sent des „Opern­freund“ dagegen hörte „eine griffige und emotional packende Musik […] auf dem Boden der Tona­lität“ (Bielefeld: „Dead Man Walking“) – (P: 17. Mai 2024).

Merkliste Oper 2023/2024 NRW

Die Angaben zu den Aufführungen sind den langfristigen Planungen und Vorankündigungen der Musiktheater in NRW entnommen (Stand 1. Juli 2023). Bevor Sie zu einem Opernabend anreisen, informieren Sie sich bitte bei den jeweiligen Veranstaltern über etwaige Planänderungen oder Verschiebungen.