Die Theatersaison 2011/2012 in der Rheinprovinz
Düsseldorf, Leverkusen und Köln
In der Spielzeit 2011/2012 versucht die neue Intendanz in Düsseldorf, die Weltstadt am Rhein mit etwas Internationalität zu pimpen. Unterdessen suchen in Leverkusen Kenianer nach einem Job und Claus Peymann nach einer Hose. In der Domstadt am Rhein hat man vielleicht Chinesen zu Gast, bevor man getrennte Wege geht: in die Kölner Nordstadt und später nach Hamburg.
Warum die Intendanz von Amélie Niermeyer, von 2006 bis 2011, sowohl beim Publikum als auch bei der Kritik nur wenig Begeisterung geweckt hat, kann ich bis heute nicht recht nachvollziehen. Ich habe in den letzten Jahren im Düsseldorfer Schauspielhaus jedenfalls zum Teil ganz großartiges Theater gesehen, oft allerdings vor peinlich leeren Rängen und wenig aufgeschlossenen Besuchern.
Jetzt ist die Niermeyer weg, unterrichtet am Mozarteum in Salzburg und ist als freie Regisseurin unterwegs. Ihr Nachfolger am Gustaf-Gründgens-Platz, Staffan Valdemar Holm, zuletzt Intendant am Stockholmer Nationaltheater, soll jetzt die selbsternannte Weltstadt am Rhein mit internationalem Flair auffüllen. Er veranstaltet dann auch gleich zu Beginn der Saison ein „Willkommen!“ gelabeltes Festival, mit Gastspielen aus Berlin, Brüssel, Antwerpen, Weimar, Tokio und Santiago de Chile. Aus Belgrad bringt Holm dazu seine eigene Inszenierung von Euripides‘ Bakchen mit (Festival, 28.10. 25.10. – 6.11.2011).
Die erste Neuinszenierung im Großen Haus, wieder eröffnet nach mit Verzögerung abgeschlossener Asbestsanierung, ist ebenfalls Chefsache: Hamlet (14.10.2011 4.11.2011). Im Januar dann kommt Andrea Breth aus der Wiener Burg herbei geeilt und richtet Jean Anouilhs Verhaftung Isaak Babels Marija ein (7.1.2012). Gleich darauf inszeniert Stéphane Braunschweig, Chef des Théâtre National de la Colline in Paris, die deutsche Erstaufführung von Arne Lygres Tage unter und hat dafür Udo Samel im Kader (14.1.2012).
Auftakt zur Endzeit
Zwei Uraufführungen von Auftragswerken des Düsseldorfer Schauspiels werden dann Anfang 2012 Hilfestellungen in Sachen Einstimmung in die Endzeit geben. Tine Rahel Völcker diagnostiziert zusammen mit Regisseurin Nora Schlocker das Ende der bürgerlichen Gesellschaft: Kein Science-Fiction (4.2.1012). Und der chilenische Autor und Regisseur Guillermo Calderón arbeitet an einem Stück, Beben, das Fragen nach den Folgen von Naturkatastrophen für das menschliche Selbst- und Weltbild nachspürt. Er wird das in eigener Regie zur Aufführung bringen (30.3.2012).
Daneben gibt es u.a. Dramatisierungen von Houllebecq (Falk Richter, 16.10.2011), Kafka (Andrej Mogutschi, 24.3.2012) und Goethes Wahlverwandtschaften (Oliver Reese, 13.4.2012).
Mehr Raum fürs Orchester
Auf der anderen Seite des Hofgartens, in der Deutschen Oper am Rhein, wird der Spielbetrieb heuer etwas später aufgenommen: Zunächst stehen Bauarbeiten zur Vergrößerung des Orchestergrabens an und auch in Sachen Lüftung und Brandschutz muss der großen Sanierung vor einigen Jahren nachgearbeitet werden. Am 2. Dezember hat dann Rossinis Il barbiere di Siviglia Premiere. Interessanter wird es Ende Januar, wenn mit Castor et Pollux die Reihe mit Werken des französischen Barockkomponisten Jean-Philippe Rameau fort gesetzt wird (28.1.2012). Spannend könnte auch Sabine Hartmannshenns Inszenierung von Strawinskys Rake’s Progress werden (23.5.2012).
Im Sommer 2012 dann macht sich Düsseldorf verdient um das zeitgenössische Opernwesen und bringt im Central in der alten Paketpost das Auftragswerk Mörder Kaspar Brand zur Uraufführung. Das Stück des einunddreißig Jahre alten Komponisten Anno Schreier, nach einem Libretto von Philipp J. Neumann, fragt: „Wie verändert sich eine normale Person, nachdem sie das Leben einer anderen vorsätzlich beendet hat?“. Das wird gut zu wissen sein (14.6.2012).
Der Glaube im Erholungshaus
Die Spielzeit im Leverkusener Erholungshaus ist „Glaube und Wissen“ überschrieben. Zu Gast sind u.a. Nick Hornbys Nipple Jesus aus Hamburg (13.10.2011), Woody Allens Gott aus Mülheim (14.1.2012), Horváths Glaube Liebe Hoffnung aus Bremen (2.6.2012). Aus dem Berliner Ballhaus Naunynstraße bringt Nurkan Erpulat Verrücktes Blut vorbei (8.1.2012) und Armin Petras aus dem Maxim-Gorki-Theater Kleists Erdbeben in Chili mit (27.1.2012) – einen Tag später hat Laurent Chétouanes Version des Kleist-Texts in Köln Premiere (s.u.).
Wie jetzt Thomas Bernhards Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen in diesen Themenkomplex rein passt, weiß ich gerade auch nicht, egal, das Berliner Ensemble ist in Gestalt von Peymann und Beil am 17.9.2011 vor Ort für eine szenische Lesung. Interessant werden könnte ein Gastspiel des Hope Theatre Nairobi: The Dream of Getting a Job sei eine „multimediale afrikanische Revue“, die der österreichische Regisseur Stephan Bruckmeier „mit dem Ensemble im Rahmen von Workshop erarbeitet“ habe. Mal schauen (15.4.2012).
Unterwegs ins Exil
Das Kölner Schauspielhaus hat eine herausragende Spielzeit hinter sich, mit ganz wunderbaren Inszenierungen u.a. von Tschechows Kirschgarten und Jelineks Werk. Heuer steht die letzte Saison vor der Sanierung des Hauses an und also vor Umzug in die Interimsspielstätte am Gladbacher Wall in der Kölner Nordstadt. Und wahrscheinlich ist das die vorletzte Spielzeit mit Intendantin Karin Beier, die von der Kölner Kulturpolitik ins Hamburgische Exil getrieben wird, wo sie 2013 die Intendanz des Deutschen Schauspielhauses übernimmt.
Den Saisonauftakt macht die Uraufführung eines neuen Jelinek-Texts Kein Licht. Mehr nicht, den Beier in ihr Projekt Demokratie in Abendstunden integrieren will (Schauspielhaus, 30.9.2011). Die Chefin richtet plante später noch Gorkis eher selten gespieltes Familiensozialdrama Die Letzten (Schauspielhaus, 22.12.2011) für die Bühne ein einzurichten, das ist aus Finanzgründen gestrichen.
Musikalisch-Statistisches und englische Wochen
Musikalisch-theatralische Experimente bereiten Schorch Kamerun (Der entkommene Aufstand, Halle Kalk, 25.11.2011) und Nicolas Stemann (Der demographische Faktor, Schauspielhaus, 16.3.2012) vor. Rimini Protokoll wird in Köln – auch in Zusammenarbeit mit dem WDR – ihr statistisch-theatralisches Experiment 100 Prozent Berlin (2008) auf Kölner Verhältnisse übertragen (Hundert Prozent Köln, Schauspielhaus, 10.11.2011).
Im Frühjahr dann gibt es in der Halle Kalk englische Wochen: Dieter Giesing inszeniert Simon Stephens neues Stück Wastwater (Halle Kalk, Ende März 2012) und Katie Mitchell dramatisiert W. G. Sebalds wunderbare Exkursion durch Suffolk, die Ringe des Saturn. Eine englische Wallfahrt (Halle Kalk, 11.5.2012).
Karin Henkel bringt vorher noch eine Dramatisierung von Dostojewskis Idiot ins Schauspielhaus (20.4.2012) und Laurent Chétouane wird von Kleists Erdbeben in Chili wenig übrig lassen (Halle Kalk, 28.1.2012).
Im Schatten des Schauspiels
Seit Jahren im Schatten des Schauspiels wird sich die Oper der Stadt Köln auch in der kommenden Saison redlich um Anerkennung bemühen. Den Auftakt macht Prokofjews Krieg und Frieden (16.9.2011). Vorgemerkt habe ich mir außerdem Monteverdis Ritorno d’Ulisse (25.2.2012). Katharina Thalbach wird wie in den letzten Jahren wieder in Köln inszenieren, diesmal Verdis Rigoletto (15.3.2012). Mal schauen, ihr letzter Versuch (Mahagonny) war nicht ganz überzeugend.
Besonders gespannt bin ich auf zwei Gastspiele. Im Oktober ist die Tanzkombo Sascha Waltz & Guests mit Körper vor Ort. Das Stück tourt seit mehr als zehn Jahren durchs Land und ich habe von Frau Waltz noch nie etwas gesehen, das nicht absolut faszinierend gewesen wäre (6./7.10.2011). In Planung ist zudem für November ein Gastspiel der Schanghai Kun Oper mit dem Klassiker Palast ewiger Jugend. Die vier Akte des rund zehnstündigen Stücks sollen über vier Abende verteilt auf die Bühne des Opernhauses gebracht werden (5.-8.11.2011). Mal gucken, ob das funktioniert, nachdem die Kölner Oper Ai Weiwei eingeladen hat, für einen Fidelio im Herbst 2012 das Bühnenbild zu machen.
Cologne Off Broadway
Im Theater am Sachsenring kämpft Südstadtprinzipal Joe Knipp weiter an gegen den finanziellen Kahlschlag in der kommunalen Förderung der freien Szene und grantelt in seinem Blog gegen das Stadttheaterwesen. In seiner seit März 2011 wiedereröffneten Schaubühne dreht er dem Düsseldorfer Schauspiel eine lange Nase und bringt seinen Hamlet schon am 6.10.2011 auf die Bühne. Für den November steht eine Begegnung von Oswald Spengler, Walter Benjamin und Robert Walser im Berlin des Jahres 1911 im Kalender, Hannelore Honnen hat das Gipfeltreffen der Jungspunde getextet, das Knipp zur Uraufführung bringt (Satisfaktion, 15.11.2011).
Im Theater im Bauturm steht nach Goethes Faust (17.9.2011) Lutz Hübners Eltern-Kinder-Lehrer-Komödie Frau Müller muss weg auf dem Plan (19.11.2011) und später Roland Schimmelpfennigs – 2010 mit dem Mülheimer Dramatikerpreis ausgezeichnete – Erkundungen im Milieu der Asia-Imbisse: Der goldene Drache (24.4.2012).
Das Theater der Keller setzt ganz auf die Mobilmachung von Klassikern für die Gegenwart: Peter Lichts Vergegenwärtigung von Molières Der Geizige macht den Auftakt schon am 9.9.2011, später folgen u.a. Shakespeares Othello in der Neuübersetzung von Zaimoglu und Senkel (16.12.2011) und eine Dramatisierung von Schillers Kriminalbericht Der Verbrecher aus verlorener Ehre (3.2.2012). Hinzu kommt aus der Gegenwartsdramatik Nis-Momme Stockmanns Familienaufstellung Die Ängstlichen und die Brutalen (9.3.2012).