Kulturraum NRW


Die Theatersaison 2011/2012 in der Rheinprovinz II

Bonn, Koblenz, Trier und Aachen

Im Süden der Rheinprovinz muss gespart werden, feiert man Einweihung, sieht den großen Einzelnen im Aufstand und sich selbst ans Ziel gekommen: Ein Überblick über die Spielzeit­planungen 2011/2012.

Das Theater Bonn muss ab 2013 jährlich 3,5 Millionen Euro einsparen (etwa 10% des Etats), so hat es der Rat der Bundesstadt am Rhein mit seiner schwarz-grünen Mehrheit beschlossen. Die Städtischen Bühnen mussten seit dem Jahr 2000 bereits Kürzungen in Höhe von 30% ihres Haushaltes hinnehmen. Wie das neuerliche Sparziel erreicht werden soll, ist völlig unklar, zumal der Bonner Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch zugleich eine Schließung der Kammerspiele in Bad Godesberg ebenso ausgeschlossen hat wie betriebsbedingte Kündigungen am Theater. Generalintendant Klaus Weise hat deshalb angekündigt, 2013 gehen zu wollen.

Man wird sehen – in der neuen Spielzeit jedenfalls die rheinische Erstaufführung einer Oper des mikrotonalen Komponisten Georg Friedrich Haas: Bluthaus, nach einem Libretto von Händl Klaus (27.9.2011), uraufgeführt im Frühjahr bei den Schwetzinger Festspielen. Wenig später führt Klaus Weise seine Wiederentdeckung des, von den Nazis nachhaltig zum Schweigen gebrachten Komponisten Franz Schreker fort und bringt – nach Irrelohe in der letzten Saison – jetzt dessen Frühwerk Der ferne Klang auf die Bühne (27.9.201111.12.2011). Vorgemerkt habe ich mir außerdem Léo Delibes‘ komische Oper Lakmé, die in Kooperation mit dem Opéra-Théâtre de Metz von dessen zukünftigem Leiter Paul-Emile Fourny für die Bonner Bühne inszeniert wird (29.1.2012).

In Wäldern, Dschungeln und Behörden

Noch ganz zu Anfang der Spielzeit okkupieren die Bonner Bühnen das leerstehende Landesbehördenhaus (ehem. Polizeipräsidium) an der Friedrich-Ebert-Allee und spielen mit Beethoven: Der entfesselte Fidelio oder das Blut der Freiheit – keine Ahnung, was ich mir darunter vorstellen soll (18.9.2011).

Zwei Deutsche Erstaufführungen von angelsächsischen Stücken gibt es: Johannes Lepper richtet Mike Bartletts Erdbeben in London ein, das Stück wurde letztes Jahr am National Theatre an der Themse uraufgeführt (Kammerspiele, 14.10.2011). Und im Frühjahr steht dann Neil LaButes jüngstes Stück In a Forest, dark and deep an. Der Psychokrimi um eine Geschwisterrivalität ist allerdings bei der World Premiere im Londener Westend nicht uneingeschränkt auf Begeisterung gestoßen (Werkstatt, 16.5.2012).

Zwei Auftragswerke hat es heuer: Philipp Löhle macht ein neues Stück, über das ich aber noch nichts weiß (Werkstatt, 20.1.2012) und Alexander Riemenschneider nimmt das Publikum mit auf eine Identitäts- und Authentizitätssuche im Dschungel: Mathilde Bäumler. Ein Dschungelstück (Halle Beuel, 23.3.2012).

Solange es ein Ziel gibt

Theater der Stadt Koblenz; Foto: Lothar Spurzem, Lizenz: CC BY-SA 2.0; Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Stadttheater_Koblenz_2008-10-04_b.jpgIm Theater Koblenz freut man sich unterdessen auf die Fertigstellung des Erweiterungs­baus, der ab dieser Saison die Platznot im klassizistischen Schmuck­stückchen am Deinhardplatz lindern soll. Vorgemerkt habe ich mir die Deutsche Erstaufführung von Georges Aperghis‘ opéra bouffe Les Boulingrin, uraufgeführt 2010 an der Opéra Comique in Paris. Der komische Einakter aus der Ehehölle wird zusammen mit Massenets heute eher selten gespielten, bis zur Albernheit tragischen Kurzoper La Navarraise auf die Bühne gebracht, was zumindest einen kontrastreichen Abend verspricht (Großes Haus, 29.10.2011).

Roman Senkl, letzte Saison Hausautor am Theater Koblenz, hinterlässt eine dreiaktige Sinn- und Beziehungssuche, die bereits am 3.9.2011 in den Kammerspielen in der Regie von Intendant Markus Dietze uraufgeführt wird: Solange es ein Ziel gibt, heißt das Ding.

Sie haben ihr Ziel erreicht

Theater Trier Außenansicht; Foto: jvfMoselaufwärts am Theater Trier blickt man auf eine sehr spannende Saison 2010/2011 zurück – u.a. mit der Deutschen Erstaufführung von Philipp Glass‘ Voyage und einem sehr sympathischen Sturm. Die neue Spielzeit ist unter das Motto „Sie haben ihr Ziel erreicht“ gestellt, was naturgemäß das Theater meint.

Das wenig schmucke Haus am Augustinerhof indes wird diesen Sommer brandschutzmäßig saniert, also weichen Schauspiel, Oper und Tanz für die Saisoneröffnung auf ein aufgelassenes Fabrikgelände im Industriegebiet Trier-West aus und bringen spartenübergreifend Bernsteins West Side Story ans Publikum (Bobinethalle, 27.8.2011). Das könnte interessant werden, aber etwas unsicher machen mich da Einlassungen von Intendant Gerhard Weber: „Mithilfe erfahrener Eventmanager und bekannter Architektur- und Gastronomie-Firmen ist es gelungen, eine Infrastruktur zu konzipieren, die unserem Publikum ein unvergessliches Erlebnis bieten wird.“ Oha.

Zwei Kammerspiele habe ich mir notiert: Im Landgericht Trier inszeniert Britta Benedetti das aus Briefen der „Bestie von Langenberg“ von Oliver Reese Anfang der neunziger Jahre montierte Einpersonenstück Bartsch, Kindermörder (17.11.2011). Und Dirk Lauckes posttraumatisches Belastungsstörungsdrama Der kalte Kuss von warmen Bier, 2009 beim Stückemarkt in Heidelberg uraufgeführt, inszeniert Ingrid Müller-Farny im Frühjahr nächsten Jahres im Trierer Studio (5.5.2012).

Der große Einzelne

Das Theater in Aachen Außenansicht; Foto: Euku, Lizenz: CC BY-SA 3.0; Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Theater_Aachen_%282009%29.jpgGanz im Westen kümmerte sich das Theater Aachen in der letzten Saison um die untoten Restbestände des Glaubens, u.a. an den Wassern zu Babel und im Hinblick auf den Typus des Fundamentalisten. Heuer diagnostiziert man im Dreiländereck unter der Überschrift „Der große Einzelne“ einen gesellschaftlichen Umbruch: „so etwas wie eine unpolitisch-politische Bewegtheit des Einzelnen“, der seinen Ort in der Welt, der Familie, der Zweierkiste neu aushandelt. So in etwa.

Die Konfrontation von Ich und Nicht-Ich wird in Aachen anhand von Standards wie von neuen Stücken ausgelotet. Den Saisonauftakt macht dabei Tom Waits‘ Adaption von Büchners Woyzeck (Bühne, 18.9.2011), später folgen u.a. Ibsens Volksfeind (Kammer, 11.11.2011) und Williams‘ Katze auf dem heißen Blechdach (Bühne, 10.3.2012).

Martin Heckmanns Entwicklungsdrama Hier kommen wir nicht lebendig raus, 2010 als Auftragswerk im Düsseldorfer Schauspiel erstmals zu sehen, untersucht die Ich-Werdung unter den Bedingungen des Web (Mörgens, 5.1.2012), die Uraufführung von Ein Jahr für die Ewigkeit – „öko“ im Selbstversuch nimmt vorher schon eine Familienkatastrophe unter den Bedingungen einer radikalisierten ökologischen Korrektheit in den Blick (Mörgens, 10.11.2011).

Vorgemerkt habe ich mir außerdem das spartenübergreifende Projekt Tomorrow, maybe… Über-Leben in Diktaturen, eine Kooperation mit dem Goethe-Institut Südostasien und Amrita Performing Arts aus Phnom Penh. Diktaturen in Argentinien, Südafrika und eben Kambodscha machen hier den historischen Background für eine Erkundung der Überlebensmöglichkeiten unter Regimen, denen der Einzelne nichts gilt (Kammer, 23.9.2011).

In Sachen Musiktheater steht u.a. auf dem Programm ein Abend mit Poulencs La voix humaine und Monteverdis Il Combattimento di Tancredi e Clorinda (Bühne, 6.11.2011) und im nächsten Sommer Ravels L´Enfant et les Sortilèges (Bühne, 16.6.2012).