Kulturraum NRW


Neues Museum am Strom in Antwerpen eröffnet

Seit Mitte Mai ist im alten Hafen von Antwerpen der neue Museumskomplex geöffnet, der die Sammlungen von vier Museen der flandrischen Metropole unter einem Dach zusammen fügt und aufwändig inszeniert. Das Museum aan de Strom zeigt stadthistorische und ethnologische Exponate sowie Meisterwerke der Antwerpener Bildkunst.

Museum aan de Strom. Foto:jvf. Rechte: MAS/Neutelings Riedijk Architecten.

Rund 56 Millionen Euro und über zehn Jahre Planungs- und Bauzeit hat das MAS gekostet, mit dem sich Antwerpen städtebaulich und museumsmäßig in die Champions League spielen will. Und das ist schon ein sehr spektakulärer Bau, den das Rotterdamer Architektenbüro Neutelings und Riedijk da zwischen zwei Becken des alten Hafens an der Schelde gestellt hat.

„Vertikaler Stadtspaziergang“

Fünfundsechzig Meter und zehn Stockwerke hoch türmen sich, mit rotem Sandstein aus Indien verkleidete Quader, deren Erscheinungsbild an die Container des Antwerpener Welthandelshafens erinnern soll. Diese Ausstellungscontainer sind jeweils um neunzig Grad gegeneinander verschoben und die daraus gewonnenen Freiflächen sind als riesige Loggien mit gewelltem Glas nach außen hin geöffnet. Die monumentale, erratische Grundform des Baus erhält dadurch einige Leichtigkeit und Transparenz, vor allem aber geben diese Loggien Stockwerk um Stockwerk Ausblicke auf den städtischen Raum frei: Nach Norden hin auf das Hafengelände, nach Westen auf die Schelde, nach Süden auf die Altstadt von Antwerpen.

Von diesem, wie es die Betreiber nennen, „vertikalen Stadtspaziergang“ aus – die Loggien sind kostenfrei zugänglich – erreicht man auf jeder Ebene die Ausstellungscontainer. Auf insgesamt 5.716 m² Fläche sind dort die Bestände von vier, vormals eigenständigen Museen versammelt: Des Ethnographischen Museums, des Volkskundemuseums, des Nationalen Schifffahrtsmuseums und eines Teils der Sammlung des Museum Vleeshuis. Die Präsentation der Bestände erschließt in vier Themenbereichen die Geschichte und Gegenwart von Antwerpen in seinen Beziehungen zum Rest der Welt: Machtentfaltung, Weltstadt, Welthafen, Leben und Tod sind sie betitelt.

Ausstellungsarchitektur

Das Büro der Antwerpener B-Architekten, das für die Ausstellungsarchitektur verantwortlich zeichnet, hat sichtlich erhebliche Mühe investiert, die Präsentation in eine sehr aufwändige Inszenierung einzubetten. Jeder Themenbereich wird durch einen Prolog eingeleitet, der mit einer Raum-, Video- oder Klanginstallation auf das jeweilige Thema hinführt. Die tageslichtfreien Ausstellungshallen selber sind in der Grundausstattung sehr schlicht gehalten und erinnern mit ihrem genieteten, gewellten Metallwänden wiederum an das Innere von Frachtcontainern. Sie bieten die Spielfläche, um für jeden Themenbereich ein sehr eigenes Präsentationskonzept zu verwirklichen. Mal wird die Halle durch Holzgerüste in großflächige Kompartimente geteilt, mal strukturieren von den Decken herabhängende Kegel oder in den Raum gestellte Lammellenwände die Fläche. Ein Höhepunkt der Inszenierung ist die Installation des neuseeländischen Künstlers George Nuku, der aus Plexiglas ein Maori Haus der Begegnung simuliert und damit die Bühne schafft für die Präsentation von sakralen Objekten aus Polynesien.

Ausstellungsarchitektur Museum aan de Strom. Fotos:jvf. Rechte: MAS/B-Architecten

Das ist im Ganzen sehr spannend und kurzweilig gemacht, aber zuweilen auch des Guten zu viel. Dann verstellt die Inszenierung ein wenig den Zugang zu den Exponaten und die Präsentationsästhetik gewinnt gegenüber der Information die Oberhand. Letzteres mag auch ein wenig daran liegen, dass – abgesehen von großflächigen Einleitungen – Informationstafeln ausschließlich in flämischer Sprache gehalten sind. Da lohnen die 7,50 Euro, für die man im Museumsshop einen deutschsprachigen Museumsführer bekommt.

Schaudepot und ständige Ausstellung

Schaudepot Museum aan de Strom. Foto:jvf. Rechte: MASEine prima Sache indes, dass eine der Ausstellungsebenen für ein Schaudepot eingerichtet ist, das Einblicke in die konservatorischen und klassifikatorischen Aufgaben eines Museumsbetriebs gewährt. Da kann man durch die langen Metallregalreihen schlendern, die die Bestände der verschiedenen Sammlungen fassen, Schubladen öffnen, in denen lichtempfindliche Objekte lagern, oder durch die Karteikarten des Bestandsverzeichnisses blättern.

Was von den Beständen in der ständigen Ausstellung präsentiert wird, ist von durchaus unterschiedlicher Qualität und für auswärtige Besucher sicher von sehr unterschiedlichem Interesse. Die endlosen Reihen von Schiffsmodellen, die aus dem Nationalen Schifffahrtsmuseum übernommen sind, werden eher nur Seefahrtsenthusiasten begeistern. Und für die Exponate zur Stadtgeschichte Antwerpens muss man schon eine Menge Interesse für die Historie der stolzen Stadt an der Schelde mitbringen. Ganz anders die ethnologische Bestände. Hier finden sich sehr eindrucksvolle Objekte asiatischer, afrikanischer und amerikanischer Kulturen. Für mich das eindrucksvollste davon ist eine neunteilige Serie von Zeichnungen aus dem Japan des 17. Jhd., die den Verfall des menschlichen Körpers illustriert – eine, so heißt es, Meditationsvorlage für buddhistische Mönche.

Neun Betrachtungen über die Unreinheit des Körpers, Morishige. Foto:jvf. Lizenz: gemeinfrei.

Sonderausstellung: Meisterwerke im MAS

Jean Fouquet, Madonna / Peter Paul Rubens, Venus frigida. Foto:jvf. Lizenz: gemeinfrei.Auf der für Sonderausstellungen reservierten Ebene des MAS ist noch bis Ende 2012 unter dem Titel „Meisterwerke im MAS“ ein Überblick über die reiche Kunsttradition Antwerpens zu sehen. Das Königliche Museum für Schöne Künste Antwerpen, derzeit wegen Renovierung geschlossen, stellt dafür eine Auswahl aus seiner Sammlung zur Verfügung, von den Flämischen Primitiven des 15. Jahrhunderts bis hin zu den barocken Meistern des 17. Jahrhunderts. Das Museum für zeitgenössische Kunst Antwerpen stellt Gegenwartskunst bereit, die im Rahmen dieser Ausstellung in Kontrast gesetzt wird zu den alten Meistern. Zu sehen gibt es u.a. einige Rubensschinken (darunter eine sehr hübsche Venus frigida von 1614) und Jean Fouquets faszinierend irritierende Madonna umringt von Serafinen und Cherubinen von 1452.

Museum aan den Strom, Antwerpen. Ständige Ausstellung seit 17. Mai 2011. / Meisterwerke im MAS. Fünf Jahrhunderte Bildkultur in Antwerpen. 17. Mai 2011 – 30. Dezember 2012

[Die Wiedergabe von Außen- und Innenaufnahmen des Museums erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Museums aan de Strom, Antwerpen.]