Kulturraum NRW


Julian Rosefeldts „Euphoria“ in Essen – Ruhrtriennale

Apokalyptik, leichtfüßig

Nur bis 10. September 2022 ist in Halle 5 auf Zollverein Julian Rosefeldts hinreißende Videoinstallation „Euphoria“ zu sehen. Es wäre ein grober Fehler, diese ebenso bildmächtige wie witzige Bestandsaufnahme der kapitalistischen Apokalypse zu verpassen.

Filmstill Euphoria © Julian Rosefeldt
Filmstill Euphoria © Julian Rosefeldt.

Man tut gut daran, sich eines der Sitzkissen zu nehmen, die am Eingang zur Halle 5 ausliegen. Immerhin dauert Julian Rose­feldts Bestands­aufnahme der letzten Tage der Mensch­heit knapp zwei – wenn­gleich aus­gesprochen kurz­weilige – Stunden.

In sechs Episoden montiert Rose­feldt Fragmente der Kapitalismustheorie, -apologetik und -kritik. Die Zitate von Dichtern und Denker­innen, Ökonomen und Philosoph­innen, Ideologen und Politiker­innen stammen aus etwas mehr als 2000 Jahren. Das reicht von Horaz und Charles Bukowski bis Adorno, von Adam Smith und Mark Fisher bis zum Comité invisible, von Ayn Rand bis hin zu Elizabeth Warren.

Wenn man will, kann man daraus ein Bildungs-Bingo machen, aber das ginge weit an der Sache vorbei. Denn die Collage bricht die Fragmente großer Theorie auf ungeheuer bild­mächtige und witzige Weise hinunter auf eine meist prekäre Alltags­welt, deren surreale Aus­weitungen und Brechungen in dieser Video­installation vornehmlich für eine Sache stehen: Die alten Meister­erzählungen werden uns wohl nicht mehr viel helfen angesicht des Schlamassels, in dem die Mensch­heit heute steckt.

An den Seiten und der rückwärtigen Wand der Halle stehen Sänger:innen des Brooklyn Youth Chorus auf Displays lebens­groß aufgereiht, greifen zentrale Sentenzen der Episoden auf und überführen sie in einen Chor­gesang. Man mag an den Chor in der griechischen Tragödie denken, nur dass dieser das Publikum nicht fordernd umzingelt, jener schon (dabei aber besser singt).

Euphoria, Julian Rosefeldt © Katja Illner, Ruhrtriennale
Euphoria, Julian Rosefeldt © Katja Illner, Ruhrtriennale.

Über dem Chor machen auf fünf Displays fünf Jazz-Schlag­zeuger:innen die dringliche Percussion zum Sound­track (Musik: Samy Moussa / Cassie Kinoshi).

Die unsichtbare Hand

Eine nächtliche Taxifahrt durch ein ansatz­weise dystopisches New York: Der Fahrer (Giancarlo Esposito) ist redselig und rantet gegen die Werbung, gegen konsumistische Lebens­entwürfe und Waren­fetischismus. Schimmel traben anmutig vorbei, ein Trauerzug kreuzt den Weg, auch eine Schafs­herde, am Straßen­rand beschwört eine Alte drei vor ihr in der Luft tanzende Drohnen, ein Laden wird geplündert. Der gefährlich schweig­same Fahrgast immerhin weiß zuletzt Horaz zu zitieren: „Macht ohne Weisheit stürzet durch eigne Last“. Die Reklame auf dem Dach des Taxis macht Werbung für eine „Invisible Hand“.

Adam Smiths unsichtbare Hand ist dann auch im Spiel auf dem Gelände einer aufgelassenen Schiffs­werft, wo sich am frühen Morgen eine Gruppe obdach­loser National­ökonomen und Sozial­philosophen am offenen Feuer wärmen (u.a. Erik Hansen und Robert Bronzi).

Deren Streit ums Kapital und die Moral beschließen Mark Fishers kapitalistischer Realismus und dann T.S. Eliot: „Action is pointless; only senseless hope makes sense … This is the way the world ends – not with a bang, but a whimper“. Im Hinter­grund führt eine Rampe auf einen Schiffs­torso, Tiere – je eines ihrer Art – bringen sich auf die Arche in Sicher­heit, während der entfesselte Kapitalis­mus Ayn Rands brand­stiftend über die Werft zieht.

Filmstill Euphoria © Julian Rosefeldt
Filmstill Euphoria © Julian Rosefeldt.

Zumindest eine der drei feministischen Kommis­sionierer­innen, die in der folgenden Episode am Band eines Logistik­zentrums arbeiten, setzt auf eine traditionelle der „sinn­losen Hoff­nungen“: „All the reasons for making a revolution are there“ – „Romantikerin“, schilt sie die Kollegin (schau­spielerisch die stärkste Episode mit Virginia Newcomb, Kate Strong und – wenn ich recht gesehen habe – Ayesha Jordan). Ein surrealer wind of change weht von hier aus hinüber in eine Bank.

Money doesn’t stink

Die Episode in der Schalter­halle einer Bank (gedreht in der Halle des Haupt­bahnhofs von Kiew) ist der burleske Höhepunkt in dieser Bestands­aufnahme einer aus den Fugen geratenen Welt. Das Personal des Finanz­instituts besteht aus Akrobat:innen, Gaukler:innen, Magier:innen und Tänzer:innen.

Die Kund­schaft und das Security-Personal führen Selbst­gespräche über ihre Philo­sophie des Geldes („Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“), bevor sich die Szene in eine turbulente, skurrile Ballett­einlage, mit Blasmusik und musical­haften Song auflöst: „Money stinks / Money doesn’t stink“ (Choreo­grafie: Richard Siegal).

Euphoria, Julian Rosefeldt © Katja Illner, Ruhrtriennale
Euphoria, Julian Rosefeldt © Katja Illner, Ruhrtriennale.

In alten Komödien gibt es die Figur des straight man, nichts gender- oder sex­mäßiges, sondern die Figur, die im komö­diantischen Durch­einander die Position der noch nicht dem Wahnsinn verfallenden Vernunft einnimmt – eine Strategie der Normali­sierung. Jeden­falls hat hier die vorletzte Episode von „Euphoria“ eine ähnliche Funktion.

In einem, ich weiß nicht, still­gelegten Busbahnhof oder Ausbesserungs­werk lümmeln ein paar Jugend­liche herum, teilen einen Joint und entwerfen eine Zukunft, in Klarsicht auf die Fehler der Gegenwart: „Wachstum um des Wachstums willen ist die Ideologie der Krebszelle“ (Edward Abbey). Spätestens wenn dabei die Hoffnung auf neue Erzählungen und die Liebe beschworen wird, würde die Kommis­sioniererin von vorhin wohl einen Fall von „Romantik“ diagnostizieren.

Das letzte Wort aber hat ein Tiger, der in einem menschen­leeren Super­markt marodierend – mit der Stimme von Cate Blanchett und mit Worten von Thomas Hobbes, Adorno, dem Comité invisible, Charles Bukowski u.a. – der Mensch­heit die Leviten liest und ihren Unter­gang besingt: „They will be buried by our laughter / We laugh with joy“.

Euphoria, Julian Rosefeldt © Katja Illner, Ruhrtriennale
Euphoria, Julian Rosefeldt © Katja Illner, Ruhrtriennale.

Julian Rosefeldt

Der Videokünstler und Fotograf Julian Rosefeldt, geboren 1965 in München, lebt und arbeitet seit 1999 in Berlin. Er ist seit 2010 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und unterrichtet seit 2011 Medienkunst an der Akademie der Bildenden Künste München.

Auf der Ruhrtriennale war er bereits 2015 und 2016 mit Video­stallationen vertreten: In the Land of Drought und Manifesto.

Euphoria ist ein Auftrags­werk der Ruhr­triennale, des Holland Festival und von Rising Mel­bourne, in Kooperation mit dem Welt­kulturerbe Völk­linger Hütte. Es wird in Essen erstmals gezeigt.

Weitere Informationen gibt es auf den Seiten der Ruhrtriennale.

Julian Rosefeldt: Euphoria. D: Giancarlo Esposito, Virginia Newcomb, Ayesha Jordan, Kate Strong, Jeff Wood, Erik Hansen, Tim Williams, Jeff Burrell, Robert Bronzi u.a. Essen, Zollverein, Halle 5, 25. August – 10. September 2022. Engl. OmU, 2022, 2h.