Kulturraum NRW


EMSCHERKUNST.2010 zeigt Kunst an der Emscher

Satisfy Me

Die wahrscheinlich längste Ausstellung der Welt erstreckt sich 34 km entlang der Emscherinsel zwischen Castrop-Rauxel und Oberhausen. Das größte Kunstprojekt im öffentlichen Raum der Europäischen Kulturhauptstadt zeigt noch bis Anfang September 2010 an acht Standorten zwanzig Objekte und Interventionen zeitgenössischer Künstler.

Die Emscher ist seit der Zeit der Industrialisierung zur Kloake des Ruhrgebiets verkommen, ein Schmutzwasserkanal, der mehr oder weniger ungeklärtes Ab- und Grubenwasser in den Rhein verklappte. Mitte des vorigen Jahrhunderts galt sie als schmutzigster Fluss Deutschlands. Und auch heute noch weist die Emscher „einen Zustand auf, der in seiner Naturferne in Europa einmalig ist“, wie es wunderbar euphemistisch im Erläuterungsbericht des Umweltministeriums NRW heißt.

Erst mit dem Ende des Bergbaus verhindern Bergschäden nicht mehr eine unterirdische Kanalisation, so dass die zuständige Emschergenossenschaft seit den neunziger Jahren ein umfangreiches Renaturierungsprojekt betreiben kann. Bis 2020 soll das Emschergebiet mit einem Abwasserkanalsystem versehen und die Emscher in einen – gleichwohl künstlich geschaffenen – „naturnahen“ Flusslauf umgebettet werden.

Die Emscherinsel, ein gut dreißig Kilometer langer Landstreifen, der zwischen Castrop-Rauxel und Oberhausen von der regulierten Emscher auf der einen und dem Rhein-Herne-Kanal auf der anderen Seite abgegrenzt wird, wandelt sich im Rahmen dieses Renaturierungsprojekts von einem abgesperrten Ödland (und wilder Müllkippe) zu einem Naherholungsgebiet – und zu einer Kulturstrecke.

Für die Emscherkunst.2010 waren vierzig Künstler aus verschiedenen Ländern eingeladen, sich mit dieser Landschaft auseinander zu setzen und ihre Kunst im Kontext der (Ab-)Wasserwirtschaft, der Denkmäler der Industriekultur, des Strukturwandels im nördlichen Ruhrgebiet zu positionieren.

Trinken auf eigene Gefahr

Emscherkunst.2010: Marjetica Potrč, Between the Waters. Foto: jvf

Am besten gefallen hat mir die konkrete Utopie einer ebenso verspielten wie ökologisch korrekten Wasserwirtschaft, die die slowenische Künstlerin Marjetica Potrč zusammen mit dem Architekturbüro Ooze bei Altenessen installiert hat, Between the Waters: The Emscher Community Garden. Die Wasseraufbereitungsrampe durchmisst die gesamte Emscherinsel, die an dieser Stelle allerdings nur 75 Meter breit ist. Das Wasser der Emscher wird mittels einer Pflanzenkläranlage gereinigt und zusammen mit gesammeltem Regenwasser für die Bewässerung eines kleinen Nutzgartens verwendet, für die Toilettenspülung zweier gelber Klohäuschen, die über der Emscher am hohen Ende der Rampe schweben, und für eine Trinkwasserstation, die in den Rhein-Herne-Kanal reinragt. Den Warnhinweis „Trinken auf eigene Gefahr“ sollte man allerdings ernst nehmen – das Zeugs schmeckt abscheulich.

Der Charme des Unfertigen

Emscherkunst.2010: Piet Oudolf, Klärbecken im BernePark. Foto: jvfÜberhaupt Kläranlagen. Die aufgelassene Kläranlage in Bottrop-Ebel wird von Piet Oudolf, dem Architekturbüro GROSS.Max, dem Düsseldorfer Lichtkünstler Mischa Kuball und dem amerikanischen Konzeptkünstler Lawrence Weiner zu einem Landschaftspark (BernePark) umgestaltet: begrünte oder mit sauberen Wasser gefüllte Klärbecken, Lichtinstallationen, die jetzt aber naturgemäß tagsüber nicht so recht zur Geltung kommen, Kanalrohre aus denen Andreas Strauss Übernachtungs­möglichkeiten macht (Parkhotel).

Das Ganze ist noch in Bau, soll erst im September fertig werden – wie im Übrigen so manches im Rahmen der Emscherkunst noch, sagen wir mal, den Charme des Unfertigen versprüht. Darunter ist leider auch die Fußgängerbrücke über den Rhein-Herne-Kanal, die nach einem Entwurf von Tobias Rehberger am Oberhausener Kaisergarten errichtet wird. Der Entwurf sieht sehr spannend aus, aber die Baustelle, von der freundlich aber bestimmt auftretende Vorarbeiter neugierige Besucher sicherheitshalber verweisen, macht nicht den Eindruck, als wenn das in diesem Jahr noch was werden würde.

Strukturwandel im Faulturm

Im ehemaligen Klärwerk in Herne hat Silke Wagner den stillgelegten Faulturm mit einem monumentalen Wandmosaik ausgezeichnet: Glückauf erinnert in Form einer illustrierten Chronik an die Bergarbeiterproteste im Ruhrgebiet von 1889 bis 2007. Im Innern des Turms gilt es eine, auf ein Stützgerüst montierte Plattform zu ersteigen, um die vierteilige filmische Rauminstallation des Münchener Künstlerduos M+M zu sehen: Schlagende Wetter, eine zyklische Rekonstruktion des Strukturwandels am Beispiel einer Ruhrgebietsfamilie. Die hat mich sehr beeindruckt – und Videokunst ist sonst mein Ding nicht.

Warten auf die Emscher

Die Wartezeit auf den Strukturwandel in Form einer dann renaturierten Emscher lässt sich unterdessen in einer Wohnskulptur der Rotterdamer Gruppe Observatorium verbringen: eine seltsam idyllisch auf der Emscherinsel bei Altenessen gelegene, brückenartige Anlage aus drei Pavillons von durchaus japanischer Eleganz bietet für 90 Euro Übernachtungs­gelegenheit auf Wanderhütten­­niveau (mit HP) und Panoramafenster in die noch flussferne Landschaft: Warten auf den Fluss. Die Studentin, die tagsüber auf das Objekt aufpasst und Besucher mit Erläuterungen versorgt, sagte mir, es sei noch nicht klar, was ab September aus der Anlage werde. Es wäre schade drum, aber sicher, das trägt sich nicht.

Im Hafen von Herne

Emscherkunst.2010: Bogomir Ecker, Skulptur im Herner Meer. Foto: jvf.Im Yachthafen am „Herner Meer“ hat Bogomir Ecker eine dreiteilige, ebenso monumentale wie filigrane Skulptur ins Wasser gesetzt: zylindrische, gelbe und betongraue Dingens, zu zwei fragilen Leucht­türmen gestapelt, eine Straßenlaterne steht anbei. Verbunden ist das eigentlich mit einer Klanginstallation von Bülent Kullukcu, aber als ich dort unterwegs war, hatte jemand in der Nacht zuvor die Lautsprecher geklaut. Ach ja.

Jenseits des Hafenbeckens hat der Amerikaner Mark Dion einen Gastank sehr hübsch zum Standort der Gesellschaft der Amateur-Ornithologen umgestaltet: ein plüschiges, Käp’tn Nemo Interieur mit Sofa, Sekretär und Bar (letztere leider verschlossen).

Satisfaction

Emscherkunst.2010: Monica Bonvicini, Satisfy Me. Foto: jvf.Ein Letztes: Monica Bonvicini hat auf der nunmehr übergrünten Zentral­deponie Emscherbruch bei Gelsenkirchen einen zweimeter­fünfzig großen, metallverspiegelten Schriftzug, als kleines Analogon zum Hollywood Hill, in die Landschaft gesetzt: Satisfy Me, liest man da, wenn man auf dem Deich steht, der die Emscher einfriedet. Aber wer begehrt da jetzt von wem Befriedigung? Der Müllberg vom Betrachter? Der Betrachter von dem, was am Ende auf der Deponie landet?

Praktika

Ein Katalog zur Ausstellung wird erst im Juli/August erscheinen, bis dahin gibt es für 4,50 Euro einen kleinen Kurzführer, kostenloses Kartenmaterial und – am hilfreichsten, weil auch die Wegweiser auf der Insel in Teilen noch den Charme des Unfertigen verbreiten – eine Smartphone-App mit Google-Maps-Integration.

Die Ausstellung ist noch bis Anfang September geöffnet, allerdings sollen die meisten Objekte dauerhaft erhalten bleiben. Die Emscherkunst soll in Form einer Biennale oder Triennale bis 2020, dem geplanten Abschlusstermin des Renaturierungsprojekts, zur Dauereinrichtung werden.

Die Emscherkunst lässt sich in Teilen zu Fuß oder per Schiff erkunden, aber der beste Weg wird eine Fahrradtour sein. Die Wege sind frei von Autoverkehr, zum Teil aber etwas unwegsam. Die Veranstalter schlagen vor, das auf zwei Tage zu verteilen, mit jeweils 4-5 stündigen Touren. Wenn man ausreichend trainiert und hinreichend bekloppt ist, kann man das aber auch an einem Tag versuchen, das geht (ich habe rund acht Stunden gebraucht, musste allerdings eine Station auslassen). Sehr gute Leihräder gibt’s vom Kooperationspartner revierrad, der entlang der Strecke einige Stationen unterhält (aber Vorsicht: die im Netz genannten Öffnungszeiten der Stationen sind nicht nicht immer richtig, besser vorher nachfragen).

EMSCHERKUNST.2010. Eine Insel für die Kunst. K: Florian Matzner. Emscherinsel, 29. Mai – 5. September 2010.