Dani Karavan, Ma’alot – Skulpturen in Köln – Ein Rundgang
מַעֲלוֹת
Es ist der künstlerisch eindrucksvollste Platz in Köln: Der 1986 eingeweihte, von Dani Karavan als großflächiges Environment gestaltete Heinrich-Böll-Platz vor dem Museum Ludwig.
Dani Karavan, Ma’alot, 1986. Gras, Bäume, Ziegelsteine, Granit, Gusseisen, Eisenbahnschienen. 5.000m².
Ma’alot, so nennt der israelische Landart-Künstler Dani Karavan sein Environment, die Platzgestaltung zwischen Domchor, Ludwig-Museum, Hauptbahnhof und Rheingarten. „Ma’alot“ steht im biblischen Hebräisch für die Stufe, Sprosse oder Terrasse. Shirei ha Ma’alot (שִׁירֵי המַעֲלוֹת), Stufen- oder auch Wallfahrtslieder, sind die Psalmen 120 bis 134 überschrieben. In neuerer Zeit meint Ma’alot auch Steigung, Winkel, Grad. Das alles zusammen umreißt den ästhetischen Spielraum, den Karavan mit seinem Kunstwerk erkundet.
Das Areal östlich des Doms
Mitte der 1970er Jahre beschloss die Stadt Köln, das Areal südöstlich des Domchores für einen neuen Kulturbau zu nutzen. Der sollte Philharmonie, Museen, Cinemathek und Bibliothek beherbergen und zugleich das Zentrum Kölns wieder vom Rhein her erschließen. Nach dem Krieg wurde das Gelände Jahrzehnte lang als wenig schmucker Busbahnhof genutzt, der zusammen mit der Rheinuferstraße (Untertunnelung 1982) den Dom vom Rhein trennte.
Den Zuschlag für die Planung des Komplexes erhielten 1975 die Architekten Busmann + Haberer. Dani Karavan wurde erst fünf Jahre später beauftragt mit der Gestaltung des Museumsplatzes, der zugleich das Dach des darunter liegenden Konzertsaals der Philharmonie bildet. Die Konzeption entstand in enger Zusammenarbeit zwischen Karavan, den Architekten des Komplexes und dem Landschaftsarchitekten Luz. Im August 1986 wurde der Platz fertig gestellt.
Eisen, Granit und Backstein
Die Materialien des rund 5.000 m² großen Kunstwerks nehmen Bezug auf die baulichen Elemente der Umgebung: Granit aus Sardinien greift die Pflasterung des Roncalliplatzes auf, Gusseisen und Eisenbahnschienen deuten auf Hauptbahnhof und Hohenzollernbrücke, roter Backstein korrespondiert mit dem Baustoff des Kulturzentrums, Grünflächen verweisen auf den Rheingarten am Fuß der Treppenanlage. Pläne, auch Wasser als Element der Gestaltung einzusetzen und so den Rhein über eine Flusslinie die Terrassen hinab symbolisch auf den Platz zu holen, mussten aus Budgetgründen fallen gelassen werden.
Die Formgebung der Anlage greift den Rhythmus der Gebäudemodule mit ihren Stufungen von 90 cm Höhe auf und verdichtet ihn in klaren geometrischen Formen und Linienführungen aus 45° und 90° Winkeln. Die Stufenelemente in der Platzgestaltung stellen zudem nicht nur einen Bezug zur heutigen Treppenanlage oberhalb des Rheingartens her, sondern beleben auch eine historische Dimension des Ortes. Der Königsweg ins mittelalterliche Köln führte an dieser Stelle vom Rhein über Treppen hinauf auf den Domhügel, zunächst hin zur romanischen Stiftskirche St. Maria ad gradus („Maria zu den Stufen“), dann weiter in den Dom. Mariagraden wurde unter französischer Besetzung säkularisiert, als Magazin genutzt und schließlich 1817 abgerissen.
Elemente der Platzgestaltung
Markantestes Element der Platzgestaltung ist der 10,80 m hohe Turm an der nordöstlichen Ecke der Fläche. Über einer quadratischen Grundfläche von 2,70 x 2,70 m erheben sich sechs Stufen von je 1,80 m Höhe, abwechselnd aus Granit und Gusseisen: Eine von Osten und Westen über Treppenstufen begehbare Skulptur, Schlitze und Durchbrüche fokussieren den Blick auf Dom und Rheinbrücke und verschaffen dem massiven Konstrukt Transparenz. Ein 100 m langer „Granitteppich“ führt vom Eingang des Museums hinüber zu dieser Turmskulptur.
Vor der Glasfront des Museumsrestaurants markiert eine aus dem Boden wachsende Kreisstruktur – wiederum im Wechsel von sechs Granit- und Eisensegmenten gestaltet – das Podium des Konzertsaals unter dem Platz. Zwei weitere Ringe verlängern die Kreisbewegung hinaus auf die Platzfläche. Als „graphisches Element“ strukturieren zudem in den Boden eingelassene Eisenbahnschienen, parallel geführt und im 45° Winkeln gegeneinander gesetzt, die Fläche des Platzes.
Erinnerungen und Assoziationen
Immer wieder wurde und wird Ma’alot als Holocaust-Mahnmal interpretiert. Der Turm erinnert manche an einen Wachturm – andere dagegen an „archaische Stufen- oder Sonnenheiligtümer“ (Fußbroich) oder an „mittelalterliche toskanische Bauten“ (Brockhaus). Die Eisenbahnschienen wecken Assoziationen zur Logistik der nationalsozialistischen Völkermorde.
Dani Karavan selbst sagt dazu, das Kunstwerk habe „nicht die Aufgabe, eine bestimmte Geschichte zu erzählen oder bestimmte Zusammenhänge zu bebildern. Es kann nur Widerhall hervorrufen und Assoziationen beim Betrachter, beim Besucher, beim Passanten evozieren“. Aber, so Karavan weiter:
Wenn ich jetzt als Israeli, als in Israel geborener Jude, zwischen den fließenden Wassern des Rheins und der ruhenden Masse des Doms ein Kunstwerk hinterlasse als Teil eines neuen Kulturzentrums, kann ich es, selbst wenn ich wollte, nicht vermeiden, mit meinen Fingerspitzen durch die natürlichen Materialien hindurchzutasten, und ich berühre Erinnerungen.
Ein Platz für Heinrich Böll
Als der Kölner Ehrenbürger und Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll im Sommer 1985 verstarb, brach in der Kölner Bürgerschaft ein ebenso erbitterter wie skurriler Streit aus, welche Straße oder welcher Platz zukünftig zu Ehren des Dichters dessen Namen tragen sollte.
Zuerst galt die Umbenennung der Hülchrather Straße in der Nordstadt als angemessen, immerhin habe Böll hier lange Jahre gewohnt. Nein, zu unbedeutend sei die Wohnstraße, besser man benenne den Reichenspergerplatz vor dem Oberlandesgericht um. Nein, die Ehrung Bölls könne nicht auf Kosten eines anderen Ehrenbürgers, August Reichensperger, erfolgen, der zudem Gründungsmitglied des „Zentral-Dombau-Vereins zu Köln“ war.
Der Appellhofplatz vor dem Verwaltungs- und Finanzgericht in der Innenstadt sei die richtige Wahl. Nein, der Name erinnere an die große liberale Rechtstradition des namensgebenden „Rheinischen Appellationsgerichtshof zu Cöln“. Der Vorschlag fand im Stadtrat entsprechend keine Mehrheit (Ablehnung auf Grund von Stimmengleichheit).
Es soll eine Kölner Lokalzeitung gewesen sein, die schließlich den Vorschlag aufbrachte, den gerade entstehenden Platz vor dem neuen Kulturkomplex nach dem Schriftsteller zu benennen.
Die Gestaltung des Platzes hat mit Böll nichts zu tun. Karavan hatte vergeblich versucht mit Böll kurz vor dessen Tod Kontakt aufzunehmen, vielleicht hätte er Texte für den Platz beisteuern können. Karavan schreibt zur späteren Benennung des Platzes:
Der Stadtrat beschloss, dem Platz den Namen von Heinrich Böll zu geben. Obwohl mein Werk weder zu seiner Erinnerung noch für seinen Namen geschaffen wurde, hoffe ich sehr, dass er – gefragt – seine Zustimmung gegeben hätte.
Heute dürfte der Namen des Platzes niemanden ärgern, sehr wohl aber ein anderer Umstand. Große Teile des Fläche müssen abgesperrt werden, wann immer die Philharmonie unter dem Platz bespielt wird. Mangelnde Schalldämmung des Konzertsaals sorgt dafür, dass Schrittgeräusche, erst recht der Lärm von Rollkoffern oder Skateboards, den Konzertbetrieb empfindlich stören würden. Wachleute sorgen dafür, dass niemand zuwider handelt. Das ist das Schlimmste, was der beeindruckenden Arbeit von Karavan passieren konnte: Ein Platz, den man nicht betreten darf.
Dani Karavan
Dani Karavan, geboren 1930 in Tel Aviv, studiert Kunst in seiner Geburtsstadt, in Jerusalem, Florenz und Paris. Seit Ende der 1950er Jahre entwirft er Bühnenbilder, malt und beginnt mit architekturbezogenen Arbeiten, Wandreliefs, Environments. 1976 bespielt er den Israelischen Pavillon der 38. Biennale Venedig mit einem Environment für den Frieden, ist 1977 und 1987 auf der documenta in Kassel vertreten. 1998 wird er mit dem Praemium Imperiale ausgezeichnet. Für Düsseldorf gestaltet er den Vorplatz des Landtages (1990), für Duisburg den Garten der Erinnerung (1999), 2012 wird in Berlin das von Karavan entworfene Mahnmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Roma und Sinti eingeweiht.
Literatur
- Christoph Brockhaus: Dani Karavan. Ma’alot. Museumsplatz Köln 1979-1986. Museen der Stadt Köln, 1986. S. 36 u. passim.
- Helmut Fußbroich: Skulpturenführer Köln. Skulpturen im öffentlichen Raum nach 1900. Köln: J.P. Bachem, 2000. S. 137.
- Marion Werner: Vom Adolf-Hitler-Platz zum Ebertplatz. Eine Kulturgeschichte der Kölner Straßennamen seit 1933. Köln u.a.: Böhlau, 2008. S. 2ff.
Skulpturen in Köln – Ein Rundgang durch die Altstadt-Nord
Skulpturen in Köln - Der 1. Teil des Rundgangs. Rechte Kartographie: © OpenStreetMap-Mitwirkende / CC BY-SA 2.0 / ODbL 1.0.
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