Artemisia Gentileschi: Ausstellung im Musée Maillol Paris
Die Seele Judiths
Das Musée Maillol im Faubourg Saint-Germain zeigt in einer großen Sonderausstellung vom 14. März bis 15. Juli 2012 gut fünfzig Werke der italienischen Barockmalerin Artemisia Gentileschi (1593-1654) und ihres Umfelds.
Das Musée Maillol liegt in der Rue de Grenelle im Herzen des Faubourg Saint-Germain. Es ist ein symphatisches Museum in privater Trägerschaft, eher klein, eher verwinkelt. Viel zu klein und viel zu verwinkelt für die großformatigen Werke Artemisia Gentileschis und für die Vielzahl an Besuchern, die ihre Werke jetzt sehen wollen.
Dass sie sie sehen wollen, hat viele Gründe. Werbung natürlich, Pariser Busse fahren den Hinweis auf die Ausstellung spazieren. Sicher ist auch, dass die dramatische Lebensgeschichte der Gentileschi Aufmerksamkeit einsammelt, sie war Gegenstand von Romanbiographien und auch eines französischen Spielfilms von Agnès Merlet mit Valentina Cervi und Michel Serrault in den Hauptrollen (Artemisia, 1997). Aber vielleicht spricht sich auch einfach herum, dass da ganz wunderbare Bilder zu sehen sind.
Judith und Holofernes
Das mächtigste dieser Bilder: Judith und Holofernes, wahrscheinlich etwa 1612/14 gefertigt, da war Artemisia so um die zwanzig Jahre alt. Judith rettet ihre Stadt Betulia vor der Belagerung durch den assyrischen Feldherrn Holofernes, indem sie ihn betört, betrunken macht und gemeinsam mit einer Magd enthauptet, so weiß es das Alte Testament und so malt es Artemisia.
Kein ungewöhnliches Motiv in der frühen Neuzeit. Auch Großmeister Caravaggio hat einige Jahre zuvor seine Version der Bluttat gemalt. Und Artemisia kennt dessen Kunst, mittels kontrastreicher Lichtregie dramatische Effekte, Raumwirkung, Körperlichkeit in die Malerei zu bringen. Aber sie macht das anders, besser als der Meister: durch die verzweifelten Abwehrversuche des Holofernes ist die Bilderzählung noch stärker dramatisiert, vor allem aber, da wo Caravaggio Judith als Mädchen zeigt, das die Enthauptung nur widerwillig vollzieht, stellt Artemisia eine entschlossene, kaltblütige Frau ins Bild, die weiß, was sie tut.
Der Prozess
Man kann, wenn man will, diese Judith auch als biographisches Schlüsselwerk nehmen. Als Artemisia 17 Jahre alt ist, wird sie von dem 15 Jahre älteren Malerkollegen Agostino Tassi vergewaltigt. Er erkauft ihr Schweigen und eine einige Monate währende Liaison durch das Versprechen, sie zu ehelichen. Er hält sein Versprechen nicht. Artemisias Vater zeigt ihn daraufhin an.
Es folgt ein siebenmonatiger, quälender Prozess, in dem Artemisia nicht nur wegen unterstellten unzüchtigen Verhaltens selbst zur Beschuldigten wird, sondern ihre Aussagen auch unter der Folter verteidigen muss. Schließlich wird Agostino Tassi schuldig gesprochen und aus Rom verbannt. Er verlässt kurzzeitig die Stadt, wird nach baldiger Rückkehr aber nicht mehr weiter behelligt. Erinnert das Gesicht des Holofernes etwa nicht an sein Gesicht? Und was ist mit dem einige Jahre später gemalten, vom Motiv her sehr ähnlichen Yaël und Sisera (1620), das der Bluttat aber mehr Platz in der Phantasie frei räumt?
Gleichviel, jedenfalls stehen weibliche Helden im Zentrum ihrer Historienstücke – Judith mehrmals, Yaël, Kleopatra, Lucretia, Bathseba, Susanna – und auch ihrer Portraits. Da darf man die Verrechnung auf die Biographie nicht zu weit treiben, das reagiert auch auf die Nachfrage im Kunstbetrieb des 17. Jahrhunderts und auf die Schwierigkeit männliche Modelle zu finden, die einer Malerin stehen. Dass Artemisia Gentileschi sich aber mit ihren Heldinnen identifiziert, kann man straflos vermuten, man finde in ihr „die Seele Caesars im Körper einer Frau“, schreibt sie in einem ihrer Briefe.
Pouvoir, gloire et passions
Die Ausstellung mit dem Untertitel Könnerschaft, Ruhm und Leidenschaften einer Malerin, die in kleinerem Umfang vorher bereits im Mailänder Palazzo Reale zu sehen gewesen ist, folgt weitgehend den Karrierestationen dieser berühmtesten Malerin des 17. Jahrhunderts. Geboren wird sie 1593 in Rom, wo sie von ihrem Vater, dem Maler Orazio Gentileschi, unterrichtet wird und ihr Talent erste Aufmerksamkeit findet. Nach dem Prozess geht sie nach Florenz und wird als erste Frau in die Accademia dell’Arte del Disegno aufgenommen, u.a. malt sie dort in Diensten der Medici. In den zwanziger Jahren kehrt sie nach Rom zurück, wo sie eine führende Rolle unter den von Caravaggio geprägten Malern spielt. Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere arbeitet sie u.a. am Hof Königs Charles I. in London und am Hof des Vizekönigs von Neapel. Dort stirbt sie 1654.
Der Katalog zur Ausstellung ist bei Gallimard erschienen, kostet 39 Euro, enthält einige knappe Essays, gute Abbildungen, ausführliche Erläuterungen zu den einzelnen Bildern, ist sehr empfehlenswert und leider nur in Französisch verfügbar.
Artemisia. 1593/1654. Pouvoir, gloire et passions d’une femme peintre. K: Roberto Contini, Francesco Solinas. Paris, Musée Maillol. 14. März bis 15. Juli 2012.