Kulturraum NRW


Philip Glass‘ Oper The Voyage am Theater Trier

Kolumbus und die Frogs

Am Trierer Theater unternimmt Birgit Scherzer die deutsche Erstaufführung von Philip Glass' Oper The Voyage, macht daraus sehr opulentes Musiktheater, nimmt aber das streckenweise reichlich krude Stück dann doch ein Bisschen zu ernst.

Das ist schon eine reichlich schräge Story, die sich Glass da 1992 im Auftrag der Metropolitain Opera ausgedacht hat und die zum 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus in New York uraufgeführt wurde.

Fünfzigtausend Jahre vor unserer Zeitrechnung stürzen interstellare Entdeckungsreisende mit ihrem Raumschiff auf die Erde und mischen sich unter die Menschen. Ausgestattet sind sie mit seltsamen Navigationkristallen, die putzig-geheimnisvoll leuchten (1. Akt). Im Jahr 2092 dann entdecken Archäologen diese Navigationskristalle der eiszeitlichen Kosmonauten, während eine SETI-Raumstation Signale vom Heimatplaneten der Außerirdischen empfängt. Die Menschheit startet daraufhin eine Mission ins Sonnensystem der Frogs (3. Akt).

Nackte Singularitäten

Inzwischen, 1492, der zweiunddreißigste Tag an Bord der Santa Maria ist angebrochen, verzweifelt Christoph Kolumbus an seiner Mission, lässt sich aber wieder auf Kurs bringen von einer Vision, in der ihm seine Dienstherrin Isabella von Kastilien erscheint, die wiederum eins wird mit der Heiligen Maria und der Geliebten Dona Beatriz. Und dann kommt auch schon Land in Sicht (2. Akt).

Gerahmt und mit Deutungsangeboten versehen wird dieses Triptychon zunächst von einem Prolog, in dem ein Wissenschaftler im Rollstuhl sich etwas unsortiert auslässt über den Widerspruch zwischen der körperlichen und geistigen Beschränktheit der Menschen und ihrem visionären Entdeckergeist. Derweil macht sich der Chor Gedanken, wie Gott wohl zum Phänomen nackter Singularitäten steht. Im Epilog schließlich sehen wir Kolumbus auf dem Totenbett (1506). Er beschwert sich über die Folgen seiner Entdeckungsreise, widersteht aber der Versuchung durch den Teufel in Gestalt von Isabella, bevor er sich auf seine allerletzte Reise macht. So in etwa.

Die Muttermilch der Grausamkeit

Eine „Feier des Entdeckergeistes“ zu schaffen, „a celebration of the spirit of discovery“, habe er sich mit dieser Oper vorgenommen, sagt Glass; eine Feier allerdings, die die dunkle Seite dieses spirits nicht verschweigt: Das, was entdeckt wird, wird zum Gegenstand für den Entdecker und muss das Entdecktwerden im Zweifel teuer bezahlen: die Entdeckung ist von der „Muttermilch der Grausamkeit“ genährt. Und so wie die Entdeckung nur das Vorspiel der Aneignung ist, ist die Sehnsucht nach dem Entdecken, nach Erkenntnis, eine sehr reflexive Veranstaltung:

From the first amoeba
Who fought to break free of itself
To Ulysses, to Ibn Battuta, to Marco Polo
To Einstein, and beyond
All that we seek to know
Is to know ourselves

Gegen die Monotonie

So schlicht wie diese Einsicht sind auf Dauer leider auch die musikalischen Mittel, mit denen Glass sie transportiert: Seine Musik trägt ebensowenig wie die Story über die mindestens 2¼ Stunden hinweg, die es braucht, um die Oper auszuspielen. Das Libretto von David Henry Hwang hält dagegen, neben reichlich opernhaftem Pathos, Anschlussmöglichkeiten bereit für eine sehr komische, vielleicht farcenhafte Umsetzung Stücks. Wenn man das Stück auf 90 Minuten kürzen und die Inszenierung hin zur Farce neigen würde, hätte man vielleicht einen Knüller.

Die Trierer Inszenierung indes nimmt das Stück ein Bisschen zu ernst, lässt die Farce beinahe gänzlich bei Seite und kürzt natürlich nichts. Gegen die Monotonie der Glassschen Arpeggien und der Statik der dramatischen Konstruktion mobilisiert Regisseurin Birgit Scherzer aber ein sehr opulente Bühnengeschehen. So tanzt das von ihr choreographierte Ensemble des Tanztheaters Trier die Längen des ersten Aktes mühelos hinweg.

Die von Knut Hetzer eingerichtete Bühne wird dominiert von einem gewaltigen, dreiteiligen, einen Viertelkreis beschreibenden Gestell, das mit halbtransparenten Lamellen versehen, das Motiv des Entdeckens in die Spielfläche einschreibt (und zugleich, auf der Drehbühne mobil gemacht, die Zirkelstruktur des Stücks abbildet). Das ist ebenso stimmig wie die sehr präzise Kostümbildnerei von Alexandra Bentele.

Das Trierer Premierenpublikum im zu zwei Dritteln gefüllten Theater – was ja nicht schlecht ist für eine zeitgenössische Oper – wurde gegen Ende zwar etwas unruhig, aber applaudierte insgesamt sehr freundlich, vor allem dem Ensemble des Tanztheaters und dem Philharmonischen Orchester.

The Voyage. Oper in drei Akten mit einem Prolog und Epilog von Philip Glass. Libretto von David Henry Hwang nach einer Geschichte von Philip Glass. R: Birgit Scherzer, ML: Valtteri Rauhalammi, D: Alexander Trauth, Claudia-Denise Beck u.a. Theater Trier, DE 30.04.2011. 2¾ h mit 1 P.