Sean O’Caseys „Das Ende vom Anfang“ in Mönchengladbach
„Kannst Du nicht einmal etwas richtig machen?“
Für die Studiobühne des Theaters Mönchengladbach in Rheydt importiert Regisseur Carl-Hermann Risse seine Berliner Inszenierung von Sean O’Caseys Slapstick-Klassiker: „Das Ende vom Anfang“. Das Publikum biegt sich vor Lachen und ich gehe eine Runde in den Keller.
„Das Ende vom Anfang“ von Sean O’Casey. Theater Mönchengladbach und Krefeld. Bruno Winzen, Adrian Linke. Foto: Matthias Stutte. Rechte: Matthias Stutte / Theater Mönchengladbach und Krefeld
Es ist schon ein Jammer, dass die Tragikomödien des großen irischen Dramatikers Sean O’Casey (1880-1964) auf deutschen Bühnen kaum noch gespielt werden. Von seinen Revolutionsstücken könnte man sich heute gut noch eins abschneiden. Immerhin, das Deutsche Theater in Berlin nimmt sich Ende Januar 2013 O’Caseys Juno und der Pfau vor. Ansonsten ist es im Wesentlichen nur eine kurze Kömodie, die es an öffentlichen und privaten Bühnen ins Repertoire schafft: Das Ende vom Anfang. Gespielt wird in der Regel eine neuere Übersetzung von Johanna und Martin Walser aus dem Jahre 1999, so auch in Mönchengladbach.
The End of the Beginning schrieb O’Casey Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts (Erstdruck 1934, Uraufführung 1937 im Abbey Theatre zu Dublin), eine auf den ersten Blick leichtgewichtige Slapstick-Komödie, eigentlich ein längerer Sketch, mit dem er auch — wie sagt man heute — auf eine Monetarisierung seiner zwar von der Kritik geschätzten, aber ökonomisch nicht immer erfolgreichen Bühnenkunst abzielte. Samuel Beckett aber lobte den Einakter, er zeige O’Casey als
Meister des Slapsticks in einem sehr ernsten und ehrenwerten Sinne, indem er nämlich das Prinzip der Auflösung noch in den selbstgefälligsten, festgefahrensten Verhältnissen ausmacht und jenes Prinzip so in Bewegung setzt, dass diese Verhältnisse explodieren. Das ist der Treibstoff seines Theaters … (Samuel Beckett, The Essential and the Incidental)
Explodierende Verhältnisse
„Das Ende vom Anfang“ von Sean O’Casey. Theater Mönchengladbach und Krefeld. Bruno Winzen, Paula Emmrich. Foto: Matthias Stutte. Rechte: Matthias Stutte / Theater Mönchengladbach und KrefeldDie Verhältnisse zur Explosion zu bringen, die Geschlechterverhältnisse zumal, scheint eine Sache des 20. Jahrhunderts gewesen zu sein. So jedenfalls kann man das muschelige Bühnenbild und die Kostüme (Udo Hesse) der Mönchengladbacher Inszenierung deuten. Die Küche eines bescheidenen, bäuerlichen Landhauses, ein Inventar aus der Mitte des letzten Jahrhunderts (nur das Bügelbrett ist anachronistisch heutig). Darin streiten sich Lizzie und Darry Berrill (Paula Emmrich, Bruno Winzen). Das Paar ist sich in nichts mehr einig, nur Darry ist mit sich selbst einig, dass die Hausarbeit seiner Frau ein Nichts ist im Vergleich zu seiner Feldarbeit — und sie ohnehin alles immer und gründlich falsch macht.
Die beiden tauschen für einen Tag die Rollen, Lizzie geht aufs Feld und Darry will den Haushalt schmeißen: „Das ist nur der Anfang vom Ganzen“ sagt Darry, „So Gott will, ist es nicht das Ende, und wenn ich wieder komme, stehen zumindest noch die Wände“, sagt Lizzie. Letzteres hätte vielleicht funktionieren können, wenn nicht auch noch Nachbar und Freund Barry Derrill (Adrian Linke) vorbei käme, weniger großmäulig als Darry, aber ebenso tollpatschig und erheblich kurzsichtiger. Die beiden üben für einen Liederabend („Da, wo die Bienen summen“ / „Down Where the Bees Are Hummin’“) und kümmern sich dann um den Rest: instabile und eigensinnige Regale, brüchiges Geschirr, widerspenstige Glühlampen, ein Kurzschluss, ein Fass Petroleum, herumliegende Rasierklingen, eine Kuh, ein Strick und ein Kamin, das sind die tückischen Objekte, die das Prinzip der Auflösung in Bewegung setzen.
In den Keller
„Das Ende vom Anfang“ von Sean O’Casey. Theater Mönchengladbach und Krefeld. Bruno Winzen, Adrian Linke. Foto: Matthias Stutte. Rechte: Matthias Stutte / Theater Mönchengladbach und KrefeldDas ist eine alte Geschichte (und in Märchen ganz Europas verbreitet) und sie ist in der Fassung O’Caseys ungeheuer schwer auf die Bühne zu bringen. Auch das Möchengladbacher Katastrophenduo Winzen und Linke brauchen einige Zeit bis das Tempo einigermaßen stimmt und das Desaster sich angemessen entfaltet. Dann aber zündelt der gespielte Witz ins Publikum hinüber, das sich, so die letzte halbe Stunde etwa, vor Lachen krümmt.
Ich gehe derweil eine Runde in den Keller und frage mich, bei aller Wertschätzung der komödiantischen und fast akrobatischen Leistungen des Rheydter Teams, ob eine Inszenierung, die das Prinzip der Auflösung so sehr in die historische Ferne schiebt, nicht ein Lachen am falschen Objekt generiert: die rückständigen Trottel, die da auf der Bühne vorgestellt werden, sind ja weit weg von uns selbst.
Das Premierenpublikum in Mönchengladbach indes macht am Ende einen begeisterten Beifall.
Carl-Hermann Risse hat das Stück bereits im Herbst 2011 für das Theater am Kurfürstendamm eingerichtet (sehr ähnlich, wenn ich recht sehe). Nebenan in Leverkusen ist das Berliner Team im April für ein Gastspiel vor Ort, genauer: im Bayer Kulturhaus am 18. und 26. April 2013.
Sean O’Casey: Das Ende vom Anfang. R: Carl-Hermann Risse. D: Bruno Winzen, Adrian Linke, Paula Emmrich. Theater Mönchengladbach / Krefeld, Studiobühne Rheydt. P: 30. November 2012. 1¼ h o. P.