Kulturraum NRW


Katie Mitchell inszeniert W.G. Sebalds Ringe des Saturn in Köln

Im Zeichen des Hundsterns

Die britische Regisseurin Katie Mitchell unternimmt es, in der Kalker Spielstätte des Schauspiels Köln W.G. Sebalds wunderbares Erzählkunstwerk 'Die Ringe des Saturn' auf die Bühne zu bringen und verfehlt es auf notwendige Weise.

Das Tonstudio, das auf der Spielfläche eingerichtet ist (Bühnenbild von Lizzie Clachan), hat die beste Zeit lang hinter sich. Von den Wänden bricht der Putz, auf dem Boden liegt Laub verstreut. Links ein langer Tisch, vor dem die Sprecher (Julia Wieninger, Ruth Marie Kröger, Nikolaus Benda) Textauszüge aus Sebalds Wander- und Gedankenreise durch die Grafschaft Suffolk lesen. An den Wänden fassen Stahlregale die Utensilien fürs Geräuschemachen, ein alter Sessel, eine Türattrappe, einige Stühle anbei. Halblinks sind die Flächen für die Schrittgeräusche ausgebracht: Sand, Kiesel, Schotter, Unterholz, Dielen. Ganz rechts sitzt Julia Klomfaß am Klavier und macht mit den Kollegen von den Soundeffekten die Tonspur für eine Videoinstallation.

Der leere und lautlose Monat August

Das Video übersetzt die Ästhetik der Abbildungen aus Sebalds 1995 erschienen Text ins Filmische und wird meist als Triptychon auf die Rückwand geworfen: Schwarzweißaufnahmen von Landschaft und Städten an der englischen Ostküste, vorwiegend menschenleer, von erdrückender Weite, dazu historische und dokumentarische Sequenzen, dann das Gesicht eines offensichtlich vor der Zeit gealterten Mannes in Großaufnahme.

Es ist August, der „leere und lautlose Monat“, die Hundstage gehen ihrem Ende zu, als der Erzähler, „in einem Zustand nahezu gänzlicher Unbeweglichkeit“, eingeliefert wird „in das Spital der Provinzhauptstadt Norwich“, wo er dann, „in Gedanken zumindest“ beginnt mit der Niederschrift seines Berichts von der Reise, die er im Vorjahr unternommen hat. Ein Schiebetor öffnet sich und im Bühnenhintergrund sehen wir das Spitalbett mit dem Patienten, ein Kameramann stellt sein Werkzeug auf, das die Großaufnahmen und Halbtotalen des Kranken bereit stellt. Von Zeit zu Zeit kümmern sich die Schwestern, Katy und Lizzie. Vielmehr wird sich auf der Bühne an diesem Abend nicht abspielen.

Die Choreographie der Illusionsproduktion

Katie Mitchell hat ihre Theatersprache der onstage filmischen Inszenierung Mitte der Nullerjahre entwickelt. In Deutschland konnte man sich das unter anderem 2008/09 im Schauspiel Köln mit Kroetz‘ Wunschkonzert oder auf der Berliner Schaubühne 2010/11 mit Strindbergs Fräulein Julie ansehen.

Im Idealfall kommt dabei eine faszinierend präzise Choreographie der Illusionsproduktion heraus. Im Off der Kamera ist dann stets Bewegung, Requisiten werden arrangiert, Kostüme gewechselt, Kameras und Beleuchtung auf- und abgebaut, die Geräuschemacher sind in beeindruckender Synchronität zum Film- und Bühnengeschehen geschäftig.

Im Idealfall stellt diese inszenatorische Strategie sehr wirksam und unmittelbar nicht nur die Produktion des Scheins zur Rede, sondern kann zu einer sehr grundsätzlichen Neupositionierung gegenüber dem dramatischen Material anhalten und ihm neue Dimensionen hinzu fügen.

Im Idealfall, nicht in diesem Fall, da wirkt Mitchells Strategie sich eher einengend auf das Material aus und das nicht nur weil Sebalds Prosa gerade nicht handlungsgetrieben ist, also wenig filmischen Aktionismus erlaubt.

Sebalds Text gewinnt seine Dynamik auch aus der Gegenläufigkeit verschiedener Bewegungen und ihrer Geschwindigkeiten. Da ist zunächst die nahezu gänzliche Unbeweglichkeit des Erzählers im Krankenbett und da ist die höchst bewegliche Freiheit seiner gedanklichen Exkursionen. Da ist die langsame und geduldige Erkundung der Landschaft durch das Wandern, an das sich der Erzähler erinnert und da ist die spiralförmige, Schwindel machende Beschleunigung in Panikattacken, die den Wanderer ereilen angesichts der Weite der Landschaft und bei der überraschenden Begegnung mit zwei Menschen beim Strandfick. Da ist das unendlich langsame Zerstörungswerk der Küstenerosion, der Umweltzerstörung, des Verfalls aufgelassener Gebäude und da ist die Verdichtung der Zerstörungsprozesse im Krieg. Demgegenüber verengt die Statik von Mitchells theatralischer Rekonstruktion das Geschehen auf ein Gleichmaß einer melancholiegesättigten Langsamkeit.

Der Schädel des Thomas Browne

Auch die inhaltliche Großzügigkeit der assoziativ verknüpften Gedankenexkursionen des Erzählers geht in dieser Bühneneinrichtung weitestgehend verloren. Im ersten Kapitel des Textes lese ich Entscheidendes nicht nur über die Fahndung nach dem Schädel des im 17. Jahrhundert in Norwich praktizierenden Arztes Thomas Browne und dessen Überlegungen zum Muster des sogenannten Quincunx, ich habe Teil an seinen Kenntnissen zu Fabelwesen wie der zweiköpfigen Schlange Apmphisbaena und dem Baldanders, bin mit Descartes und Rembrandt in der Amsterdamer Anatomie des Dr. Tulp und lese vom unschuldigen Leben und unerwarteten Ableben des Ramuz-Experten Michael Parkinson und der Romanistin Janine Dakyns. Natürlich kann selbst eine Katie Mitchell diese Gedankenbewegungen nicht auf die Bühne bringen, aber damit bleibt dann auch nicht viel vom Charme der Ringe übrig.

Zuletzt bleibt eine weitere Verengung: der melancholische Grundton der Detailbeobachtung von Zerstörung und Verfall wird im Sebaldschen Text ausgeglichen durch einen sehr feinen, bisweilen skurrilen Humor, der der „beinahe nur aus Kalamitäten bestehenden Geschichte“ der Menschen einige Leichtigkeit entgegensetzen kann. Die fehlt an diesem Abend völlig. Selbst bei den skurrilsten Geschichten über britische Exzentriker verzieht das Kölner Premierenpublikum keine Miene mehr, macht aber nach knapp zwei pausenlosen Stunden einen sehr freundlichen Beifall.

Ich schätze die Regiekunst von Katie Mitchell außerordentlich und bewundere die Erzählkunst W.G. Sebalds uneingeschränkt. Jede für sich.

W. G. Sebald: Die Ringe des Saturn. Eine englische Wallfahrt. Fassung von Katie Mitchell. R: Katie Mitchel. D: Julia Wieninger, Ruth Marie Kröger, Nikolaus Benda, Renato Schuch, Juro Mikus. Köln, Halle Kalk. UA: 11. Mai 2012. 2h o.P.