Kulturraum NRW


Katie Mitchell inszeniert Kroetz‘ Wunschkonzert in Köln

Die Nacht brodelt vor elf Sternen

Katie Mitchell bringt im Kölner Schauspielhaus Franz Xaver Kroetz' Wunschkonzert auf die Bühne und macht aus einem hundsmiserablen Stück großartiges Theater.

Auf dieser Bühne wird augenscheinlich ein Low-Budget-Fernsehfilm gedreht, über den letzten Abend im Leben des Fräulein Rasch. Im gläsernen Tonstudio hinten rechts streicht ein Quartett Beethoven und Bizet für das Wunschkonzert, das titelgebend im Radio spielt – und macht zugleich die Filmmusik. Weiter vorne bedient unterdessen jemand ein präpariertes Klavier für Soundeffekte. Im linken Bühnenvordergrund hantieren Geräuschmacherinnen und bringen den Sound des Alltäglichen auf die Tonspur. Mittig werden Großaufnahmen gedreht, parallel zur Totalen und Halbtotalen, die im Bühnenhintergrund im Studiobau der Kleinwohnung des Fräulein Rasch aufgenommen werden. Auf eine Leinwand wird zeitgleich das Ergebnis projiziert: In düsteren, kalten Farben, ins grobkörnig Blaugraue gehend, statische Einstellungen, viele Nahaufnahmen, wenig Schnitte. Früher konnte man sowas zu später Stunde im Kleinen Fernsehspiel des ZDF sehen, das heißt, bis man dann eingeschlafen ist.

Im Gegensatz zur Statik des Gefilmten und Projizierten ist auf der Bühne im Off der Kameras stets Bewegung, Kameras und Beleuchtung werden auf- und abgebaut, Requisiten arrangiert, Kostüme gewechselt, die Crew ist geschäftig. Die Synchronizität von Ton- und Bildmaschinerie, von Totale und Detail, von Bühne und Leinwand bietet eine gute Stunde lang eine faszinierend präzise Choreographie der Produktion des filmischen Scheins.

Affirmative Selbsttötung

Das Drehbuch zum Film ist also von Franz Xaver Kroetz. Der hat Anfang der siebziger Jahre sein wortloses Einpersonenstück Wunschkonzert geschrieben. Und das Leben ist wahrlich keins für Fräulein Rasch, Angestellte in einer Papierwarenfabrik, Anfang vierzig, allein. Sie kommt am Abend in ihr untergemietetes Zimmer, hört im Radio das Wunschkonzert (im Fernsehen gibt’s nur Was bin ich – wir sind in den Siebzigern), sie macht Haushalt, Essen und Handarbeiten, Körperpflege, pendantisch, einsam, wortlos. Sie geht ins Bett, bleibt schlaflos, steht auf, nimmt eine Überdosis Tabletten. Dann Ende.

Ein Vorwort zum zwölfseitigen Stück macht klar, worum es Kroetz dabei ging – und das ist nun widerlich:

Wie Tiere projizieren diese Menschen ihre Notsituationen in ihrer Haltung im Stummsein […]. [Der Satz macht auch im Original weder inhaltlich noch grammatikalisch Sinn.]

Diese Menschen, für die das Fräulein Rasch als Exemplum steht, diese „Arbeitstiere“, in ihrer „Unfähigkeit […], sich aus der Sklaverei der Produktion zu befreien“, verabsäumen es doch tatsächlich, sich gegen ihre „Ausnutzung und Unterdrückung“ zu wenden – sonst „hätten wir die revolutionäre Situation“. Weil sie für Kroetz vor der ihnen zugewiesenen Rolle in der Weltrevolution versagen, sind sie freigegeben dem denunziatorischen Blick dessen, der den poststalinistischen Weltgeist auf seiner Seite weiß. Lächerlich „ihre kleinen Träume“, Witzfiguren sie selber, zu bedauern vielleicht, aber nur soweit sie als Karikatur dem Interesse des dichtenden Salonrevolutionärs dienlich sind. Ihre Selbsttötung diene nur der Aufrechterhaltung der „unmenschliche[n] Ordnung, in der wir […] weiter leben müssen“.

Die Stadt schweigt

Wer bei Sinn und Verstand ist, kann dieses Stück nicht bringen – oder er macht das so wie Katie Mitchell es macht und wendet die Inszenierung gegen das Stück, auch wenn sie das vielleicht gar nicht beabsichtigt hat (das Interview mit ihr im Programmheft zeugt nicht von einer spezifischen Distanz zum Stück). Jedenfalls behauptet sich die Figur des Fräulein Rasch gegen den denunziatorischen Blick, wenn man sie als Gegenstand einer (filmischen) Inszenierung und Projektion zeigt. Dazu braucht es allerdings auch solche Schauspielerinnen wie Julia Wieninger und Birgit Walter, die die Rasch mit großem Ernst und zerbrechlicher Würde darstellen.

Die Wortlosigkeit des Kroetzschen Stücks wird nicht nur von der Stimme des Wunschkonzertmoderators durchbrochen, sondern auch von – und das gibt’s bei Kroetz natürlich nicht – aus dem Off des Films beigesprochener Lyrik der amerikanischen Dichterin Anne Sexton:

Die Stadt schweigt. Die Nacht brodelt vor elf Sternen.
Oh, sternenklare Nacht! So
möchte ich sterben.

Franz Xaver Kroetz: Wunschkonzert. R: Katie Mitchell. D: Julia Wieninger, Birgit Walter, Therese Dürrenberger, Laura Sundermann, Stefan Nagel. Köln, Schauspielhaus. P: 05.12.2008. 65 min. o. P.