Karin Henkel inszeniert Molières Menschenfeind in Köln
Get out, Get out
Karin Henkel inszeniert am Kölner Schauspielhaus Molières Menschenfeind ebenso kurzweilig wie tragisch.
In der ersten Reihe des Hochparketts eine kleine Party: bessere Kreise, denke ich, Modernisierungsgewinnler in etwas geckenhaftem Edelfummel, schwatzen und kichern und saufen. Von der schmalen Rampe, die von dort oben über die mittige Bestuhlung hinab zur Bühne führt, werden Cocktails, Sekt und Knabberzeugs ins etwas verblüffte Publikum gereicht. Dann tritt einer aus der Partygesellschaft aus. Er fuchtelt mit einem Revolver und flucht und brüllt seine Verachtung der Menschen heraus, ihre Heuchelei, ihr Schmeicheln. So beginnt Karin Henkels kurzweilige Inszenierung von Molières Menschenfeind am Kölner Schauspielhaus.
Als das Stück (Le Misanthrope ou l’Atrabilaire amoureux) 1666 im Pariser Palais-Royal uraufgeführt wurde, mit dem Autor in der Titelrolle, war das nicht wirklich ein überwältigender Erfolg: vielleicht zu ernst geraten, sicher zu wenig äußere Handlung, jedenfalls am Zeitgeschmack vorbei geschrieben war die Komödie, die heute zum Kernbestand der Weltliteratur zählt.
Alceste, der Menschenfeind, verfolgt das Ideal eines Lebens in uneingeschränkter Aufrichtigkeit. Den Rat seines Freundes Philinte, sich zu mäßigen und einem Minimum an gesellschaftlicher Konvention – d.h. Heuchelei – Folge zu leisten, weist er brüsk zurück. Alcestes Starrsinn, oder positiv seine Unbedingtheit, bringt ihm Niederlage um Niederlage ein, die er wiederum nimmt als Rechtfertigung seiner Verachtung der Menschen. In komischem Gegensatz zu seiner nihilistischen Haltung steht seine Liebe zu Célimène, einer jungen koketten Witwe, die es genießt, ihren zahlreichen Verehrern schmeichlerisch Hoffnungen zu machen. Als Briefe, in denen sie ihre Verehrer verspottet, sie kompromittieren, wendet sich die bessere Gesellschaft von ihr ab. Alceste aber hält an seiner Liebe zu ihr fest.
Karin Henkel neigt die Komödie zum Tragischen und kann sich dabei – wenn sie denn möchte – auf Goethe berufen:
Wir möchten gern Inhalt und Behandlung dieses Stücks tragisch nennen; […] weil dasjenige vor Blick und Geist gebracht wird, was uns oft selbst zur Verzweiflung bringt und wie ihn [den Menschenfeind] aus der Welt jagen möchte.
Mit Felix Goeser, einem gebürtigen Kölner, derzeit im Ensemble des Stuttgarter Staatstheaters und 2006 von theater heute zum Schauspieler des Jahres gekürt, hat sie die ideale Besetzung für ihre tragische Ausdeutung des Alcestes zur Hand. Sein kraftvoller Auftritt macht mir den verzweifelten Welt- (und hier auch Selbst-) ekel Alcestes ebenso einsichtig wie sympathisch.
Komische Akzente setzt diese Inszenierung einerseits in den Nebenrollen. Viel Gelächter fährt so etwa Michael Wittenborn mit einem burlesken Auftritt in einer Schürzenrolle als Alcestes Mutter ein. Andererseits ist es der Reim, der als Quelle der Komik mobilisiert wird: „Heim zum Reim“ wird zu Beginn an den eisernen Vorhang projektiert. Das ist eher misslich. Henkel lässt die endgereimte Menschenfeindübersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens spielen und die klang für mich doch sehr hölzern und ungelenk. Immerhin, die Überbetonung des Endreims, die dieser Inszenierung durchgängig als humoristisches Mittel dient, kann man als Distanzierung von dieser Übertragung produktiv missverstehen.
Die von Stefan Mayer eingerichtete Bühne, ein schwarzer, von Neonröhren gerahmter Kasten, bringt das Spielfeld auf Kammerspielformat und das Geschehen bei Bedarf hydraulisch in die schiefe Ebene. Gegen Ende ist es Alceste der den Kasten und die Verhältnisse zurück ins Lot bringt: Anders als bei Molière schlägt hier die kompromittierte Célimène Alceste die gemeinsame Weltflucht, den Rückzug aus der Gesellschaft als Ausweg vor. Alceste weist das zurück, sich mit den Verhältnissen arrangierend. Die unbedingte Aufrichtigkeit ist wohl auch nur eine beliebige Masche, die einen durchs Leben bringt und du weißt nie, was den anderen durchs Leben bringt.
Deshalb wummert zuletzt Get out von Archive aus den Boxen des Schauspielhauses. Dessen Eingangstakte dienen schon vorher der Inszenierung als Soundtrack:
Get out, Get out,
cause I don’t know what you are about
Get out, Get out,
cause I don’t know what you’re thinking about
Molière: Der Menschenfeind oder der unglückliche Verliebte. R: Karin Henkel. D: Felix Goeser, Julia Wieninger, Carlo Ljubek, Agelika Richter. Köln, Schauspielhaus, P: 25.01.2008. 120 min o.P.