Johannes Schütz inszeniert Racines Phädra in Köln
Mit Schiller und Spitzhacke
Johannes Schütz inszeniert Jean Racines Phädra in der Kölner Halle Kalk als straightes Schauspielertheater, ohne viel Schnickschnack, aber in der falschen Übersetzung und über weite Strecken seltsam unkörperlich.
Diese Frau steht seit jeher nicht in allerbestem Ruf. Phädra, die Gattin des Königs von Athen verliebt sich in ihren Stiefsohn, Hippolyt, als sie ihn im Stadion seine Runden drehen sieht. Und ich kann sie verstehen: wenn Orlando Klaus als Hippolyt auf der, mit weißem Sand ausgelegten Spielfläche in der Kalker Halle seine Bahnen läuft, dann läuft da ein Götterliebling und ausnehmend hübscher Bengel, vielleicht ein wenig zu stolz und selbstverliebt, aber was kann man erwarten vom Sohn des Königs und einer Amazonenkönigin. An der rückwärtigen Wand sitzt das weitere Personal des Abends, darunter natürlich eben jene Phädra (Anja Laïs), die ihren Blick nicht von dem Läufer lassen kann. Das wird böse enden.
Als der griechsche Dramatiker Euripides in jungen Jahren seine erste Tragödie über Phaidra und Hippolytos so um 434 vuZ ins Theater bringt und Phaidra als schamlos unzüchtiges Weibsbild zeichnet, das den armen Hippolytos auf offener Bühne zu verführen sucht, ist das zu viel für das Athener Publikum – er wird ausgebuht, jedenfalls wenn man damals gebuht hat, ich weiß es nicht. Gleichviel, das Stück fällt durch und ist nicht erhalten. Später macht er eine weichgespülte weitere Fassung desselben Stoffs, diesmal mit mehr Erfolg. Phaidra ist jetzt das edle Opfer der Intrigen der Liebesgöttin Aphrodite – der Beginn einer langen Geschichte dramatischer Erklärungsversuche.
Erklärungsversuche
Dass der Stoff irgendwie unschicklich sei, hat man auch dem französischen Klassiker Jean Racine vorgeworfen, der zweitausend Jahre nach Euripides erklärt, er wolle seine Phèdre „weder als ganz schuldig, noch als ganz unschuldig“ darstellen, insgesamt „ein Bisschen weniger hassenswert“ als das seinen Vorgängern sachdienlich schien. Das eigentliche Verbrechen Phaidras, dass sie nämlich, nachdem sie von Hippolytos zurückgewiesen wird, ihn verleumdet, er sei es gewesen, der ihr nachgestellt habe, schiebt Racine einer intriganten Amme in Schuhe; so kommt Phèdre zwar tot, aber halbwegs sauber aus der Sache raus.
Regisseur Johannes Schütz, der auch das Spielfeld eingerichtet hat, setzt auf diesen Racine, in der Übertragung von Schiller. Zumindest letzteres ist, glaube ich, ein Fehler. Das Schillersche Getöse hält das Stück ganz unnötig in der Ferne. Andernorts, in Frankfurt etwa oder auch auf der Wiener Burg, läuft die Phädra in der ungleich frischeren Übersetzung von Simon Werle (Schütz hat auch für die Wiener Inszenierung das Bühnenbild entworfen), vielleicht muss man das aber auch ganz neu machen.
Zerstörungsrausch
Egal, Anja Laïs‘ Phädra muss also schillern, wenn das Gewissen und die Liebe sie quält, krank macht, in den Wahnsinn treibt. Das ist schade und über weite Strecken seltsam unkörperlich und kühl inszeniert. Es gibt aber eine ganz starke Szene. Phädra erfährt, dass der Jüngling sie zurückweist, nicht weil er den Vater schonen will oder auch sich selbst, sondern weil er eine andere liebt, die in Köln etwas blasse Aricia (Marina Frenk), nun gut, er ist jung und weiß es nicht besser. Phädra schafft im Eifersuchtsrausch eine schwere Spitzhacke herbei und zertrümmert die aus fest gefügtem Sand gebaute Wehrmauer des Palastes. Das braucht einige Minuten einer jetzt sehr greifbaren und ergreifenden Zerstörungswut. Das von vorne einfallende Bühnenlicht wirft die Spitzhacke als monströsen Mordschatten auf die Rückwand. Da zerlegt sie jetzt die Körper der anderen.
Das Kölner Premierenpublikum ist nur zu freundlichem, aber nicht gerade begeistertem Beifall bereit.
Jean Racine: Phädra. Ein Trauerspiel. Übertragen von Friedrich Schiller. R: Johannes Schütz. D: Anja Laïs, Orlando Klaus, Marina Frenk, Christian Nickel u.a. Köln, Halle Kalk, P: 8. Oktober 2011. 1¾ h o. P.