Bert Brechts und Kurt Weills Dreigroschenoper in Köln
Anstatt daß, wollen sie Spaß
Am Schauspielhaus Köln legt Nicolas Stemann seine Hannoveraner Inszenierung (2002) der Dreigroschenoper neu auf und mobilisiert das theatralische Potential des Stücks gegen eine museale Aufführungspraxis.
An den Kölner Bühnen sind in diesem Frühjahr die beiden Stücke zu sehen, mit denen Bertolt Brecht und Kurt Weill Ende der zwanziger Jahre das Musiktheater zu revolutionieren versuchten: Die Kölner Oper zeigt den Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny in einer neuen Inszenierung von Katharina Thalbach, während nebenan im Schauspielhaus die Dreigroschenoper zu sehen ist.1
Import aus Hannover
Diese Inszenierung der Dreigroschenoper ist also ein Import aus Hannover, wo sich Stemann 2002 des Klassikers angenommen hat. Zwei Hauptdarsteller (Sachiko Hara als Polly und Wolfgang Michalek als Peachum), den musikalischen Leiter Hans-Jörn Brandenburg, das Bühnenbild und das Konzept der Inszenierung hat er aus dem Norden mitgebracht.
Seinerzeit gab es durchaus zwiespältige Reaktionen auf seinen Versuch einer Erkundung theatralischer Potentiale, die das Erfolgsstück selbst heute noch gegen seine meist museale und schlimmer noch spießig-unterschichtenromatische Aufführungspraxis mobiliseren könnte. Stemann habe das Stück „auseinandergenommen, wie es vor kurzem noch nicht möglich gewesen wäre“ hieß es mit einiger Anerkennung, aber die Inszenierung gebärde sich „durch und durch essayistisch“ (Tagesspiegel) und selten sei es in den „Puffs von London so öd und tot – fad“ zugegangen (Focus).
Lange Nase
Lassen wir mal die prostitutionsromantischen Phantasien des Focus-Kritikers beiseite: Richtig ist, dass Stemann sich sehr analytisch und mit klarem Kopf dem Gassenhauer aus der Weimarer Republik nähert, am radikalsten gleich zu Anfang des Stücks.
Der von Katrin Nottrodt eingerichtete Bühnenraum – mit badeanstaltsblauen Platten steril gemacht und nach oben mit einer weißen Kassettendecke abgehängt – liegt zunächst ganz im Dunkel. Auf einer Obertitelanzeige leuchten die einleitenden Bühnenanweisungen und der Text des Vorspiels vorbei, inklusive der berühmten Moritat von Mackie Messer, die mit dem Haifisch und den Zähnen. Es bleibt ganz still dabei, bis aufs verhaltene Gelächter aus dem Publikum, ein Witzbold ruft „Anfangen!“, und dann erst, zu Beginn des ersten Aktes, fangen zögernd einige Schauspieler an, aus dem Dunkel heraus, mit dem Rücken zum Publikum, den Sprechtext vorzulesen, zunächst ganz ungelenk, ins Stocken geratend, wenn die Anzeige nicht nachkommt.
Das ist zuallererst eine lange Nase gezeigt, weniger dem Publikum gegenüber, dem ja der Rücken, nicht die Nase gezeigt wird, sondern vielmehr den oft gescholtenen Brecht-Erben, die ihre Vorstellungen von Werktreue gegenüber den Texten des Meisters gerne mit Mitteln des Urheberrechts in Stellung bringen gegen einen freien interpretatorischen Zugriff auf das Material. Das ist aber auch eine sehr konsequente Fortschreibung der antillusionistische Strategie des Brechtschen „epischen Theaters“, dass der Schauspieler eben nicht nur spielen möge, sondern sein Spielen (und Singen) zu zeigen habe.
Annäherung aus großer Distanz
Nach dieser Annäherung aus großer Distanz aber, erobert sich das Spiel den Bühnenraum, die Darsteller und schließlich das Publikum. Die Dynamik dieser Bewegung ist jedenfalls alles andere als „öd und tot“: Das Ergebnis ist ebenso unterhaltsam wie witzig wie tauglich, die schon etwas peinlich gewordene Brechtsche Bürgerschreckattitude ins Dialektische zu bringen. Jene Attitude gehört ja sehr in die Zeit, als das letzte Jahrhundert noch adoleszent war – und wurde vom bürgerlichen Theaterpublikum zudem auch sehr umstandslos assimiliert (was Brecht naturgemäß ebenso geärgert wie ob des Erfolgs gefreut haben wird): Es heißt, das Dreigroschenstück habe bis Januar 1933 mehr als 10.000 Aufführungen in ganz Europa erreicht.
Dabei sind die Wahrheiten des Stücks ja längst nicht über ihr Haltbarkeitsdatum hinweg:
Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes?
Das ist bis heute nur zunehmend beglaubigt worden und wird auch in Köln mit Applaus begrüßt (Stemann lässt die zweite Frage gleich dreimal an verschiedenen Stellen bringen, ich finde die dritte Frage ja viel wichtiger). Nein, diese Wahrheiten sind zwar unverändert gültig, aber ihre Delegierung in den Bühnenraum hat bei den revolutionären Klassikern schon etwas sehr Albernes (das war Brecht natürlich sehr bewusst).
Eine der vielen Regieideen dieser Aufführung (wenn ich richtig recherchiert habe, ist das anders als in der Hannoveraner Fassung): Anja Laïs, die in Köln die Celia Peachum macht (und im Übrigen ganz wundervoll singt), verteilt zu Beginn des letzten Akts Pappschilder mit den Slogans des Stücks an die Zuschauer in den ersten Reihen („Erst kommt das Fressen, dann die Moral“, „Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm“ usw., zum Gaudi der Kölner auch „Das Schauspielhaus bleibt!“). Da sitzt man dann und hält die Schilder hoch. Und in welche Richtung drehe ich das Schild? Zur Bühne, zum Zuschauerraum? Gleichviel, bei diesen Wahrheiten sind sich ohnehin alle einig. Peachum erklärt dem Polizeichef Brown, der die Schilderträger verhaften lassen will: „Die sind doch harmlos“. So ist das wohl.
Bertolt Brecht, Kurt Weill: Die Dreigroschenoper. R. Nicolas Stemann, ML: Hans-Jörn Brandenburg, D: Wolfgang Michalek, Anja Laïs, Sachiko Hara, Robert Dölle u.a. Köln, Schauspielhaus, P: 27. März 2011, ca. 3h mit 1P.
1 Gesehen habe ich bislang allerdings nur die öffentliche Generalprobe. Anständige Karten für Premieren im Kölner Schauspiel zu bekommen, ist in der letzten Zeit ziemlich schwierig geworden. Es war längst überfällig, dass die Kölner Kulturpolitik da eingeschritten ist und den Weggang der Schauspielintendantin Karin Beier nach Kräften befördert hat. Das wird hoffentlich zeitnah dafür sorgen, dass das Schauspiel nicht ständig ausverkauft ist.