Kulturraum NRW


Die Theatersaison 2012/2013 im Süden der Rheinprovinz

Eine Vorschau (1)

In Trier versucht man, den Verstand nicht zu verlieren, in Koblenz feiert das Haus am Deinhardplatz Jubiläum, das Theater Aachen will sich in der Mitte der Stadt positionieren und in Bonn ist Intendant Klaus Weise eine letzte Spielzeit unterwegs.

Theater Trier Außenansicht; Foto: jvfDas Theater Trier stellt seine Spielzeit unter das marketingtaugliche Label „lebens.wert“, ergänzt aber gleich den Satz, der Lessings Gräfin Orsina so unsterblich macht: „Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren“. Und ich fürchte, damit bin ich bei dem Thema, das auch die vorfreudigste Vorschau auf die Theatersession 2012/13 nicht vermeiden kann. In Zeiten, zu denen es als Ausweis ökonomischer Vernunft gilt, mit öffentlichen Geldern die Kreditrisiken privater Hand auszulösen und eine Refinanzierung dieser Transferleistungen anzustreben, nicht etwa durch Heranziehung privater Vermögen, sondern durch neuerliche Kredite bei eben dieser privaten Hand sowie durch Einsparungen in Sachen, ausgerechnet, Kultur – zu diesen Zeiten braucht es einige unempfindliche Restbestände an Witz, um den Verstand nicht endgültig zu verlieren. Und zum Hohn geraten öffentliche Bühnen unter verschärften Legitimationsdruck, sie mögen doch bitte für ihre Refinanzierung vermehrt selber sorgen, zum Ausgleich für die Transferleistungen hin zu den Krisengewinnlern an den Kapitalmärkten. Bleib ruhig, Herz, ruhig …

Theater Trier

In Trier also versucht man nun über eine größere Spreizung der Eintrittspreise zu mehr Einnahmen zu kommen (rund 200.000 € sind geplant), das mag in Ordnung gehen. Zugleich aber wird nach Möglichkeiten gesucht, dass das Spardiktat – zuletzt stand ein Betrag von einer halben Million Euro jährlich zur Rede – nicht zur Schließung einer der drei Sparten in Trier führt. Schlimmer noch: mittelfristig harrt das Haus am Augustinerhof einer immer dringender werdenden Generalsanierung, mehr als 20 Millionen wird es dafür brauchen.

Kleiner Mann, was nun? wird Intendant Gerhard Weber im Frühjahr inszenieren. Die Revue von Tankred Dorst und Peter Zadek nach Motiven von Hans Fallada hat am 2. März 2013 Premiere. Als erste Schauspielpremiere der Session steht aber Brechts Leben des Galilei auf dem Plan (P 23. September 2012). Im Sommer nächsten Jahres gibt’s auf der Studiobühne mit der Winterreise erstmals ein Stück von Elfriede Jelinek (P 15. Juni 2013).

Als probates Mittel zur Kostendämpfung gilt allenthalben die Kooperation von Häusern. Die Häuser an der Mosel – auch in Koblenz wird von einer Schließung der Tanzsparte gesprochen – experimentieren heuer mit einer Koproduktion von Smetanas Die verkaufte Braut, vielleicht hätte sich auch die Evita dafür angeboten, die in beiden Häusern für dieses Jahr auf dem Plan steht.

Für Trier ist in Sachen Musiktheater aber auf meiner Merkliste etwas anderes notiert: Ein Doppelabend mit Orffs Märcheneinakter Die Kluge und Ravels pornographischer Kömodie Die spanische Stunde (P 30. März 2013).

Ballettdirektor Sven Grützmacher plant unterdessen Barockmusik zu sampeln und darauf Sebastian Brandts Narrenschiff zu vertanzen (UA 3. November 2012), im Frühjahr nimmt sich dann die australische Choreographin Amy Share-Kissiov Songs und Leben Johann Hölzels zur Vorlage eines Tanzstücks: Falco – The spirit never dies (UA 20. April 2013).

Theater Koblenz

Theater der Stadt Koblenz; Foto: Lothar Spurzem, Lizenz: CC BY-SA 2.0; Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Stadttheater_Koblenz_2008-10-04_b.jpgDie Kollegen moselabwärts begehen heuer das 225-jährige Jubiläum ihres Kurfürstlichen Komödien-, Opern-, Ball- und Assemblée-Hauses. Auf dem Spielplan des Theater Koblenz stehen deshalb u.a. Mozarts Entführung aus dem Serail und Schillers Räuber, mit denen wurde im November 1787 das Haus am heutigen Deinhardplatz eröffnet.

Auf meiner Merkliste steht hingegen die Uraufführung von John von Düffels Alle sechzehn Jahre im Sommer (UA 15. September 2012). Die als Auftragswerk des Koblenzer Theaters entstandene „Trilogie des veränderten Lebens“ verspricht, die Lebens- und Beziehungs­katastrophen einstiger WG-Insassen in drei Stationen (zu Zeiten der Weltmeisterschaften 1974, 1990, 2006) nachzuzeichnen. Das Stück ist übrigens einige Tage später auch schon nebenan im Staatstheater Wiesbaden zu sehen. Eröffnet wird die Koblenzer Session bereits am 7. September in den Kammerspielen mit Eric-Emmanuel Schmitts Enigma.

Interessant werden könnte auch der, vom Koblenzer Ballettchef Steffen Fuchs eingerichtete Abend An Stelle von Heimat (UA 29. September 2012). Die musikalische Grundlage liefern drei, von den Nazis ins Exil getriebene Komponisten: Kurt Weill, Erich Wolfgang Korngold und Franz Waxman.

Die Oper ist dieses Jahr am deutschen Eck etwas sehr konventionell unterwegs. Ein so spannendes Unterfangen wie den Doppelabend mit Massenets La Navarraise und Aperghis’ Les Boulingrin, den es im letzten Jahr hatte, suche ich im Jubiläumsprogramm vergeblich. Immerhin steht die heuer unverzichtbare Dreigroschenoper auf dem Spielplan.

Theater Aachen

Das Theater in Aachen Außenansicht; Foto: Euku, Lizenz: CC BY-SA 3.0; Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Theater_Aachen_%282009%29.jpgGanz im Westen der Rheinprovinz blickt man derweil sorgenvoll hinüber zu den niederländischen Nachbarn, bei denen anti-intellektuelle Ressentiments und Austeritätsideologie bereits eine ebenso unheilige wie wirkungsmächtige Allianz eingegangen sind. Dass die dortige Mitte-Rechts-Koalition unlängst gescheitert ist, ändert nichts an deren Sparbeschlüssen mit ihren drakonischen Kürzungen der Investitionen im Kultursektor. Wenn ich recht im Bilde bin, werden in den einstmals coolen Niederlanden die öffentlichen Gelder für die Unterstützung von Ensembles, Orchestern und Kultureinrichtungen binnen zweier Jahre um mehr als 25 Prozent zusammen gestrichen (dafür werden aber auch „Strafgebühren“ für säumige Studenten eingeführt – ach, Oranje).

Das Theater Aachen stellt sich dagegen für die Session 2012/13 unter dem Label „Bewegung in der Mitte“ auf. Die Mitte der Stadt ist der Ort, an dem sich das Stadttheater positionieren will, die erodierende Mitte der Gesellschaft will man in den Blick nehmen und das Spielfeld der Machtpolitik, das unter dem Namen „Mitte“ notorisch ist, gilt es ohnehin zu beobachten.

Ebendrum wird die Schauspielsaison auf der Großen Bühne mit Shakespeares Macbeth eröffnet  (P 23. September 2012). Später folgt eine Theateradaption von Viscontis Nazischinken Die Verdammten unter dem Titel Der Fall der Götter (P 9. März 2013).

Für die Kammerspiele haben sich die Aachener die Aufführungsrechte an Jonathan Safran Foers Bestseller Tiere essen gesichert und versprechen daraus eine „Theaterperformance“ zu machen (UA 7. Juni 2013), ich weiß nicht recht.  Nora Mansmann schreibt unterdessen an einem Stück (Arbeitstitel arm sein ), das sie im Mörgens auch selbst inszenieren wird und das sich auf Spurensuche im Aachen unterhalb der Mitte macht (UA 15. Mai 2013).

Die musikalische Leitung in Aachen übernimmt der neue Generalmusikdirektor Kazem Abdullah. Vorgemerkt habe ich mir Salvatore Sciarrinos Bahnhofsobdachlosenoper Superflumina, die als Auftragswerk des Nationaltheaters Mannheim ebendort im Mai letzten Jahres uraufgeführt wurde (P 9. Dezember 2012) – und Händels opera seria Ariodante (P 3. Februar 2013).

Theater Bonn

Theater Bonn, Außenansicht. Foto: jvf.

Der Bonner Generalintendant Klaus Weise macht seine letzte Saison in der Bundesstadt, die Sparvorgaben von 3,5 Mio. Euro für die Bühnen der Stadt seien „desaströs“, die wolle er nicht mittragen, deshalb stehe er für eine Verlängerung seiner Amtszeit nicht zur Verfügung. Bernhard Helmich kommt nächstes Jahr aus Chemnitz und übernimmt die Nachfolge.

In Sachen Musiktheater auf der Bonner Bühne ist Paul Hindemiths Einakter-Triptychon auffällig, uraufgeführt 1922. Hindemith verbindet darin drei zeitgenössische Kurzdramen zu einem skandlösen Opernabend: Oskar Kokoschkas expressionistisches Geschlechtergemetzel Mörder, Hoffnung der Frauen, August Stramms blasphemischen Nonnenporno Sancta Susanna und Franz Bleis burmesisches Marionettenspiel, Das Nusch-Nuschi, ohne Marionetten. Der scheidende Chef nimmt die Inszenierung selbst in die Hand (P 23. September 2012).

Auf der kleinen Bühne der Werkstatt übernimmt David Mouchtar-Samorai die deutsche Erstaufführung von Sünder/Sinner: Das Stück des israelischen Dramatikers Joshua Sobol ist das Duell einer wegen Ehebruchs zum Tod durch Steinigung verurteilten Lehrerin und ihrem Liebhaber, ihrem Schüler (DE 26. September 2012). Für die Uraufführung in der Halle Beuel kurz vor Weihnachten strickt Sibylle Berg ein neues Stück, über das ich aber noch nichts weiß (UA 15. Dezember 2012). Im Frühjahr gibt es in der Werkstatt drei zusammengeleimte Dramolette vom jungen Dramatiker Philipp Löhle: Big Mitmache, Herr Weber und die Litotes, Afrokalypse (P 21. März 2012). Löhles im letzten Jahr in Bonn uraufgeführtes Stück Der Wind macht das Fähnchen fand ich nicht wirklich überzeugend, mal gucken.

Euro Central Theater, Bonn

Im kleinen, aber umso verdienstvolleren Euro Central Theater am Bonner Mauspfad eröffnet Molières Le malade imaginaire in französischer Sprache die neue Session (P 6. September 2012). Im November folgt das 2010 mit dem Tony Award als best play ausgezeichnete Rot des amerikanischen Dramatikers und Hollywoodautors John Logan. Das Zweipersonenstück um Mark Rothko war letztes Jahr im Berliner Renaissance-Theater zu sehen und kommt in Bonn zu seiner – soweit ich sehe – rheinischen Erstaufführung. Interessant werden könnten auch die Konsequenzen der Bonner Tanzkompanie bo komplex (Bärbel Stenzenberger und Olaf Reinecke), die im Januar 2013 am Mauspfad uraufgeführt werden.

Merkliste Süd

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