Kulturraum NRW


Salman Rushdie – Die bezaubernde Florentinerin

West-östliche Fiktionen

Salman Rushdie hat mit The Enchantress of Florence (Die bezaubernde Florentinerin) einen wunderhübschen Roman geschrieben über die Renaissance, das Abenteuer, die Liebe, die Schönheit und vor allem über die lebensrettende Macht des Erzählens.

Der Herrscher des Mogulreichs im nördlichen Indien des 16. Jahrhunderts, Akbar der Große, ist heimgesucht vom Dämon der Einsamkeit. Auf seinen Kriegszügen hat er mehr als genug Zeit, seinen Gedanken nach zu gehen über „die Unbeständigkeit des Universums, die Größe der Sterne, die Brüste seiner Frauen, die Natur Gottes“ und sogar über die mehr als grammatikalische Frage nach dem Ich. Das hilft letztendlich nicht viel. Wenn einem ein Harem von Königinnen keine Erlösung mehr verschafft, gilt es, sich eine Königin zu erfinden, eine imaginäre Frau, die alsbald die Königinnen des Harems an Schönheit und Realität übertrifft – und wer wollte dem Großmogul, „dem Weltenverschlinger“, dem absoluten „Herrscher der Herrscher“, schon widersprechen und ihm dessen Lieblingsfrau als Illusion offenbaren?

Andererseits hilft einem auch eine imaginäre Königin nicht wirklich weiter, denn auch sie wird einen nicht verstehen, wenn man von der eigenen herrscherlichen Person nicht mehr im majestätischen Wir, sondern probehalber als Ich spricht. Da braucht es ein anderes Gegenüber, einen Mann womöglich, der anders als die eigenen Söhne, einem nicht nach dem Leben trachtet, um selbst absoluter Herrscher zu werden, einen würdigen Gesprächspartner, jemanden, dem man vertrauen kann. Dem Fremden, der aus dem fernen Florenz zu stammen vorgibt, der behauptet ein Verwandter zu sein und eine schier unglaubliche Abenteuergeschichte über seine Vorfahren erzählt, wird man ihm trauen können?

Aufhellung aus schwarzen Augen

Dieser Fremde erzählt von Qara Köz, „the Lady Black Eyes“, einer jungen Frau aus dem Haus des Großmoguls, die dereinst „ihr eigenes Leben verfolgt hat, jenseits der Konventionen, durch die Macht ihres Willens“, die gelernt hat, „dass ihre Macht über die Männer es ihr erlauben würde, ihren Lebensweg selbst zu bestimmen“, wobei ihre berückende Schönheit naturgemäß hilfreich ist. Ihr Weg führt sie von Indien an den Hof des Schahs von Persien und später, an der Seite eines Janitscharen florentinischer Herkunft, bevor es dann weiter in die Neue Welt geht, in die Hauptstadt des frühneuzeitlichen Aufbruchs am Arno. Dort wird sie für kurze Zeit, als „Zauberin von Florenz“, die Herzen und Seelen der Florentiner in finsteren Zeiten aufhellen. Das muss böse enden.

Der Fremde, der ihre Geschichte zurück in den fernen Osten trägt, geht den umgekehrten, den spiegelbildlichen Weg. Spiegel und Doppelgänger(innen) sind nicht nur Leitmotive dieses Romans und auf der Ebene der Erzählkonstruktion konstitutiv, sondern auch zentrale Metapher für das Verhältnis von östlicher und westlicher Kultur, jedenfalls in der Form der Utopie gegenseitiger Aufhellung. Die mag wohl nur gelingen, wenn Akbars Religionsskepsis Schule macht:

War der Glaube nichts anderes als eine Familientradition? […] Vielleicht gab es keine wahre Religion. Ja, er erlaubte sich das zu denken. Er wollte die Möglichkeit haben, jemandem von seinem Verdacht zu erzählen, dass Menschen ihre Götter gemacht haben und nicht anders herum. Er wollte die Möglichkeit haben, zu sagen, dass es der Mensch ist, der im Zentrum der Dinge steht, nicht Gott.

Andererseits ist die Utopie der Aufhellung (oder dann Aufklärung und Emanzipation) ungebrochen nur noch in der märchenhaften Welt denkbar, von der Rushdie erzählt, in der bezaubernde Prinzessinnen sich in heldenhafte Janitscharen verlieben und Alraunen noch zaubermächtig sind. Rushdies 16. Jahrhundert scheint eine Zeit gewesen zu sein, in der das Erzählen noch geholfen hat, „bevor das Reale und das nicht Reale für immer geschieden wurde“. Das einem dabei zu jeder Zeit das Geschichtenerzählen ebenso leicht um Kopf und Kragen bringen wie den Hals retten kann, das bezeugt Sheherezade in tausendundeiner Nacht ebenso wie das Leben Salman Rushdies selbst.

Sound und Charme

Der Rushdiesound, irgendwo zwischen modernem Märchen, magischem Realismus und postmoderner Mehrfachkodierung, ist manchmal sehr nah daran ins Kitschige zu verrutschen. Aber im Ernst: Ich kenne nicht viele Autoren, denen es gelingen würde, aus einer solchen Stoff- und Motivmasse einen so lesbaren Roman zu stricken.

Die Saga von Qara Köz funktioniert als Abenteuer- und Liebesroman ebenso gut, wie als intertextuelles Puzzlespiel: Die Erzählungen aus tausendundeiner Nacht finden ebenso einen Nachhall wie etwa Ariosts Orlando Furioso oder Machiavellis Komödie Madragola und sicher einiges, das ich nicht erkannt habe. Wenn man dazu noch die Erzählung von historischen Figuren wie Akbar den Großen, Niccolò Machiavelli, Andrea Doria und Fürst Dracula mit einer poetologischen Erzählung über die Macht der Fiktion zusammenführt, dann kann das eigentlich nur in die Binsen gehen. Es sei denn, jemand verfügt über soviel erzählerische Routine und handwerkliche Meisterschaft wie Salman Rushdie – und darüber hinaus noch über dessen Witz und erzählerischen Charme.

Als The Enchantress of Florence im letzten Jahr erschienen ist, hat der Roman in der angelsächsischen Kritik – zurückhaltend formuliert – eine eher verhaltene Aufnahme gefunden: ermüdend und konfus sei er, selbstverliebt, der bislang schlechteste Roman des Autors, argwöhnten da manche. Papperlapapp.

Die deutsche Übersetzung erscheint Anfang März bei Rowohlt.

Salman Rushdie: The Enchantress of Florence. London: Jonathan Cape, 2008. 359 S. [Die bezaubernde Florentinerin. Roman. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt, 2009. 448 S.]