Hans Herbert Grimm, Schlump (1928) – Der Erste Weltkrieg in der Literatur
Liebe machen, nicht Krieg
Der 1928 anonym publizierte Roman „Schlump“ erzählt mit viel Charme und mit pazifistischem Impetus von der Liebe in den Zeiten des Krieges. 1933 von den Nazis verbrannt, war er achtzig Jahre kaum noch zugänglich. Der Kölner Verlag Kiepenheuer&Witsch macht sich jetzt mit einer Neuausgabe verdient.
Schlump. Die Geschichten und Abenteuer aus dem Leben des unbekannten Musketiers Emil Schulz, genannt „Schlump“. Von ihm selbst erzählt, so der vollständige Titel, war seinerzeit wohl kein Bestseller. Das blieb Erich Maria Remarques Roman Im Westen nichts Neues vorbehalten, der im gleichen Jahr als Vorabdruck erschien. Den Nazis galten beide Romane als „undeutsch“ und sie setzten beide – wie auch den Rest der heute noch lesbaren Literatur über den Ersten Weltkrieg – 1933 auf die braunen Listen der Bücherverbrennung.
Bereits 1929 kam eine englische Übersetzung heraus unter dem Titel Schlump. The Story of an Unknown Soldier. J.B. Priestley soll Schlump als „das bislang beste deutsche Kriegsbuch“ bezeichnet haben, mit Ausnahme von Arnold Zweigs Der Streit um den Sergeanten Grischa freilich. Andere zeigten sich weniger beeindruckt: „In keinem Fall ein großer Roman“ sei das, urteilte der Evening Telegraph. Der Rezensent des Sydney Morning Herald hingegen war etwas geneigter: „Dies kommt einem großen Roman sehr nahe […], aber der anonyme Autor hat seine Hauptfigur unglücklicherweise stärker als Frauenheld gestaltet als für den Zweck notwendig gewesen wäre“. Die wackeren Iren setzten diesen Roman um einen Frauenhelden gleich auf ihre Liste der verbotenen Bücher – der Grund: Unzüchtigkeit.
Der Autor, Hans Herbert Grimm (1896- 1950), Französischlehrer im thüringischen Altenburg, war ohnehin vorsichtig genug, sein Werk anonym publizieren zu lassen, er fürchtete negative Auswirkungen auf seine bürgerliche Karriere. Dass Grimm – selbst als Soldat zu beiden Weltkriegen herangezogen und aus dem gleichen Jahrgang wie sein Held Schlump – der Autor des Romans war, ist erst seit Kurzem bekannt. Der Literaturkritiker Volker Weidermann, der mit seinem Buch der verbrannten Bücher 2008 zuallerst die Aufmerksamkeit wieder auf diesen Antikriegsroman gelenkt hat, konnte 2013 die Autorschaft ermitteln. Weidermann steuert auch das Nachwort zur Neuausgabe bei, die jetzt bei Kiepenheuer& Witsch herausgegeben wird.
Was ist also dran an dem Buch, das sein Autor vorsichtshalber anonym erscheinen ließ und irischen Katholiken sowie deutschen Nazis gleichermaßen verdammungswürdig war?
Beim Schlaffittchen gepackt
„Schlump war gerade sechzehn Jahre alt geworden, als im Jahre 1914 der Krieg ausbrach.“ So lapidar fängt die Geschichte des jungen Soldaten Emil Schulz an. Schulz heißt Schlump seit ihn als junger Bengel nach einem Streich ein Schutzmann beim Schlaffittchen gepackt und ihn mit „Du Schlump!“ angebrüllt hat:
Vielleicht dachte er an Lumpen und an Spitzbuben und an andere Kerle, die mit Sch anfangen. Dann bezog Emil eine vollgemessene Tracht Prügel und lief brüllend nach Hause. […] Und alle sagten Schlump zu ihm, so blieb es zeit seines Lebens.
Dieser Schlump also sitzt im Sommer 1914 an seiner Arbeit in einer Weberei, die Realschule hat er gerade hinter sich gelassen, und denkt „an die Mädchen und an den Krieg“, noch sehr naive Gedanken, in Sachen Krieg voll von Lagerfeuer, singendem Marschieren, Hurra und Sieg und Mädchen, die Blumen aus Fenstern dazu streuen. Gegen den Willen seiner Eltern meldet er sich an seinem siebzehnten Geburtstag freiwillig zur Infanterie, am 1. August 1915 rückt er stolz in die Kaserne ein.
Von der Idylle des Hinterlands in die Krüppelgarde
Grimm erzählt in durchaus kunstvoll vereinfachter Sprache und in schlichter linearer Struktur von den Kriegserlebnissen seines Helden. Nach der Rekrutenausbildung wird Schlump als Ortskommandeur im Dorf Loffrande im nordfranzösischen Pas-de-Calais eingesetzt, er hat Französisch gelernt, das reicht. Nach mehr als einem Jahr in der vergleichsweisen Idylle des Hinterlandes erfolgt die Abberufung an die Front. Da wird Schlump beim Latrinengang durch die Explosion einer Propellermine verwundet, kommt ins Lazarett in Bacherach, dann zurück in den Schützengraben, „aber diesmal in erster Linie“:
Erste Linie, dritte Linie, Ruhe; immer je sechs Tage, das war der aufreibende und gefährliche Dreitakt, in den sich Schlump jetzt eingespannt sah. Das war aufregend und abstumpfend zugleich. Man sah keinen Feind, man mußte sich abschießen lassen und konnte sich nicht wehren. Nur Posten stehen vor dem Drahtverhau, nichts als Posten stehen. […] die Stimmung war schlecht, die Sodaten hungerten und führten verdrossene Reden.
Und:
Wie glücklich sind die, denen sie einen Arm abgeschossen haben oder ein Bein. Sie sind jetzt zu Hause, sie können sich ins Bett legen und schlafen, schlafen, schlafen. Schlump war schrecklich enttäuscht von diesem Krieg. Und die Gelegenheit zu einer Heldentat wollte immer noch nicht kommen.
Schlump überlebt mit knapper Not und schwerer Verwundung den Schrecken eines Sturmangriffs, wieder Lazarett, dann Dienst in der „Genesenenkompagnie“, der „Krüppelgarde“:
Die Genesenenkompagnie war außerhalb der Stadt in einem alten Wirtshaus untergebracht. Das war eine traurige Truppe. Schlump suchte sich ein Bett im Saale, wo sie früher die Bauernmädchen ausgeschwenkt hatten. Er sah sich um. […] Neben ihm lag einer, der bekam von Zeit zu Zeit Tobsuchtsanfälle. Dann mußten alle um ihn herum flüchten, wenn sie nicht totgeschlagen werden wollten. Die Schemel und Bänke und die Beinkrüppel waren deshalb aus seiner Nähe fortgebracht worden. Weiter hinten saß einer im Bett, der hatte den Verstand verloren, er schrie von Zeit zu Zeit: „Mama, Mama!“ und verlangte die Milchflasche. Seine Kameraden mußten ihn füttern und trockenlegen wie ein kleines Kind. Aber es fanden sich nicht immer welche dazu. Deshalb sollte er in nächster Zeit fortgeschafft werden. Man wartete nur darauf, daß in der Irrenanstalt Platz wurden, denn die war auch überfüllt. Unter ihm saß einer auf seinem Bett, dem hatten sie das Kinn weggeschossen, er sah aus wie ein Geier und man konnte sich vor ihm fürchten. In der Ecke lag einer ganz allein. Er hatte einen Bauchschuß gehabt, und man konnte sich ihm gar nicht nähern, weil er einen fürchterlichen Gestank verbreitete. Er war nicht imstande seinen Kot zu halten. Auf den Bänken an den Seiten saßen Krüppel aller Art, eine entsetzliche Galerie von Mißgestalten in feldgrauer Uniform.
Um einen erneuten Einsatz an der Front zu entgehen („Im Schützengraben sind doch bloß die Dummen“), meldet er sich zum Etappendienst bei der Kommandantur in Maubeuge, wird Wechselstubenführer. Er merkt, „daß hier alle Geschäfte“ machen, zumindest „wenn sie nicht auf den Kopf gefallen“ sind. Schlump verschiebt Textilien und Schnaps, ergaunert ein Vermögen mit gefälschtem Notgeld, wird schließlich versetzt in die Postüberwachungsstelle zu Bohain, wo sich das Ende des Krieges abwarten lässt:
Sie führten ein bequemes und behagliches Leben. Von Westen her, von der Front tönte bei gutem Wetter der Kanonendonner herüber und erinnerte sie daran, daß dort täglich tausende von jungen Menschen auf grausamste Weise ums Leben kamen. Man mußte sich daran gewöhnen, solche Gedanken fernzuhalten.
Die schöne Marie und die heilige Johanna
Beim Fernhalten der Gedanken helfen die Mädchen. Da sind Estelle und Marie in Loffrande, die Cousinen Elly und Nelly in Bacherach, die Wirtstochter Margaret, „die schöne Wallonin“ Gabrièle in Hautmont, die „hübsche junge Louise“ in Bohain und zu Hause wartet die heilige Johanna – die hat er vor dem Krieg geküsst und aus den Augen verloren: „Die Jugend ist verschwenderisch, sie lebt im Paradies und merkt es nicht, wenn ihr das leibhaftige Glück begegnete.“
Die erzählerische Strategie dieses Romans ist ebenso schlicht wie wirkungsvoll: Das Glück des Sex und das Heilsversprechen der Liebe in Anschlag bringen gegen die Schrecken des Krieges. Etwas besseres als den Tod findet dieser Schlump im Glück überall und allemal.
Seine erotischen Abenteuer werden ergänzt durch Episoden, die Kameraden erzählen: Geschichten vom Liebesverrat an der Heimatfront natürlich, Moritaten aus Liebe, Schwänke auch. Da ist zum Beispiel die junge Braut, die ihrem etwas unverständigen Gatten weis macht, an der Geburt des Sohnes viereinhalb Monate nach der Hochzeit sei nichts verdächtig. Sie schreibt ihm an die Front, er solle nicht auf die Kameraden hören:
Freilich haben sie recht, neun Monate muß man verheiratet sein, ehe man Kinder kriegt. Stimmt das etwa bei uns nicht? Rechne Dir mal aus: Ich bin viereinhalb Monate verheiratet; Du auch: Wieviel ist denn das zusammen? Oder sind wir etwa nicht zusammen verheiratet!
Deutsche Gründlichkeit und pazifistischer Charme
Die Konstruktion des Romans mag man heute als etwas klapprig, die Überhöhung der Johanna als ein wenig schal empfinden. Und die Sprachgebung kann zwischendurch auf die Nerven fallen. Dem Charme dieses Provinz-Filous Schlump und dem Charme des pazifistischen Impetus dieses Erzählens kann man sich aber kaum entziehen.
Die letzten achtzig Jahre lang war der Text weitgehend unzugänglich, die Säuberung der Nazis war von deutscher Gründlichkeit, eine Neuausgabe nach dem Zweiten Krieg gab es nicht. Umso verdienstvoller ist die jetzige Neuausgabe.
[Hans Herbert Grimm:] Schlump. Die Geschichten und Abenteuer aus dem Leben des unbekannten Musketiers Emil Schulz, genannt „Schlump“. Von ihm selbst erzählt. München: Kurt Wolff Verlag, 1928. Neuausgabe: Köln: Kiepenheuer&Witsch, 2014.
Hinweis: Ich zitiere nach der Erstausgabe von 1928. Die Neuausgabe von Kiepenheuer&Witsch lag mir zum Zeitpunkt der Abfassung noch nicht vor.