Winterausstellungen 2023/24 in München
Monk und Turner, Fruhtrunk und das venezianische Cinquecento, Kafka, Störungen und Störgefühle: Im Winter 2023/24 gibt es in der bayerischen Hauptstadt eine Menge guter Kunst zu sehen.
- ➔ Meredith Monk im Haus der Kunst
- ➔ William Turner im Kunstbau
- ➔ Franz Kafka in der Villa Stuck
- ➔ Venezia ’500 in der Alten Pinakothek
- ➔ Günter Fruhtrunk im Lenbachhaus
- ➔ Kunst der Störung in der Pinakothek der Moderne
- ➔ Ignacio Zuloaga in der Kunsthalle
Meredith Monk – Calling
Meredith Monk – Calling. Songs of Ascension Shrine, 2023. Installationsansicht, Haus der Kunst, 2023. Foto: Fritz Beck.
In seiner Nordgalerie zeigt das Haus der Kunst die erste umfassende Überblicksschau in Europa zum multidisziplinären Werk von Meredith Monk (*1942 in New York City). Die US-amerikanische Musikerin und Performancekünstlerin gilt mit ihren Arbeiten seit den 1960er Jahren als einflussreiche Pionierin der vokalen und ortsspezifischen Performance.
Der Anfang der Ausstellung ist vielleicht etwas spröde geraten mit seinen Multimedia-Installationen – Reproduktionen des Hauses der Kunst, die für Monks frühe Werke stehen. Und es ist ein Jammer, dass die Bild- und Tonqualität der Aufzeichnung ihrer dreiaktigen Oper Quarry zeittypisch (1977) miserabel ist. Aber das macht die Schau im weiteren Verlauf mehr als wett, bis hin zum spektakulären Abschluss mit dem Dreikanal-Video Songs of Ascension (2023).
Ungeduldigen Menschen sei geraten, am Ende der Ausstellung anzufangen. Nach den Songs of Ascension kommt man dann spätestens mit dem Hörerlebnis im Silver Lake with Dolmen Music (1981) zur nötigen Ruhe, um sich im Mittelteil der Ausstellung Zeit für Mitschnitte von Liveauftritten zu nehmen, die auf Tablets zur Auswahl bereit zu liegen.
Sebst wenn die visuellen Aspekte in Monks Werk nicht ganz auf der Höhe ihrer musikalischen Qualität sein mögen: Die Ausstellung lohnt auch eine längere Anreise.
Meredith Monk – Calling. K: Anna Schneider u. Teresa Retzer. München, Haus der Kunst, 10. November 2023 bis 3. März 2024.
Turner – Three Horizons
Joseph Mallord William Turner, Snow Storm - Steam-Boat off a Harbour’s Mouth, 1842. Foto: © Tate, Lizenz: CC-BY-NC-ND 3.0.
Die Hauptattraktion für Touristen ist im Münchener Ausstellungswinter 2023/24 aber zweifelsfrei die Turner-Schau der Städtischen Galerie im Kunstbau. Die langgestreckte Halle im Zwischengeschoss der U-Bahnstation Königsplatz ist ja immer etwas unwirtlich, aber das Ausstellungsdesign macht das Beste daraus.
Gezeigt werden rund 40 Gemälde sowie ebensoviele Aquarelle und Skizzen des englischen Großmeisters der Romantik, wofür die Bestände der Tate Gallery umfassend geplündert wurden.
Etwas ungewöhnlich erscheint auf den ersten Blick die Hängung, die an der rechten Wand der unterirdischen Halle in langer Serie Werke, Entwürfe, unvollendete Arbeiten zeigt, die William Turner zu Lebzeiten (1775-1851) nicht ausgestellt hat. Ihnen gegenüber gestellt sind an der linken Wand solche Arbeiten, die Turner in Ausstellungen – meist der Royal Academy – der Öffentlichkeit präsentiert hat.
Diese Gegenüberstellung ermöglicht nicht nur einen Einblick in die Werkstatt und das Experiment, sondern bietet zugleich auch Einsichten in die, zunehmend kontroverse öffentliche Aufnahme von Turners Werken und vielleicht auch in seine Strategie einer schrittweisen Herausforderung der Sehgewohnheiten und Toleranzen des Publikums.
In der, über eine kleine Treppe erreichbaren Rotunde im Kunstbau wird die Rezeptionsgeschichte bis zu den Nachgeborenen verfolgt, die Turner wahlweise als Vorläufer des Impressionismus oder der Abstraktion reklamierten. Diese Sektion ist allerdings mit ihren eng gehängten Textfahnen darstellerisch ziemlich misslungen.
Gleichviel, es gibt in dieser Ausstellung nicht nur viel über Turner zu erfahren, sondern auch berückend gute Malerei zu sehen.
Turner – Three Horizons. K: Karin Althaus und Nicholas Maniu. München, Lenbachhaus Kunstbau, 28. Oktober 2023 bis 10. März 2024.
Kafka – 1924
Janet Cardiff & George Bures Miller, The Killing Machine, 2007. Mixed-Media-Installation mit Ton, Pneumatik, Robotik, Zahnarztstuhl, elektrischer Gitarre, Röhrenmonitor, Computer, Discokugel, diversen Kontrollsystemen, Lichttechnik. Produktion und Design des Roboterarms: Carlo Crovato, Robyn Moody, Musik: “Heartstrings” von Freida Abtan, Assistent am Schlagzeug: Titus Maderlecher. Sammlung Goetz, München.
Etwas beeilen muss man sich, um die spannende und kurzweilige Ausstellung nicht zu verpassen, die das Museum Villa Stuck als Auftakt zum 100. Todesjahr Franz Kafkas († 3. Juni 1924) ausrichtet. Die Schau, die sich um die Kafka-Rezeption in der (vornehmlich Gegenwarts-)Kunst kümmert, ist nur noch bis 11. Februar 2024 zu sehen.
Arbeiten von mehr als 30 Künstler:innen sind da klug zusammengestellt. Darunter sind Werke, die sich unmittelbar auf Kafkas Erzählungen beziehen wie etwa Harald Szeemanns Nachbau der Foltermaschine (1975) aus der Strafkolonie, Cardiff & Millers Killing Machine (2007) im gleichen Zusammenhang, Paula Regos Gemälde Metamorphosing after Kafka (2002) oder Zeichnungen von Alfred Kubin, die er 1932 für Ein Landarzt angefertigt hat. Hinzu kommen Arbeiten, die sich sinnvoll auf Kafkas Werk beziehen lassen.
Zu den prominentesten ausgestellten Künstler:innen gehören Louise Bourgeois, Berlinde De Bruyckere, Rodney Graham, Andreas Gursky, Mona Hatoum, Roni Horn, Maria Lassnig, Germaine Richier, Anri Sala, Thomas Schütte, Chiharu Shiota und Jeff Wall.
Es schadet übrigens nicht, vor dem Besuch nochmal die ein oder andere Erzählung Kafkas zu lesen – das schadet aber auch eigentlich nie. Zur Not sind in der Ausstellung Auszüge aus Robert Crumbs und David Zane Mairowitz‘ graphic novel Kafka for Beginners (1993) an den Wänden aufgezogen und liefern ein wenig Kontext aus Kafkas Leben und Werk.
Kafka – 1924. K: Helena Pereña. München, Villa Stuck, 26. Oktober 2023 bis 11. Februar 2024.
Venezia ’500
Giovanni Bellini, Madonna col Bambino tra san Giovanni Battista e una santa, um 1500/05. Foto: jvf.
Die Alte Pinakothek nimmt die venezianische Malerei des Cinquecento, also des 16. Jahrhunderts, zum Gegenstand ihrer Herbst/Winter-Ausstellung, mit Schwerpunkt auf die 1. Hälfte der 1500er Jahre. Auch hier ist etwas Eile geboten, das Ding schließt bereits am 4. Februar 2024.
Die Ausstellung ist atemberaubend gut beschickt. Neben 15 Werken aus eigenen Beständen sind 70, teils wirklich spektakuläre Leihgaben aus den Gallerie dell’Accademia, der Galleria degli Uffizi, der Albertina, dem Kunsthistorischen Museum Wien, dem Louvre, dem Museo Thyssen-Bornemisza u.v.m zu Gast.
Ein Hinweis, über den Kunsthistoriker:innen vielleicht milde lächeln werden. Achten Sie mal neben den ganzen Bellinis, Giorgiones, Lottos, Tizians, Bordones und dem, allerdings nicht gut vertretenen Tintoretto – achten Sie mal besonders auf die Malerei Bernardino Licinios (um 1485 – nach 1549 / vor 1565). Mir ist der bislang völlig durchgegangen und das ist ziemlich gutes Zeugs.
Reisefreudige Zeitgenoss:innen könnten den Besuch von Venezia ’500 vielleicht auf der Hinfahrt aus NRW mit einem Abstecher ins Frankfurter Städel Museum verbinden. Dort ist noch bis Mitte Februar Holbein und die Renaissance im Norden zu sehen. Allerdings, und ich sage das nur ungern, dieses eine Mal schlägt die Pinakothek das Städelsche, München Frankfurt (aber sicher nicht 5:1) und Venedig Augsburg – aber das ist eine andere Geschichte.
Venezia ’500 – Die sanfte Revolution der venezianischen Malerei. K: Andreas Schumacher. München, Alte Pinakothek, 27. Oktober 2023 bis 4. Februar 2024.
Günter Fruhtrunk – Die Pariser Jahre
München, Lenbachhaus, Foto: jvf.
Aus Sicht der nordrhein-westfälischen Provinz hat es natürlich Sinn – will man sich zum 100. Geburtstag ein umfassendes Bild von Kunst und Karriere des Günter Fruhtrunk machen – zuallererst die umfassende Restrospektive im Bonner Kunstmuseum aufzusuchen (bis 10. März 2024, ab Ende April 2024 dann in Wiesbaden). Die Ausstellung im Lenbachhaus bietet aber eine wertvolle, ergänzende Vertiefung in Sachen seiner prägenden Jahre in Paris (die Münchener Ausstellung ist dabei kaum weniger umfangreich als die der Bonner Kolleg:innen).
Fruhtrunk, geboren 1923 in München, geht 1954 nach Paris, wo er sein charakteristisches Bildprinzip entwickelt, die ihn zu einem der wichtigsten deutschen Vertreter der konkreten Malerei in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts macht: Stark kontrastierende, leuchtende, hard edge Farbbänder, gerne diagonal angelegt und von linsenartigen Kreiselementen fokussiert – so in etwa.
1967 kehrt Fruhtrunk nach München zurück, wo er bis zu seinem Tod, fünfzehn Jahre später, an der Kunstakademie unterrichtet. Eingangs der Ausstellung im Lenbachhaus gibt es eine AV-Station mit sehr instruktiven und auch etwas anrührenden Erinnerungen seiner Student:innen an den Lehrer Fruhtrunk.
Günter Fruhtrunk – Die Pariser Jahre (1954–1967). München, Lenbachhaus, 21. November 2023 bis 7. April 2024.
Glitch – Die Kunst der Störung
Sie kennen das. Man sieht einem Ding mit recht großer Erwartung entgegen, weil die Idee, das Konzept, das Anliegen absolut überzeugend ist. Und dann …
Die Pinakothek der Moderne jedenfalls hat sich vorgenommen, mit Arbeiten von 50 Künstler:innen die Geschichte von absichtsvoll inszenierten Störphänomenen („Glitches“ eben) als künstlerisches Mittel im 20. und 21. Jahrhundert nachzuzeichnen.
Das funktioniert ziemlich gut in der Sektion, die sich um die Mobilisierung von Störelementen in der Fotografie kümmert und in der Beispiele von Man Ray, Erwin Blumenfeld, Florence Henri, Chargesheimer u.a. sehr hübsch konfrontiert werden mit Myriaden von Ratgebern zur Vermeidung von „Fotofehlern“.
In Sachen Video leidet die Ausstellung allerdings an zu vielen Exponaten, bei denen der Einsatz von Störungen so erwartbar und auch etwas trivial ist, dass sich ein Moment der produktiven Irritation keineswegs einstellen will.
Nam June Paiks (1932-2006) Apparatur zur Störung einer Fernsehansprache von Nixon (1965ff.) ist aber immer noch ebenso lustig wie Peter Weibels (1944-2023) Video/Videoinstallation The Endless Sandwich (1970/72). Bei beiden mag indes auch ein nostalgischer Effekt mitspielen.
Glitch – Die Kunst der Störung. K: Franziska Kunze und Katrin Bauer. München, Pinakothek der Moderne, 1. Dezember 2023 bis 17. März 2024.
Mythos Spanien – Ignacio Zuloaga
Ignacio Zuloaga, La víctima de la fiesta, 1910. Ausschnitt. Foto: jvf.
Sehr schwierig. Die Kunsthalle München zeigt eine umfassende Retrospektive auf das Werk von Ignacio Zuloaga. Und die Ausstellung ist sehr gut ausgestattet mit Leihgaben einer Vielzahl renommierter spanischer und internationaler Museen.
Zuloaga (1870–1945) verlegt sich ab den frühen 1890er Jahren auf eine Malerei, die Elemente eines sozialromantischen Realismus mit Rückgriffen auf die Traditionen spanischer Malerei vereint und sich auf, als charakteristisch für die spanische Nation aufgefasste Sujets fokussiert (der Stierkampf, die „Gitanos“).
Ab Mitte der 1930er Jahre wird Zuloaga von den spanischen Faschisten vereinnahmt und ist bereitwillig dabei: Er selbst malt Portraits von Franco und den Granden des Regimes. Auf der Biennale Venedig von 1938 wird er mit dem Premio Mussolini ausgezeichnet, Franco macht Hitler Gemälde Zuloagas zum Geschenk.
Die Ausstellung verschweigt diese Verstrickung nicht, argumentiert aber:
Seit der Nachkriegszeit wird das Urteil über Ignacio Zuloaga mitunter von seinen Verbindungen zum Franco-Regime überschattet. Dieser Fokus auf seine allerletzten Schaffensjahre wird dem Gesamtwerk, dessen größter und bedeutendster Teil bereits Jahrzehnte zuvor entstanden war, nicht gerecht und bedarf einer Revision.
Ich weiß nicht. Eine gewissenhafte Ausstellung, scheint mir, würde sein Werk daraufhin untersuchen, was es so prima anschlussfähig für die faschistische Propaganda und den Maler und seine Ästhetik zum Unterstützer der Diktatur gemacht hat. Das gelingt aber nicht und ist möglicherweise auch gar nicht intendiert.
Die Zuloaga-Schau wird später, 17. Februar bis 26. Mai 2024, auch im Bucerius Kunst Forum in Hamburg zu sehen sein.
Mythos Spanien – Ignacio Zuloaga 1870-1945. München, Kunsthalle, 15. September 2023 bis 4. Februar 2024.