William Kentridge im Frankfurter Liebieghaus
„O Sentimental Machine“
Noch bis 26. August 2018 zeigt das Liebieghaus am Frankfurter Museumsufer über 80 Arbeiten von William Kentridge im Dialog mit der Skulpturensammlung des Museums: must-see.
William Kentridge (*1955). Foto: Stella Olivier.
Für ein knappes halbes Jahr sind die – in der Mehrzahl in den letzten fünf Jahren entstandenen – Videos und Videoinstallationen, Skulpturen und kinetische Objekte, Zeichnungen und Collagen sowie Tapisserien des südafrikanischen Künstlers im Liebieghaus zu sehen.
The Refusal of Time
Die Anreise nach Frankfurt lohnt alleine schon wegen Kentridges immersiver und intensiver Multimediainstallation The Refusal of Time im großen Rom-Saal des Liebieghauses. Dort ist die Zeitverweigerungsmaschinerie – 2011/2012 als Auftragswerk für die Documenta 13 entstanden – zwischen die römischen Statuen gesetzt und lässt Athena, Zeus und Hermes sich wundern.
In der Mitte des Raumes pumpt „the elephant“, eine hölzerne Retro-Apparatur, die auf das Atmen als Maß einer individuellen Zeit ebenso anspielt wie auf Systeme pneumatischer Zeitsynchronisierung.
Die gab es seit den späten 1870er Jahren zunächst in Wien, dann in Paris und anderen Weltstädten und sorgten dafür, dass mittels minütlicher Druckluftimpulse öffentliche Uhren im Takt blieben (in Paris konnte man sich diesen pneumatischen Taktgeber auch für private Uhren abonnieren, 1 Sous pro Tag, sehr spannende Sache das, aber ich schweife ab).
Ausstellungsansicht „William Kentridge. O Sentimental Machine“. The Refusal of Time, 2012. Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main.
Die 5 Videokanäle von The Refusal of Time montieren gezeichnete und filmische Sequenzen in einer Bildästhetik des frühen Films: fragmentarische Essays über die Zeit, den Körper und den (kolonialisierten) Raum, die Wiederholung, die Verdichtung und die Umkehrung der Zeit, die Vergänglichkeit.
Das ganze endet nach knapp 30 Minuten mit dem unwiderstehlichen Lebens- und Sterbemarsch einer skurrilen brass band, die im Schattenriss den Raum umkreist. Von der Stirnwand sieht ein Fries in den Raum herab, das der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen als Epitaph für den 1812 verstorbenen Frankfurter Bankierssohn Bethmann-Hollweg gemeißelt hat.
Das Louisiana Museum of Modern Art, zu dessen Sammlung das Stück heute gehört, hat ein instruktives Video mit Interview und Aufnahmen der Installation ins Netz gestellt.
„All Power to the Serviettes“
Im großen Mittelmeerraum wartet unterdessen, titelgebend für die Frankfurter Schau, das Reenactment der Videoinstallation „O Sentimental Machine“, die Kentridge für die Istanbuler Biennale 2015 im Foyer des Hotel Splendid Palace eingerichtet hatte.
Das Hotel liegt auf Büyükada, der größten der Prinzeninseln vor Istanbul, unweit jener etwas unbescheidenen Villa, in der Leo Trotzki 1929-1933 auf der Flucht vor Stalin im Exil lebte.
William Kentridge, O Sentimental Machine, 2015. 5-Kanal-HD-Video-Installation mit vier Megaphonen. Standbild. Courtesy des Künstlers. Johannesburg © William Kentridge, 2018.
Im Nachbau des Hotelfoyers kann man sich jetzt im Sofa lümmeln und in 5-Videokanäle der Installation die Begründung Trotzkis für sein Bruch mit den Bolschewiki hören, Kentridge als Trotzkiparodist und beim Spiel auf einem Theremin bewundern während die südafrikanische Schauspielerin Sue Pam-Grant als Trotzkis Sekretärin Evgenia Shelepina eine Stummfilm-Slapstickkomödie gibt.
Auf einer rückwärtigen Tür ist kurz der neue Slogan der IV. Internationale projiziert: „All Power to the Serviettes“, ein blechernes Megaphon ersetzt den Kopf des Propagandisten. Eine skurril absurde, sehr witzige Erinnerungsmaschine.
Singende Nähmaschinen
Die blechernen Megaphone gehören – neben anderen Objektsymbolen wie dem Metronom, dem optischen Telegraphen oder der Espressokanne – zum festen Inventar von Kentridge’ Bildsprache. Sein Lexikon (2017) umfasst 44 Bronzegüsse dieser Objektsymbole und ist im ehemaligen Galerieraum in einen schmucken Schrank geräumt. Jedenfalls sind die Flüstertüten auch aktiv bei einer der jüngsten Arbeiten von Kentridge, dem Singer Trio (2018).
Im ehemaligen Speisesaal der Villa des Baron von Liebieg, Spross einer Dynastie von Textilfabrikanten, sind drei Megaphone auf drei Singer-Nähmaschinen montiert, wiegen sich im Rhythmus und singen a cappella einen Song von Nhlanhla Mahlangu.
Ausstellungsansicht „William Kentridge. O Sentimental Machine“. Singer Trio, 2018. Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main.
Kentridge / Handbuch
William Kentridge, geboren 1955 in Johannesburg, studierte zunächst Politikwissenschaft und Afrikanistik, dann Kunst in Johannesburg, später Schauspiel in Paris. Internationale Aufmerksamkeit sammelte er in den 1990er Jahren mit gezeichneten Filmen (Documenta X, 1997 in Kassel).
Heute gilt er als einer der erfolg- und einflussreichsten Künstler der Gegenwart. Zuletzt gefeiert wurde er für seine Arbeit als Opernregisseur mit Alban Bergs Lulu in New York (2015) und Wozzeck in Salzburg (2017). Seine Multimediainstallation The Refusal of Time gehörte zu den prägenden Arbeiten der Documenta 13 (2012).
Zur Ausstellung im Liebieghaus ist ein als „Handbuch“ betitelter, kleiner Katalog für 39,90 Euro erhältlich (Kerber Verlag). Das Ding ist ein Kunstwerk für sich mit Zeichnungen auf transparenter Folie, die sich über Bildmaterial von Objekten der Skulpturensammlung legen, und mit eingelegten Kunstpostkarten. Allerdings vermisse ich erläuternde Detailinformationen zu den einzelnen ausgestellten Werken.
William Kentridge. O Sentimental Machine. I: Sabine Theunissen. K: Vinzenz Brinkmann, Kristin Schrader. Frankfurt, Liebieghaus Skulpturensammlung, 22. März bis 26. August 2018.