Van Gogh Ausstellung im Städel Museum Frankfurt
„Der Christus der modernen Malerei“
Unter dem Titel „Making Van Gogh – Geschichte einer deutschen Liebe“ geht das Frankfurter Städel Museum in einer faszinierenden Großausstellung der van Gogh-Rezeption in Deutschland nach (bis 16. Februar 2020).
Selbstportrait aus Chicago zu Gast in Frankfurt: Vincent van Gogh, Selbstbildnis, 1887. Ausschnitt. Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: PD-Art.
Ich bin Ende letzten Jahres mit Blick auf den europäischen Ausstellungskalender 2019 etwas erschrocken zusammengezuckt. Die Tate Britain in London geht im Frühjahr mit „Van Gogh in Britain“ an den Start und das Frankfurfter Städel kontert im Herbst mit „Making Van Gogh – Geschichte einer deutschen Liebe“. Was ist das? Die Renationalisierung der Kunstgeschichte? Ausfluss des allgegenwärtigen chauvinistischen Backlash?
Immerhin können die Briten darauf verweisen, dass der junge Vincent für einige Zeit in England gelebt hat. In der Londoner Niederlassung der Goupil Galerie hat er in ganz jungen Jahren als Kunsthändler gearbeitet, dann als Lehrer in Ramsgate und Isleworth. Und sein lebenslanges Interesse an der britischen Kultur, insbesondere an der englische Literatur (Dickens vor allen) ist gut belegt.
Vergleichbares gibt es aus deutscher Sicht nicht zu vermelden. Andererseits war die frühe van Gogh-Rezeption in Deutschland unvergleichlich intensiver als die jenseits des Kanals. Und die Wirkung der Begegnung mit der Kunst van Goghs (und die Wirkung des van Gogh-Mythos) auf die Maler des Expessionismus in Dresden, Berlin, München und im Rheinland war zweifelsohne prägend. Ich nehme die nationale Perspektive also als sachlich legitime thematische Konzentration und nicht als ideologische Positionierung.
Seit 1908 in der Sammlung des Städel: Vincent van Gogh, Bauernhaus in Nuenen / Kartoffelpflanzerin, beide 1885. Quelle: Wikimedia Commons / Wikimedia Commons, Lizenz: PD-Art.
Mehr als 120 Gemälde und Arbeiten auf Papier versammelt das Städel Museum für seine Van Gogh Ausstellung, darunter rund 50 Werke des Meisters selbst. Dazu kommt noch dokumentarisches Material. In drei Sektionen widmet sich die Großausstellung in den Gartenhallen des Städel dem Mythos van Gogh und seiner Etablierung am Kunstmarkt, seiner Wirkung auf Künstler in Deutschland sowie der Analyse seines malerischen Vokabulars als Vorbild für die Avantgardemaler in Deutschland.
Kurzum: Es ist eine ganz wunderbare Ausstellung, mit überzeugender Werkauswahl (darunter eine Fülle von Meisterwerken), stringenter Aufbereitung in nachvollziehbarer Strukturierung.
Die Lichtgestalt und ihr Galerist
Entgegen dem Mythos vom isolierten Genie, das unverstanden und erfolglos im Verborgenen dem künstlerischen Drang folgt, war van Gogh durchaus gut vernetzt in der französischen Kunstszene. Er konnte Arbeiten nicht nur in diversen Pariser Avantgardegalerien, sondern auch mehrfach im Salon des Indépendants zeigen. Und er hat zu Lebzeiten einige – wenngleich nicht nur positive – Resonanz im Pariser Fachpublikum eingesammelt. Für einen mittdreißigjährigen, weitgehenden Autodidakten ohne umfassende Akademieausbildung ist das keine schlechte Bilanz.
1901 im Kunstsalon Paul Cassirer ausgestellt, heute Metropolitan Museum of Art New York: Vincent van Gogh, Erste Schritte – nach Millet, 1890. Quelle: Wikimedia Commons, Lizenz: PD-Art.
Zur zentralen Lichtgestalt der avantgardistischen Malerei und zum Inbegriff des Künstlergenies am Rande des Wahnsinns wird van Gogh aber erst nach seinem Tod. Und da spielt – neben der überaus klugen Leih-, Verkaufs- und Publikationspolitik der Nachlassverwalterin Johanna van Gogh-Bonger (Vincents Schwägerin) – ab der Jahrhundertwende die Rezeption in Deutschland eine gewichtige Rolle. Als Schlüsselfiguren für seine Etablierung am deutschen Kunstmarkt stellt die Städel-Ausstellung den Berliner Galeristen Paul Cassirer und den Kunstschriftsteller Julius Meier-Graefe vor.
Paul Cassirer organisierte 1901 die ersten Ausstellungen des Niederländers in Deutschland und sorgte bis zum Ersten Weltkrieg allein für 15 der insgesamt über 60 Ausstellungen mit Werken van Goghs im Deutschland dieser Jahre. Der Höhepunkt entsprechender Ausstellungstätigkeit war aber 1912 die „Internationale Kunstausstellung des Sonderbundes Westdeutscher Kunstfreunde und Künstler“ in Köln. An der hatte auch Cassirer im Arbeitsausschuss der Kunsthändler seinen Anteil.
Die ersten fünf Säle der Sonderbundausstellung (von 25 in der „Ausstellungshalle der Stadt Cöln“ insgesamt) waren den Werken van Goghs gewidmet, zeigten über 130 von seinen Gemälden und Zeichnungen und kanonisierte ihn damit als Gründungsvater der modernen Kunst. Etwas ungerecht musste sich Paul Cézanne dagegen übrigens mit nur einem Saal und 26 Werken zufrieden geben.
1912 in der Sonderbundausstellung, heute im Köller-Müller Museum: Vincent van Gogh, Weiden bei Sonnenuntergang, 1888. Öl auf Leinwand auf Karton, 31,6 cm x 34,3 cm. Rechte: © Kröller-Müller Museum, Otterlo, Niederlande.
Der Schmerzensmann der modernen Kunst und seine Sammler
Diese Kanonisierung vorbereitet zu haben, geht nicht zuletzt auf das Konto von Julius Meier-Graefe. Der hatte mit seinem Bestseller „Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst“ (1904) und einer ersten van Gogh-Biographie (1910) am Mythos des großen Schmerzensmanns der modernen Kunst gearbeitet: „Van Gogh war der Christus der modernen Kunst. Er hat für viele geschaffen, noch mehr für viele gelitten. Ob er der Heiland ist oder werden kann, das wird von dem Glauben der Jünger abhängen.“ (1914)
Erfunden hat Meier-Graefe diesen Mythos nicht: Er geht zurück auf den französischen Kunstkritiker Albert Aurier, der Anfang 1890 im Mercure de France mit einem ersten ausführlichen Porträt van Goghs die Grundlage für diese wirkungsmächtige Erzählung gelegt hat.
Soviel Hagiographie bleibt naturgemäß nicht ohne Auswirkungen auf Kunstsammler. Die Städel-Ausstellung dokumentiert anhand von einigen Beispielen wichtige und prominente Sammler der ersten Jahre des van Gogh-Booms. Das Schriftstellerpaar Thea und Carl Sternheim etwa kauft seinen ersten van Gogh 1908 (LʼArlésienne, 1888), zwölf weitere werden folgen. Das Bankierspaar Charlotte und Paul von Mendelssohn-Bartholdy erwirbt zwischen 1910 und 1914 acht Gemälde.
1908/1909 in der Sammlung Sternheim: Vincent van Gogh, Selbstbildnis / LʼArlésienne, 1887/1888. Heute Musée dʼOrsay Paris / Kröller-Müller Museum Otterlo. Quelle: Wikimedia Commons / Wikimedia Commons, Lizenz: PD-Art.
Zum umfangreichen Kunstbesitz des Diplomaten und Schriftstellers Harry Graf Kessler gehören Werke wie Les Peiroulets Ravine (1889) und Portrait du docteur Gachet (1890), auf das später noch zurückzukommen sein wird. Der Kölner Kaufhausbesitzer Leonhard Tietz erwirbt 1912 das Selbstporträt (1887), das jetzt für die Frankfurter Ausstellung aus Chicago angereist ist.
„Im Kampf um die Kunst“
Früher und umfassender als etwa in Frankreich oder – wenn ich recht verstehe – auch in den Niederlanden kümmern sich Museen und öffentliche Kunstsammlungen in Deutschland um den Erwerb von van Gogh-Werken.
Karl Ernst Osthaus erwirbt bereits 1902 das erste Van Gogh-Gemälde für sein privates Folkwang Museum in Hagen: Die Ernte (1889) hat aber jetzt leider nicht den Weg nach Frankfurt gefunden. Als erste öffentliche Kunstinstitution in Deutschland kauft dann 1908 der Städelsche Museumsverein für die Städtische Galerie ein Gemälde und eine Zeichnung des Niederländers. Das Bauernhaus in Nuenen und die Kartoffelpflanzerin sind allerdings noch sehr konventionelle, frühe Werke (beide 1885), die für den Geschmack des Publikums nicht besonders herausfordernd gewesen sein dürften.
Das Wallraf-Richartz-Museum in Köln ist da mutiger und legt 1910 nach mit dem Porträt des Armand Roulin (1888), das in Frankfurt ebenso dabei ist wie die noch spektaktulärere Version des Porträts, die sich Osthaus bereits 1903 gesichert hatte.
Ankäufe fürs Museum Folkwang (1903) und das Wallraf-Richartz-Museum (1910): Vincent van Gogh, Porträts des Armand Roulin, 1888. Heute Museum Folkwang Essen / Museum Boijmans Van Beuningen Rotterdam. Quelle: Wikimedia Commons / Wikimedia Commons, Lizenz: PD-Art.
Weitere Museumsankäufe (insbesondere der Bremer Kunsthalle) werden 1911 von nationalkonservativen Kunstkreisen zum Anlass genommen für einen wütenden Aufschrei. Die vom Landschaftsmaler Carl Vinnen verfasste Streitschrift „Ein Protest deutscher Künstler“ macht in der „großen Invasion französischer Kunst“ eine „große Gefahr für unser Volkstum“ aus. Zu den Unterstützern zählen neben vielen heute Vergessenen u.a. Käthe Kollwitz, Carl von Marr („kritikloser Fremdenkult“) und Franz von Stuck.
Der besonders für seine Ankaufspolitik angegriffene Direktor der Kunsthalle Bremen, Gustav Pauli, kontert mit einer Streitschrift „Im Kampf um die Kunst“ und findet im Schnitt – zumindest in heutiger Sicht – deutlich prominentere Unterstützer: Klimt, Liebermann, Corinth, Beckmann, Slevogt, Pechstein, Marc, Macke u.v.m. gehören zu den unterzeichnenden Künstlern.
Das Bildnis des Dr. Gachet
Das Porträt des Dr. Gachet und sein leerer Rahmen im Frankfurter Städel Museum. Quelle: Wikimedia Commons / Ausstellungsansicht Making Van Gogh, Foto: jvf, Lizenz: PD-Art / Rechte: Städel Museum.
Ein besonderes Kapitel der Ausstellung ist der Geschichte eines der letzten Gemälde van Goghs gewidmet. Dem jungen Direktor des Städelschen Kunstinstituts, Georg Swarzenski, gelingt es 1913 für die Städtische Galerie das Das Bildnis des Dr. Gachet (1890) zu erweben. Das Bild ist in den Folgejahren eines der Kernstücke der modernen Städel-Sammlung.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wird Swarzenski „wegen jüdischer Abstammung“ entlassen und muss sich vor einem Untersuchungsausschuss wegen des Ankaufs „einer Menge fremdrassiger und kulturbolschewistischer Machwerke“ verantworten. Er flieht 1938 in die USA.
1935 gelingt es den Frankfurtern noch, sich den Begehrlichkeiten des Reichspropagandaministeriums zu widersetzen, das einen Verkauf „ins Ausland“ zwecks Devisenbeschaffung plant. 1937 erfolgt dann aber die Beschlagnahme und im Folgejahr schließlich doch der Verkauf.
1990 wird das Porträt in New York für den Rekordpreis von 82,5 Mio. US-$ an einen japanischen Industriellen versteigert. Seitdem ist es nicht mehr öffentlich zu sehen gewesen. Es soll heute in Privatbesitz in der Schweiz sein. Auch für diese Ausstellung konnte es nicht geliehen werden.
Dem Städel Museum bleibt bis heute nur der Rahmen, der das Gemälde in seiner Frankfurter Zeit gefasst hat. Der wird neben Dokumenten und Reproduktionen in der Ausstellung gezeigt. Ein im Auftrag des Städel erstellter, fünfteiliger Podcast „Finding Van Gogh“ erzählt sehr umfassend und sehr hörenswert von der Geschichte des Bildes.
„Van Gogh war uns allen ein Vater“
Wilhelm Morgner, Mann mit blauer Karre in ornamentaler Landschaft, 1911. Foto: jvf, Lizenz: PD-Art.
Als Kirchner, Bleyl, Heckel und Schmidt-Rottluff – die sich gerade zur Künstlergruppe „KG Brücke“ zusammengeschlossen haben – im Herbst 1905 Werke van Goghs sehen (die Dresdener Galerie Arnold hatte eine von Cassirer zusammengestellte Schau übernommen), geraten sie „außer Rand und Band“, so zitiert die Frankfurter Ausstellung ihren Lehrer an der TH Dresden.
Der pastose Auftrag und der Umgang mit der Farbe, die Klarheit der Komposition und die Unmittelbarkeit des Ausdrucks, Anklänge an den Cloisonismus, sie werden prägend für die Entwicklung des deutschen Expressionismus. Max Pechstein soll später gesagt haben: „van Gogh war uns allen ein Vater“.
Nicht minder einschneidend ist die Auseinandersetzung mit van Gogh für die Kollegen des „Blauen Reiters“ (Jawlensky: „Van Goch ist mir ein Lehrer und Vorbild gewesen“), Max Beckmann, Emil Nolde oder auch Wilhelm Morgner.
Manche Maler können sich zeitweise oder dauerhaft der überwältigenden Wirkung van Goghs so wenig entziehen, dass ihre Malerei epigonal wird. Der rheinische Expressionist Heinrich Nauen ist ein Beispiel dafür. Und der jungverstorbene Theo von Brockhusen musste sich zu Lebzeiten – nicht ganz zu Unrecht – als „van Goghhusen“ verspotten lassen.
Vincent van Gogh, Bauern bei der Feldarbeit, 1889 / Heinrich Nauen, Grabender Bauer, 1908. Foto: jvf, Lizenz: PD-Art.
Wie sehr der Mythos van Gogh als Prototyp des modernen Künstlergenies die Avantgardemaler in Deutschland fasziniert hat, belegt eindrucksvoll eine Zusammenstellung von Selbstporträts im van Gogh-Style mit Beispielen von Beckmann, Amiet, Nauen, Morgner, Böckstiegel und Meidner.
Der Katalog und Materialien
Der Katalog zur Ausstellung ist im Hirmer Verlag erschienen, umfasst 352 großformatige Seiten und kostet in der Museumausgabe preiswerte 39,90 €. Die zehn Essays sind durchweg ausgesprochen informativ und gut lesbar (bei einigen Wiederholungen), die Abbildungen sind größtenteils sehr tauglich. Ob es clever ist, den Katalogteil abschnittsweise im Essayteil zu verstreuen, lasse ich mal dahingestellt.
Eine Chronologie ist vorhanden, aber leider fehlen Einzelerläuterungen zu den Bildern. Wünschenwert wären zudem Kurzbiographien zu den ausgestellten Künstlern gewesen: Man versuche mal im Netz etwas herauszufinden über die Malerin Judith Gérard, deren Kopie eines van Gogh-Selbstporträts ohne ihr Wissen als Original vertickt wurde und das die Ausstellung in einem kleinen Kapitel zu van Gogh-Fälschungen zeigt (die Sammler Mendelssohn-Bartholdy waren darauf reingefallen).
Auf den Podcast zum Bildnis des Dr. Gachet sei nochmals hingewiesen. Einen Audioguide zur Ausstellung gibt es kostenlos in den einschlägigen Stores: Die Texte werden von Lars Eidinger gesprochen!
Making Van Gogh. Geschichte einer deutschen Liebe. K: Alexander Eiling, Felix Krämer. Frankfurt a. M., Städel Museum, 23. Oktober 2019 – 16. Februar 2020.