Kasimir Malewitsch in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle
Die Erfindung des Quadrats
Noch bis 22. Juni 2014 ist in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle eine hervorragend bestückte Retrospektive auf das Werk des russischen Avantgardisten Kasimir Malewitsch (1879-1935) zu sehen.
Mit über 300 Gemälden, Zeichnungen, Skizzen, Photographien und Objekten erschließt die Bonner Ausstellung einen Gesamtblick auf die Karriere des ersten Alleszermalmers in der Kunst des 20. Jahrhunderts. In 13 Kapiteln wird das ausgesprochen vielgestaltige Werk entlang der Biographie des 1879 in Kiew geborenen Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch präsentiert.
Den Anfang machen seine Experimente mit verschiedenen Stilen der Moderne, impressionistische, symbolistische und fauvistische Versuche, von meist allerdings eher überschaubarer Qualität. Bemerkenswert aus dem Frühwerk ist aber eine Serie neoprimitivistischer Gouachen, Genreszenen aus der russischen Provinz, die Malewitsch 1910 als Mitglied der Künstlergruppe Karo-Bube malt – mit dabei die Bodenscheuerer.
Die Barden der Zukunft
Um 1912 beginnt Malewitsch mit kubistischen und futuristischen Bildsprachen zu arbeiten (Leben im Grandhotel, 1913). Zusammen mit dem Musiker Michail Matjuschin und dem Dichter Alexei Krutschonych veröffentlicht Malewitsch das futuristische Manifest des Ersten Allrussischen Kongresses der Barden der Zukunft: Es gelte, die Schönheit der russischen Sprache ebenso zu vernichten wie das rationale Denken. Das Trio bringt im Dezember 1913 im St. Petersburger Lunapark-Theater die futuristische Oper Sieg über die Sonne zur skandalisierten Uraufführung. Matjuschin macht Viertelton- und Geräuschmusik. Krutschonych steuert ein skurriles Libretto bei – zwischen Futurismus und Dada irrlichternd, über Zeitreisende aus dem 35. Jahrhundert, die die Sonne besiegen und in ein Haus von Beton einschließen. Malewitsch zeichnet Entwürfe für das Bühnenbild und die Kostüme. Die Bonner Ausstellung präsentiert in einer hübschen Installation seine Entwurfszeichnungen, das Libretto und Klangbeispiele (die Oper ist allerdings nur in Bruchstücken erhalten).
Der Suprematismus
Das Bühnenbild von 1913 enthält bereits jene geometrischen Formen, die Malewitsch ab 1915 unter dem Label „Suprematismus“ als Elemente einer gegenstandslosen, konkreten Malerei nutzt: Vier- und Dreiecke, Kreise und Ellipsen als schwarze, rote, blaue, gelbe Farbflächen auf der weißen Leinwand verteilt. In seinem Suprematistischen Manifest schreibt er 1915:
Der Suprematismus ist der Beginn einer neuen Zivilisation. Schöpfung existiert nur dort, wo die Malerei Formen präsentiert, die nichts von dem nehmen, was in der Natur erschaffen worden ist.
Nicht in Bonn vor Ort ist allerdings die Ikone dieses „malerischen Realismus“ der reinen Form und Farbe, das Schwarze Quadrat, das Malewitsch im Juni 1915 malt und auf das Jahr 1913 zurück datiert – dem Jahr des Siegs über die Sonne.
In seinen letzten Jahren kehrt Malewitsch zur figurativen Kunst zurück, sicher auch unter dem Druck der stalinistischen Kunstdoktrin, der ungegenständliche Kunst als „Formalismus“ verdächtigt war – unter Stalin ein potentiell tödliches Verdikt.
Die Exponate, die jetzt in der Bonner Kunst- und Ausstellungshalle zu Gast sind, stammen vornehmlich aus den Beständen des Amsterdamer Stedelijk Museum, der Tretjakow-Galerie in Moskau, des Staatl. Russischen Museums in St. Petersburg und des Museums für zeitgenössische Kunst in Thessaloniki. Die Ausstellung war im Winter in Amsterdam zu sehen und zieht im Sommer 2014 weiter in die Londoner Tate Modern.
Der Katalog kostet in der Museumsausgabe 32 Euro, umfasst 232 Seiten, ist sein Geld aber nicht wert. Die Abbildung sind von eher durchschnittlicher Qualität, oft viel zu klein und vor allem unvollständig. Erläuterungen zu den Einzelwerken fehlen ebenso wie eine biographische Chronologie oder auch eine Bibliographie.
Kasimir Malewitsch und die russische Avantgarde. K: Agnieszka Lulińska. Bonn, Kunst- und Ausstellungshalle, 8. März bis 22. Juni 2014.