Kulturraum NRW


„Dadaglobe Reconstructed“ und „Dada Universal“– Ausstellungen Zürich

Dada Zürich 100/I

Noch bis 1. Mai 2016 rekonstruiert das Kunsthaus Zürich in einer kleinen, sehr konzentrierten Kabinettausstellung Tristan Tzaras Buchprojekt „Dadaglobe“ von 1921. Und das Landesmuseum Zürich versucht derweil bis 28. März 2016 den ganz großen Wurf einer assoziativen Annäherung an das Gesamtphänomen Dada: „Dada Universal“.

Plakat Cabaret Voltaire von Marcel-Słodki. Lizenz: PD-Art. Quelle: wikimedia commonsPlakat Cabaret Voltaire von Marcel-Słodki. Lizenz: PD-Art. Quelle: wikimedia commons.Vor 100 Jahren, genauer am 5. Februar 1916, eröffnen Hugo Ball und Emmy Hennings in Zürich das Cabaret Voltaire. Das kleine Etablissement an der Ecke Spiegel- und Münstergasse wird zum Geburtsort von Dada. Ein kleiner Kreis von Kriegs­flüchtlingen und Exilanten macht den Anfang mit jener Bewegung, die dem Wahnsinn des Weltkriegs mit dezidiertem Unsinn begegnet und eine radikal anti-normative Kunst propagiert: Neben Ball und Hennings: Richard Huelsenbeck, Hans Arp, Marcel Janco und eben Tristan Tzara.

Richard Huelsenbeck erklärt im Frühjahr 1916 auf der Bühne des Cabaret Voltaire:

Wir haben beschlossen, unsere mannigfaltigen Aktivitäten unter dem Namen Dada zusammen­zufassen. Wir fanden Dada, wir sind Dada, und wir haben Dada. Dada wurde in einem Lexikon gefunden, es bedeutet nichts. Dies ist das bedeutende Nichts, an dem nichts etwas bedeutet. Wir wollen die Welt mit Nichts ändern, wir wollen die Dichtung und die Malerei mit Nichts ändern und wir wollen den Krieg mit Nichts zu Ende bringen.

Zum Jubiläum erinnert Zürich mit einer ganzen Reihe von Ausstellungen und Veranstaltungen an die Zeit, in der die Schweizer Metropole das Zentrum der europäischen Avantgarde war. Das Gesamtprogramm gibts unter Dada 100 Zürich 2016.

„Wer Sorgen hat, der lese Dadaglobe“

Raoul Hausmann, P, um 1920-1921. Collage mit bedrucktem Papier und Tinte, 31,2 x 22 cm. Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett © 2016 ProLitteris, ZürichRaoul Hausmann, P, um 1920-1921. Collage mit bedrucktem Papier und Tinte, 31,2 x 22 cm. Hamburger Kunsthalle, Kupferstichkabinett © 2016 ProLitteris, Zürich.Da ist zunächst die minutiöse Rekon­struktion eines Buch­projekts von Urdada Tristan Tzara im Kunsthaus Zürich. Die amerikanische Kunsthistorikerin Adrian Sudhalter hat in mehrjähriger Recherche nicht nur die Geschichte des Dadaglobe rekonstruiert, sondern auch einen Großteil der Materialien zusammen getragen, die „Dadas aus aller Welt“ um die Jahreswende 1920/21 für die Publikation einsandten.

„Wer Sorgen hat, der lese Dadaglobe. Dadaglobe: jetzt im Druck“, annoncierte Tristan Tzara im April 1921. Ein Dada-Almanach mit 160 bis 220 Seiten, mit über 100 Abbildungen, mit Arbeiten von mehr als 50 Künstlern, so die ursprüngliche Planung. „Viele farbige Seiten“ und mit „Porträts aller Beteiligten“, Texte in Originalsprache, Französisch, Deutsch, Italienisch, Niederländisch, Spanisch und Dada. Die Auflage wurde mit einiger Großmäuligkeit auf 10.000 Exemplare veranschlagt.

Unter anderen Louis Aragon, Hans Arp, Johannes Baader, Johannes Baargeld, Constantin Brancusi, André Breton, Jean Cocteau, Jean Crotti, Marcel Duchamp und Suzanne Duchamp-Crotti, Max Ernst, George Grosz, Raoul Hausmann, John Heartfield, Hannah Höch, Richard Huelsenbeck, Francis Picabia, Man Ray, Kurt Schwitters, Sophie Taeuber und naturgemäß Tristan Tzara selbst sollten zu diesen Beteiligten gehören.

Richard Huelsenbeck allerdings hielt sich zurück. Sein sehr ähnliches, von Tristan Tzara zunächst enthusiastisch unterstütztes Projekt eines umfassenden dadaistischen Weltatlas’, Dadako (als „Grösstes Standard-Werk der Welt“ angekündigt), war kurze Zeit zuvor verendet (eine Vitrine in der Ausstellung zeigt Probe- und Andrucke des Dadako).

Unbekannter Fotograf, Portrait von Tristan Tzara, um 1920. Silbergelatineabzug, 11,4 x 18,6 cm. Collection Chancellerie des Universités de Paris, Bibliothèque littéraire Jacques Doucet, ParisUnbekannter Fotograf, Portrait von Tristan Tzara, um 1920. Silbergelatineabzug, 11,4 x 18,6 cm. Collection Chancellerie des Universités de Paris, Bibliothèque littéraire Jacques Doucet, Paris.

„Jetzt im Druck“ war von Tzara geschwindelt, genauso wenig wie Dadako schaffte es Dadaglobe bis zur Fertigstellung und Veröffentlichung. Der Kontrakt mit dem Pariser Verlag La Sirène scheiterte, die Gründe sind etwas unklar: Finanzielle Schwierig­keiten, Entfremdung unter den Dadaisten (und recht kleinliche Eifersüchteleien), behördliches Misstrauen gegenüber dem seltsamen, subversiven, internationalistischen Projekt, vielleicht eine Kombination aus alledem.

Dadaglobe Reconstructed

Max Ernst, Chinesische Nachtigall, 1920. Collage und Tusche auf Papier, 12,5 x 9 cm. Musée de Grenoble © 2016 ProLitteris, ZürichMax Ernst, Chinesische Nachtigall, 1920. Collage und Tusche auf Papier, 12,5 x 9 cm. Musée de Grenoble © 2016 ProLitteris, ZürichDie Kabinettausstellung im Kunsthaus Zürich – und später im MoMA New York (12. Juni – 18. September 2016) – zeigt jetzt rund 200 Arbeiten und Materialien, die im Zusammenhang mit Dadaglobe entstanden sind: Briefe, Dokumente, Entwürfe, Collagen, Zeichnungen, Fotografien von Objekten, Portrait­fotografien. Darunter sind Werke, die nicht nur für Dada ikonische Bedeutung haben: Etwa Max Ernst’ wunderbare Collage Die chinesische Nachtigall (dann später, 1922, in Vanity Fair erstmals veröffentlicht) oder Man Rays L’homme und La femme (zusammen leider nur in New York zu sehen).

Sicher, man könnte sich wünschen, dass neben den Foto­grafien der ein oder anderen Skulptur und Malerei, die für den Abdruck vorgesehen waren, auch deren Originale in der Ausstellung zu sehen wären – das ist leider nur in sehr wenigen Fällen so, z.B. Sophie Taeubers Tête dada oder ihrer Composition dada (beide 1920).

Und sicher kann man darüber streiten, ob die Sortierung der Ausstellung nach geopolitischen Gesichtspunkten – in drei Sektionen von Dadas aus Ländern der Entente, den neutralen Staaten und den Mittelmächten – nicht zu weit an der betont antinationalistischen Haltung des Dadaglobe vorbei geht. Die Kuratorinnen begründen diese Stukturierung mit Verweis auf die unterschiedlichen Rahmen­bedingungen und Restriktionen, unter denen die Künstler kurz nach dem Krieg in den Über­resten des alten Europas unterwegs waren. Ich weiß nicht.

An der Faszination, die diese Ausstellung vermittelt, und an der Hochachtung für die kunsthistorische Arbeit, die dahinter steckt, ändert das nichts.

Der Katalog

Der Katalog ist bei Scheidegger&Spiess in englischer und deutscher Sprache erschienen, ist 144+160 Seiten stark und kostet schweiztypisch völlig unver­anwortliche 66 CHF (etwa 58 Euro) – und er ist jeden Rappen wert: Zwei Teile, in unter­schiedlichem Format auf unterschiedlichen Papieren gedruckt; ein wissenschaftlicher Teil mit sehr instruktiven Essays und leider zu kleinen Reproduktionen von Materialien + der Versuch einer Rekonstruktion des Dadaglobe.

Man kann auch hier an der ein oder anderen editorischen Entscheidung mäkeln. Warum wird zwar eine moderne serifenlose Type für die Rekonstruktion gewählt („historische Schriftarten“ würden „altmodisch wirken“), aber auf farbige Abbildungen verzichtet („damit der Leser einen Eindruck bekommt, wie die jeweiligen Arbeiten in den Vorstellungen der Künstler […] hätten aussehen sollen“)? Egal, das Blättern in dieser Rekonstruktion ist ein uneingeschränktes Vergnügen.

Dada Universal

Ganz anders die Schau, die das Landesmuseum Zürich, gleich hinter dem Zürich HB, im Ausstellungs-Pavillon seines Innenhofs für überraschend kurze Zeit zeigt (insgesamt nur sieben Wochen, bis knapp Ende März 2016). Hans Arps Diktum, „Bevor Dada da war, war Dada da“, ergänzen die Ausstellungsmacher um ein Leben nach dem Tod Dadas und schlagen den Bogen von einem Skelett der Ende des 17. Jhd. ausgerotteten, flugunfähigen Vogelart Dodo bis hin zu Guy Debord und der Situationistischen Internationale der 1960er Jahre sowie zur „Bewegig“, zu den Züricher Jugendunruhen Anfang der 1980er Jahre.

Siebzehn Glaskuben versammeln Exponate, die in mehr oder weniger plausibler Beziehung zu Dada stehen: Krieg, Prothesengott, Mystik, Traum, Tanz, Sexualität, Junggesellen­maschine usw. sind die Zusammenstellungen betitelt, die einen assoziativen Zugang zum Phänomen Dada aufmachen sollen. Videos, an die Wände projiziert oder auf kleinen Monitoren in Schleife, Audios, Zitate an den Wänden (an einer Wand darf man selber was mit Kreide notieren), Tablets mit Informationen zu den Exponaten stehen für Multimedialität. In der Mitte des Pavillons ist ein schwarzer Kubus abgesetzt, eine Art Kaʿba, die den historischen Kern Dadas symbolisiert.

Das ist sicher keine Schau für Puristen oder Kunsthistoriker. Wo kein taugliches Original zu bekommen ist, werden Reproduktionen platziert. Trotzdem gibt es ganz Wunderbares zu sehen, Sophie Taeubers Kostüm Hopi-Indianer (um 1922) etwa, Hannah Höchs Dada-Mühle (1920) oder Man Rays Skultpur By itself II (1918).

Dadaglobe Reconstructed. K: Adrian Sudhalter, Cathérine Hug. Zürich: Kunsthaus, 5. Februar bis 1. Mai 2016 / New York: Museum of Modern Art, 12. Juni – 18. September 2016. – Dada Universal. K: Andreas Spillmann, Juri Steiner, Stefan Zweifel. Zürich: Landesmuseum, 5. Februar – 28. März 2016.