Blickachsen 13 in Bad Homburg
Skulpturbiennale in Parklandschaft
Noch bis 1. Oktober 2023 zeigt die 13. Auflage der „Blickachsen“ zeitgenössische Skulpturen und Installationskunst in Kur- und Schlosspark von Bad Homburg im Taunus.
Thomas Schütte, United Enemies, 2011. Courtesy Stiftung Blickachsen gGmbH, Bad Homburg, und Künstler.
Nicht weniger als 32 Skulpturen und Installationen von 23 Künstler:innen und einem Duo sind für die Blickachsen 13 in Bad Homburg zusammengekommen. Darunter sind Arbeiten von internationaler Kunstprominenz wie Thomas Schütte, Esther Stocker, Judith Hopf, Pedro Cabrita Reis und Bettina Pousttchi.
Vereinigte Feinde
Die spektakulärste Arbeit der Blickachsen 13 ist sicher Thomas Schüttes Bronzegruppe United Enemies (2011) auf der Wiese zwischen Schwanenteich und Thailändischem Pavillon im Kurpark.
Je zwei rund vier Meter hohe Figuren sind zu einem Paket verschnürt, die Köpfe karikaturhaft bis grotesk modelliert. Seltsamerweise stehen die unzertrennlichen Feinde auf sechs, paarweise geschnürten Stelzen – als stecke noch ein Drittes in diesen Menschenbündeln der Feindschaft (Abbildung oben).
Thomas Schütte (*1954 in Oldenburg, lebt und arbeitet in Düsseldorf) gilt als einer der bedeutendsten Bildhauer der Gegenwart.
Das Myreen
Geroen Krebber, Myreen, 2020/21. Courtesy Stiftung Blickachsen gGmbH, Bad Homburg, und Künstler.
Nicht weit von Schüttes Feinden platziert, kaum weniger spektakulär und gewiss nicht weniger irritierend ist Gereon Krebbers Plastik Myreen (2020/21). Die 16 m³ mächtige, biomorphe Masse aus Acrylharz, Holz, Folie und Klebeband ruht etwas schläfrig und träge auf der Wiese. Aber was ist, wenn sie erwacht?
Gereon Krebber (*1973 in Oberhausen, lebt und arbeitet in Köln) unterrichtet seit 2012 an der Düsseldorfer Kunstakademie.
Verfremdungen und Simulationen des Alltags
Eine Reihe von Künstler:innen der Blickachsen 13 mobilisieren Alltags-, Bau- oder Baumarktmaterialien für ihre Skulpturen.
Der portugiesische Maler und Bildhauer Pedro Cabrita Reis etwa (*1956 in Lissabon, lebt und arbeitet ebenda) hat eine Blossom (2023) in den Schlossgarten gepflanzt, aus – in RAL 9010 gefassten – Aluminiumprofilen gebaut.
Und Thomas Rentmeister (*1964 in Reken, lebt und arbeitet in Berlin und Braunschweig) nimmt für seine Square Tubes (Looping) (2019) handelsübliche Abluftrohre aus verzinktem Stahlblech und fügt sie zu einem verspielten und verbeulten Windkanal (Schlosspark).
Thomas Rentmeister, Square Tubes (Looping), 2019. Courtesy Stiftung Blickachsen gGmbH, Bad Homburg, und Künstler.
Gewissermaßen den umgekehrten Weg von Cabrita Reis und Rentmeister nehmen in Sachen Alltagsmaterialien zwei Arbeiten von Sabine Groß (*1961 in Ulm, unterrichtet Bildhauerei an der Kunstakademie Mainz): Heimatloser Monolith (2023) und MonuMAX (2020) im Kurpark sind Stelen aus, mit Acrylfarbe gefasstem Gips, die einen zwei Meter großen Versandkarton und einen Stapel aus Verkaufspappschächtelchen simulieren.
Beiträge zu einer Kunst der Verkehrswende
Das Künstlerduo Winter/Hoerbelt hat auf einer Wiese im Kurpark 398 Abdeckungen von Autorücklichtern zu einem
Die beiden Bildhauer Wolfgang Winter (*1960 in Mühlheim am Main) und Berthold Hörbelt (*1958 in Coesfeld) kooperieren seit 1992 unter dem Label Winter/Hoerbelt. Sie waren bereits 2019 bei den Blickachsen 12 vertreten. Heuer gibt es eine weitere Arbeit von ihnen am See des Schlossparks: Basket#13: Voliere (2023).
Winter/Hoerbelt, Die Perlen des Alltags, 2023. Courtesy Stiftung Blickachsen gGmbH, Bad Homburg, und Künstler.
Bettina Pousttchi (*1971 in Mainz, lebt und arbeitet in Berlin) hat unterdessen zwei Schattierungen Rot gewählt für die Fassung ihrer Vertical Highways (2021). Wie zwei etwas spärliche Strohbündel stehen da, gut zwei Meter hoch, verbogene Leitplanken aufrecht auf der Wiese im Kurpark. Unlängst, im April 2023, ist eine Monumentalversion von Pousttchis Vertical Highways auf dem Washingtonplatz vor dem Berliner Hauptbahnhof errichtet worden.
Wenn man will, kann man auch Ina Webers (*1964 in Diez an der Lahn, lebt und arbeitet in Berlin) Miniaturausgabe einer brutalistischen Aldi-Filiale als Beitrag zu einer Kunst der Verkehrswende nehmen. Aldi Süd (2023) ist die vielleicht die grimmig-witzigste Arbeit der Blickachsen 13. Der Hauptteil der
Goethe und die Panotier im Schlosspark
Die 1974 in Südtirol geborene Malerin und Bildhauerin Esther Stocker hat derweil einen überlebensgroßen Papierflieger (2023) aus weiß lackiertem Stahl im Schlosspark landen lassen, unterhalb des Weißen Schlossturms und oberhalb des „Goethes Ruh“ genannten Rondells.
Der Flieger ist beschriftet mit Goethes „Pilgers Morgenlied – An Lila“, ein sehr hübsches Gelegenheitsgedicht (1772) des noch jungen Schriftstellers, gewidmet der Bad Homburger Hofdame Luise von Ziegler („Lila“).
Gili Avissar, The Dream of Panotti, 2023. Courtesy Stiftung Blickachsen gGmbH, Bad Homburg, und Künstler.
Poetischer noch ist aber im Schlosspark die Arbeit des Textil- und Multimediakünstlers Gili Avissar (*1980 in Haifa, lebt in Tel Aviv und Düsseldorf). Für The Dream of Panotti (2023) hat Avissar aus Seilen, Garn und Textilien ein buntes Netzwerk zwischen den Bäumen der Allee im Schlossgarten gespannt.
Das mag an Spinnweben oder neuronale Netze erinnern. Ob das „Panotti“ des Titels sich auf das mythische Volk der Panotier bezieht, weiß ich nicht. Die Ohren der Panotier sind jedenfalls so groß, dass sie sich des Nachts mit ihnen zudecken können – das könnte bunte Träume machen.
Die Blickachsen
Die Skulpturbiennale Blickachsen zeigt seit 1997 zeitgenössische Kunst im öffentlichen Raum Bad Homburgs und im Umland – zunächst in Verantwortung der ortsansässigen Galerie Scheffel, seit 2013 dann unter Leitung der Stiftung Blickachsen gGmbH.
Die Ausstellung wird seit 1999 jeweils in Kooperation mit einer anderen Kunstinstitution organisiert. Diesmal ist als Partner die Stiftung Insel Hombroich aus Neuss an Bord.
Vielleicht deshalb sind rheinisch-westfälische Künstler:innen in Bad Homburg heuer besonders gut vertreten. Dazu gehört auch der Rückgriff auf Plastiken zweier Lichtgestalten der Bildhauerei im NRW des 20. Jahrhunderts. Erwin Heerichs Ohne Titel (1990) und Norbert Krickes Große Kurve 2 (1980) sind vor Ort.
Norbert Kricke, Große Kurve 2, 1980. Courtesy Stiftung Blickachsen gGmbH, Bad Homburg, und Künstler.
Praktische Hinweise
Ein Katalog ist für Herbst 2023 angekündigt. Bis dahin gibt es im Netz (Blickachsen 13) und vor Ort völlig ausreichende Informationen. Die Auszeichnungen an den Kunstwerken sind mit QR-Codes versehen. Die führen zu kurzen, aber hilfreichen Werkkommentaren auf der Website (leider etwas unglücklich absatzlos formatiert – vielleicht gelingt das für die Blickachsen 14 besser oder sogar mit Audiospur).
Insbesondere bei schönem Wetter lohnt auch die Anreise aus NRW sehr. Bad Homburg ist in rund 20 S-Bahnminuten vom Frankfurter Hauptbahnhof aus gut zu erreichen. Es schadet nicht, einen langen Vor- oder Nachmittag für den Besuch einzuplanen.
Blickachsen 13. K: Christian K. Scheffel, Roland Nachtigäller. Bad Homburg, Kurpark und Schlosspark, 14. Mai – 1. Oktober 2023.