Beatlemánie in Prag
„Ihr habt Lenin, lasst uns Lennon“
Das Tschechische Museum der Musik in Prag erzählt noch bis Anfang Januar 2011 von den Beatles, der Beatlemania in der ČSSR und dem Lennonismus.
Unweit der Karlsbrücke, auf der Kleinseite der Prager Altstadt, steht die Lennonova zeď, die John-Lennon-Mauer. Das ist die rückwärtige Mauer der Botschaft des Malteserordens und grenzt deren Garten gegen den Platz des Großpriorats (Velkopřevorské náměstí) ab. Der Platz liegt, obwohl zentral, etwas abseits des Großstadtbetriebs, eine fast idyllische Ecke, geduldig werfen Platanen Schatten aufs Kopfsteinpflaster. Und man kann sich vorstellen, dass sich hier früher die Liebenden zum Tuscheln verabredet haben. Heute werden von Zeit zu Zeit Touristengruppen vorbei geführt, einige Autos parken, eine Telefonzelle von O₂ steht dumm rum und ist hässlich; gegenüber macht sich die Botschaft der französischen Republik so ihre Gedanken.
In den siebziger Jahren wurden an diese Mauer Verse gekritzelt, Privates, aber auch Unbotmäßiges gegen das poststalinistische Regime. Als Prager „Klagemauer“ war sie bekannt. Dann, kurz nachdem John Lennon im Dezember 1980 ermordet wurde, fanden sich hier Menschen zusammen, stellten Kerzen auf, ein Kreuz wurde auf die Mauer gepinselt, jemand zeichnet ein Portrait Lennons, Fragmente von Songtexten, Give Peace a Chance, All You Need is Love. „You have Lenin, let us have Lennon“ soll einer der staatsfeindlichen Inschriften gewesen sein.
Das Lennon Projekt
Die Staatssicherheit nahm das als konterrevolutionären Umtrieb der „Langhaarigen“ (den Pendants der westlichen Gammler, anderthalb Jahrzehnte früher), die Mauer wurde im Dienste der Weltrevolution überstrichen, um dann von den Langhaarigen wieder bekritzelt zu werden. Die Staatsmacht soll zunächst marxistische Parolen wie „Lennon war schwul“ dagegen gesetzt, dann mittels Plakatierung weitere Inschriften verhindert haben. Aber das hat die Umtriebe nicht beendet: Jedes Jahr am 8. Dezember, dem Todestag Lennons, rotteten sich hier Leute zusammen zwecks konterrevolutionären Gedenkens an den bourgeoisen Friedens- und Liebesapostel. Grund genug, operative Maßnahmen zu ergreifen oder wie die Akten der Staatssicherheit zu berichten wissen:
Im Rahmen des Lennon Projekts […] wurden seit 5. Sept. 1986 Maßnahmen ergriffen gegen den Untergrund, Hippies, einem bürgerlichen Pazifismus anhängenden Langhaarigen, die sich seit 1981 regelmäßig an der „Klagemauer“ in Prag I versammelten, unter dem Vorwand einer Gedächtnisfeier für J. Lennon. Dies sind ungenehmigte Zusammenkünfte unter Mitwirkung der Botschaften der U.S.A., der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs. Am 8. Dez. nahmen rund 350 Personen teil an dieser Versammlung. […] Die Versammlungsteilnehmer trafen gegen 5 Uhr nachmittags auf dem Platz […] ein, einzeln und in in Kleingruppen, und gegen 6 Uhr waren 300 bis 350 Personen vor Ort. Am Treffpunkt verhielten sie sich im Wesentlichen friedlich. Einige Individuen zündeten Kerzen an. Zwei der jungen Leute spielten zeitweise Gitarre, […] Teilnehmer sangen Lieder von Lennon. […] Die meisten Teilnehmer waren Personen des „Lennon-Typs“, d.h. mit zu langen Haaren, Bärten und in lumpigen Kleidern.
Harrisons Gartenzwerge, Lennons Lederjacke
Die Geschichte der Lennon-Mauer ist eine der Stories, die das Prager Musikmuseum in seiner Ausstellung „Beatlemánie!“ erzählt. Zum 50. Jahrestag der Namensfindung der Beatles oder zum 40. Jahrestag ihrer offiziellen Trennung oder zum 30. Jahrestag der Ermordung Lennons oder einfach nur so, jedenfalls erschließt die musikalische Zweigstelle des Tschechischen Nationalmuseums, zweidrei Blocks entfernt von besagter Mauer, die Historie der Beatles und deren Rezeptionsgeschichte in der ČSSR.
Nun sind Ausstellungen in Sachen Populärkultur ein schwieriges Unterfangen, in Sachen populärer Musik doubly so. Die Exponate, die die Geschichte der Beatles erzählen sollen, sind Ausweis dieser Schwierigkeit: die ersten Wachsfiguren der fabelhaften Vier von Madame Tussauds (1964), die Lederjacke, die Lennon auf dem Cover von Rubber Soul getragen hat, ein Banjo aus dem Besitz von George Harrison und Gartenzwerge, aus tschechischer Produktion, die sich auf dem Cover von Harrisons All Things Must Pass rumrekeln. Sowas halt. Wobei ich der Aura dieser Dinge gegenüber sehr empfänglich bin – vor allem natürlich: oh mein Gott, das ist Lennons Lederjacke vom Cover von Rubber Soul).
Karel Gott, Adresát neznámý
Interessant ist aber vor allem die tschechische Rezeption der Beatles. Und das war keine einfache Geschichte. Das Staatsradio war nicht gerade geneigt, diesen kapitalistisch-dekadenten Schweinkrams zu spielen, allenfalls in tschechischen Coverversionen. Die erste Aufnahme dieser Art war Adresát neznámý (From Me To You) von den Olympics, mit Karel Gott als lead singer (1964 – gibt’s auch bei YouTube). Die erste offiziell in der ČSSR vertriebene Platte mit Originalaufnahmen der Beatles erschien 1969 (The Beatles Collection: Oldies but Goldies). Man behalf sich derweil mit Tonbandmitschnitten von Auslandssendern, früher in Ungarn und Jugoslawien erschienenen Platten oder mit Vinyls, die jemand aus dem Westen mitbrachte.
Dass die Beatles gleichwohl auch in der Tschechoslowakei schon in den 60ern ihre Fans hatten, belegen – und das sind die anrührendsten Exponate dieser Ausstellung – handgeschriebene Songbooks, Kladden mit Zeitungsausrissen, Fanzeichnungen. Mir hat natürlich vor allem das Beatlesbier gefallen, aber das ist erst nach der samtenen Revolution gebraut worden. Und dass die fab four ihre Wirkung auf den Prager Frühling gehabt haben, macht die Ausstellung, wo nicht ganz plausibel, so doch erahnbar.
Jeder Zeit ihr Kreuz
Die Ausstellungsmacher beklagen im Übrigen, dass die Lennon-Mauer heute zur Touristenattraktion und Graffitiwand ohne Lennonbezug und Atmosphäre verkommen ist. Gemach, jede Zeit hat ihr Kreuz zu tragen.
(DiBoland hat weitere Bilder aus der Ausstellung).
Beatlemánie! Prag, Tschechisches Museum der Musik. 4. Juni 2010 – 10. Januar 2011 [Einige Leihgaben aus dem Hard Rock International in Florida (Lennons Jacke u.a.) sind nur bis Mitte September in Prag zu sehen].