Neue und neuere Opern an den Bühnen in NRW 2015/2016
Die Merkliste Musiktheater
Jenseits des gängigen Opernrepertoires: Was wird an den Häusern in NRW in der Saison 2015/2016 an zeitgenössischen Opern eingespielt und wo macht man sich um das Musiktheater des 20. Jahrhunderts verdient? Eine Suche in den Spielzeitheften der neuen Saison.
Landestheater Detmold. Foto: Andreas Praefcke. Lizenz: CC BY 4.0. Quelle: Wikimedia Commons
Mozart, Rossini, Donizetti, Verdi, Wagner, Puccini, Strauss – man kann den Opernbühnen in NRW sicher nicht vorwerfen, sie würden sich unzureichend um die Traditionspflege und die Klassiker-Grundversorgung kümmern. Und sicher: man kann (besser: man könnte) den Klassikern einige Gegenwärtigkeit abgewinnen. Aber reicht das?
In Sachen Förderung des zeitgenössischen Musiktheaters – oder auch nur in Sachen Pflege des Musiktheaters des 20. Jahrhunderts – gibt es deutlich Luft nach oben. Und gehört nicht genau das auch zu den Aufgaben öffentlich finanzierter Bühnen? Immerhin, neun Neuproduktionen schaffen es auf die Merkliste Musiktheater 2015/16.
Ur- und Erstaufführungen in Aachen, Bielefeld und Detmold
Am Landestheater Detmold steht im Frühjahr 2016 die Uraufführung von Alexander Munos Oper Sogno d’un mattino di primavera auf dem Plan. Das Auftragswerk der Detmolder Bühne nach Gabriele D’Annunzios dramatischem Gedicht Traum eines Frühlingsmorgens ist Munos (*1979 in Saarburg bei Trier) drittes Bühnenwerk – Landestheater Detmold, UA: 8. April 2016.
Das Stadttheater Bielefeld hat sich unterdessen die europäische Erstaufführung von David T. Littles Dog Days vorgenommen. Der amerikanische Komponist Little (*1978) verbindet klassische Formen mit Elementen populärer Musik in einer stark rhythmisierten Musiksprache. Das Libretto stammt von Royce Vavrek und basiert auf einer gleichnamigen Kurzgeschichte von Judy Budnitz: Ein post-apokalyptisches Amerika, eine Familie im Existenzkampf, die Tochter freundet sich mit einem Bettler im Hundekostüm an. Uraufgeführt 2012 an der Montclair State in New Jersey, hat die Oper in den USA enthusiastische Kritiken eingefahren. Steve Smith urteilte in New York Times, es sei „nur eine Frage der Zeit, dass dieses fesselnde Stück als bahnbrechender amerikanischer Klassiker bestätigt“ werde – Stadttheater Bielefeld, EE: 27. Februar 2016.
Bereits Anfang Dezember 2015 steht die deutsche Erstaufführung von Philippe Boesmans‚ jüngster Oper Au Monde auf der Agenda des Theaters Aachen. Die sechste Oper des belgischen Komponisten, ein düsteres Familiendrama aus der belgischen Oberschicht (Libretto: Joël Pommerat nach seinem gleichnamigen Stück), ist Ende März 2014 im Brüsseler Théâtre Royal de la Monnaie uraufgeführt worden: „ein großartiges Werk“ (BRF), von „eigenständige[r], authentische[r] Klangsprache, reich an lyrischen Momenten, aber auch voller Ausdruckskraft, Schönheit, Klangfülle und pulsierender Spannung“ (Die deutsche Bühne) – Theater Aachen, DE: 6. Dezember 2015.
Opern des 20. Jahrhundert in Duisburg, Essen und Köln
Die Deutsche Oper am Rhein plant für das Frühjahr 2016 mit einem Doppelabend aus zwei Einaktern. Am Theater Duisburg gibt es das einzige Musiktheaterwerk des amerikanischen Avantgardisten Elliott Carter, What Next? (1997), in Kombination mit Leonard Bernsteins musicalaffinen Opernerstling Trouble in Tahiti (1952) – Theater Duisburg, P: 4. Juni 2016.
Wolfgang Rihms Die Eroberung von Mexiko steht in der Kölner Ausweichspielstätte Staatenhaus schon einen Monat früher auf der Agenda. Die Einspielung der Oper nach Texten von Antonin Artaud und Octavio Paz, Uraufführung 1992, ist eine Koproduktion mit den Salzburger Festspielen (dort schon im Juli/August 2015 zu sehen)– Oper Köln, P: 5. Mai 2016.
Am Aalto Musiktheater in Essen steht die letzte Oper des tschechischen Komponisten Bohuslav Martinů auf dem Programm, uraufgeführt postum 1961. The Greek Passion basiert auf der Story eines Romans von Nikos Kazantzakis, in einem griechischen Dorf werden Laiendarsteller eines Passionsspiels mit Flüchtlingsschicksalen konfrontiert, ihre Rollen greifen über aufs Leben – Essen, Aalto-Musiktheater, P: 26. September 2015.
Im Schatten der Nazis: Opern in Bonn, Hagen und Köln
Die Oper Köln bringt Walter Braunfels’ Stück „nach den Prozessakten“ Jeanne d’Arc – Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna. Braunfels, seit 1925 Direktor der neu gegründeten Kölner Musikhochschule und einer der erfolgreichsten Opernkomponisten der Weimarer Republik, wurde 1933 von den Nazis aus dem Amt und von den Bühnen vertrieben. Im Exil am Bodensee schreibt er während des Krieges unter anderem seine Heilige Johanna, fertig gestellt 1943, danach mehr als ein halbes Jahrhundert unbeachtet geblieben bis zu den Uraufführungen 2001 (konzertant in Stockholm) und 2008 (szenisch in Berlin) – Oper Köln, P: 14. Februar 2016.
Ernst Krenek, Jonny spielt auf, Umschlagseite der Erstausgabe des Klavierauszuges. Lizenz: PD-Art. Quelle: Wikipedia. Als „entartete Musik“ wurde nach 1933 auch einer der größte Publikumsrenner der Zwischenkriegszeit verboten und verfolgt: Ernst Kreneks Jonny spielt auf. Das Theater Hagen plant Anfang 2016 eine Neueinspielung des 1927 uraufgeführten Stücks, das musikalische Vielgestaltigkeit (unter Einschluss von jazzartigen und neoromantischen Elementen) mit einem etwas kruden Libretto aus Kreneks eigener Feder verbindet (in Wuppertal gab es bereits 2002, in Köln 2005 Produktionen der Oper) – Theater Hagen, P: 16. Januar 2016.
Das Theater Bonn schließlich holt gegen Ende der Saison Emil Nikolaus von Rezniceks Holofernes hervor. Reznicek, der sich mit der Nazi-Diktatur recht lukrativ zu arrangieren wusste, hat seine Oper, uraufgeführt 1923 in Berlin, frei nach Hebbels Drama Judith selbst vertextet. Sie wurde nach 1945 nicht mehr aufgeführt – Theater Bonn, P: 29. Mai 2016.
Merkliste Musiktheater NRW
- Bohuslav Martinů, The Greek Passion. Essen, Aalto-Musiktheater. P: 26. September 2015. Weitere Aufführungen: 1.10., 4.10., 10.10., 25.10., 28.10., 12.11., 14.11., 27.3., 6.4., 27.5.
- Philippe Boesmans, Au Monde. Aachen, Theater. DE: 6. Dezember 2015. Weitere Aufführungen: 11.12., 16.12., 3.1., 17.1., 31.1., 13.2., 18.2., 26.2.
- Ernst Krenek, Jonny spielt auf. Hagen, Theater. P: 16. Januar 2016. Weitere Aufführungen: 30.1., 4.2., 14.2., 19.2., 24.2., 9.3., 2.4., 29.5.
- Walter Braunfels, Jeanne d’Arc. Köln, Staatenhaus: P, 14. Februar 2016. Weitere Aufführungen: 17.2., 19.2., 21.2., 24.2., 26.2., 28.2., 6.3.
- David T. Little, Dog Days. Bielefeld, Stadttheater: EE, 27. Februar 2016. Weitere Auführungen: 1.3., 12.3.
- Alexander Muno, Sogno d’un mattino di primavera. Landestheater Detmold: UA, 8. April 2016. Weitere Auführungen: 13.4., 17.4., 13.5., 23.6.
- Wolfgang Rihm, Die Eroberung von Mexiko. Köln, Staatenhaus: P, 5. Mai 2016. Weitere Auführungen: 7.5., 13.5., 20.5., 26.5., 29.5.
- Emil Nikolaus von Reznicek, Holofernes. Theater Bonn: P, 29. Mai 2016. Weitere Aufführungen: 2.6., 18.6., 24.6., 3.7.
- Elliott Carter, What Next? / Leonard Bernstein, Trouble in Tahiti. Theater Duisburg: P, 4. Juni 2016. Weitere Aufführungen: 12.6., 24.6., 2.7.
Die Angaben zu Stücken, Terminen und Spielorten sind der langfristigen Planung der Häuser entnommen. Bevor Sie einen Theater- oder Opernbesuch planen, vergewissern Sie sich bitte, dass es keine Änderungen am Spielplan gibt.