Stücke 2016: Die 41. Mülheimer Theatertage und der Dramatikerpreis
Preise für Wolfram Höll und Sibylle Berg
Wolfram Höll gewinnt den Dramatikerpreis der „41. Mülheimer Theatertage NRW“ mit seinem Stück „Drei sind wir“. Der Publikumspreis des Festivals der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik sammelt unterdessen Sibylle Berg ein für „Und dann kam Mirna“.
Stadthalle Mülheim. Foto: Tuxyso. Lizenz: CC-BY-SA-3.0. Quelle: Wikimedia Commons. Ausschnitt.
Wolfram Höll gewinnt nach 2014 jetzt zum zweiten Mal den Mülheimer Dramatikerpreis. Sein Stück Drei sind wir sei, so die Jury, sprachlich stark, gleichermaßen berührend wie provokant, ebenso relevant wie zeitlos in der Thematik und eröffne unglaubliche Spielräume, die eine Herausforderung für das Theater seien. Das als Auftragswerk des Schauspiel Leipzig entstandene Drama verhandelt in 30 Szenen und in der für Höll charakteristischen, lyrisch verdichteten Sprachgebung das Schicksal eines jungen Paares und seines Kinds, das mit einer Trisomie 21 geboren wird.
Der Publikumspreis geht an Sibylle Bergs pointenreiche Mutter-Tochter-Komödie Und dann kam Mirna. Das Stück zählte auch in der Jurydiskussion zu den Favoriten: Sibylle Berg lausche in die Groteske des Alltags und verhandle Probleme der Gesellschaft auf sehr intelligente, witzige, tiefschürfende Weise.
Die Nominierten zur Deutschen Dramatikermeisterschaft Session 2015/16
Nominiert für die deutsche Dramatikermeisterschaft waren heuer sieben Stücke, die zwischen April 2015 und Februar 2016 uraufgeführt worden sind, mehrheitlich in Berlin (gleich drei mal), außerdem in Frankfurt, Leipzig, München – und in Bonn. Sie waren im Mittel 105 Minuten lang, wobei Fritz Katers fast vierstündiges Zeitgeschichtspanorama „Buch“ den Schnitt versaute, sonst wären es handliche 85 Minuten gewesen.
Die Autoren und Autorinnen sind im Durchschnitt 1974 geboren und knapp überwiegend männlich (4:3). Zwei haben bereits einmal den Dramatikerpreis eingesammelt, Fritz Kater (2003) und Wolfram Höll (2014), zwei den Publikumspreis, Felicia Zeller (2008) und Yael Ronen (2015). Bis auf Thomas Melle waren alle Nominierten schon mindestens einmal in Mülheim dabei, auch die bislang unprämierten Sibylle Berg und Ferdinand Schmalz. Frau Berg war sogar zum fünften Mal dabei, es wäre beinahe unhöflich gewesen, wenn sie auch dieses Mal leer ausgegangen wäre. Titelverteidiger Ewald Palmetshofer konnte sich heuer nicht für die Endrunde qualifizieren.
Die fünfköpfige Preisjury hatte mit den beiden Dramaturgen Benjamin von Blomberg und Regina Guhl, der Regisseurin Anne Lenk und den Kritikern Hubert Spiegel und Franz Wille (Sprecher der Auswahljury) leider keine Schauspielerin im Team. Die abschließende, öffentliche Jurydiskussion stand für den späten Abend des 26. Mai auf der Agenda. Neben dem, mit 15.000 Euro dotierten Dramatikerpreis gab es wie jedes Jahr auch einen Publikumspreis, Stimmzettel waren nach jeder Aufführung in die Wahlbox einzuwerfen.
Kulturraum.NRW muss sich nicht auf zwei Preise beschränken, sondern vergibt gleich sieben, die allesamt allerdings gänzlich undotiert sind:
Die Stücke 2016
- Das ungesehenste Stück: Yael Ronen & Ensemble, The Situation (Maxim Gorki Theater, Berlin)
Eine Deutschstunde lang erzählen die Teilnehmer des Integrationskurses von ihren Erfahrungen, ihren Flucht- und Migrationsgeschichten – auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Hebräisch. Das vielsprachige Stück, von Yael Ronen gemeinsam mit den Schauspielern entwickelt, die es ihrerseits aus Syrien, Israel, Palästina und Kasachstan ins zeitweilige Willkommenschland verschlagen hat, gilt als ein Favorit für den Dramatikerpreis und ist als einziges Stück sowohl nach Mülheim als auch zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Nur ich habe es nicht sehen können wg. kurzfristigem beruflichen Einsatz (Augen auf bei der Berufswahl! Luxusprobleme, ich weiß).
Yael Ronen, *1976 in Jerusalem, Hausregisseurin am Maxim Gorki in Berlin, schreibt seit 2002 fürs Theater. Ihr Stück Common Ground räumte letztes Jahr den Publikumspreis der Mülheimer Theatertage ab.
- Das längste Stück (und die Vielgestaltigste Inszenierung): Fritz Kater, Buch – 5 ingredientes de la vida (Münchner Kammerspiele / Kooperation mit Schauspiel Stuttgart)
Fritz Kater, Buch / Thomas Schmauser, Anja Schneider. Foto/Rechte: JU_Ostkreuz/Schauspiel Stuttgart.Utopie, Phantasie, Liebe und Tod, Instinkt, Sorge. Das sind so in etwa fünf Inhaltsstoffe des Lebens, glaubt man Fritz Kater. Fünf Teile und 34 Szenen, deren Berichtszeitraum sich auf die Zeit zwischen 1966 und 2013 erstrecken, machen das ganz große Familien- und Zeitgeschichtspanorama auf in kleinen Episoden und in knapp 4 Stunden. Das stärkste Stück ist der 4. Teil, eine Art Zwischenspiel: Eine Elefantenkuh tanzt und erzählt von Geburt und Tod und Verfolgung. Sehr kurzweilig bis zur Pause, nostalgisch, witzig, bitter, danach etwas mühsam (5. Teil Sorge).
Armin Petras, *1964 in Meschede, Schauspielintendant des Staatstheaters Stuttgart, schreibt seit Mitte der 1990er Jahre fürs Theater, meist unter dem Pseudonym Fritz Kater. Er ist jetzt zum siebten Mal in Mülheim dabei, Dramatikerpreis 2003.
- Das pointenreichste Stück: Sibylle Berg, Und dann kam Mirna (Maxim Gorki Theater, Berlin)
- Das lyrischte Stück (und die unangemessenste Inszenierung): Wolfram Höll, Drei sind wir (Schauspiel Leipzig)
- Das kurzweiligste Stück (und das beste Bühnenbild): Felicia Zeller, Zweite allgemeine Verunsicherung (Schauspiel Frankfurt)
- Das skurrilste Stück (und die coolste Inszenierung): Ferdinand Schmalz, dosenfleisch (Deutsches Theater Berlin / Produktion des Burgtheater Wien)
- Thomas Melle, Bilder von uns (Theater Bonn)