Joshua Sobols Sünder/Sinners am Theater Bonn
Steine, Liebe, Hoffnung
David Mouchtar-Samorai richtet in der Werkstatt des Theater Bonn die Deutsche Erstaufführung des Zweipersonenstücks Sünder/Sinners ein. Das Kammerspiel des israelischen Schriftstellers Joshua Sobol thematisiert Sexualrepression und Steinigungen in islamistisch geprägten Gesellschaften.
Zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Strafvollzugs kann der weibliche Straftäter fixiert werden, indem er bis zur Brust in eine Grube eingelassen wird. Besondere Sorgfalt ist bei der Auswahl des Vollstreckungsmaterials anzuwenden: Zu kleine Steine einerseits würden das Gebot der Verhältnismäßigkeit von Strafvollzug zu Strafzweck verletzen (unangemessene Grausamkeit), zu große Steine andererseits die Erreichung des Strafzwecks gefährden (Verfehlung der Peinigungsabsicht durch vorzeitigen Tod des oder der Straffälligen). Als rechtes Maß kann daher die Verwendung mittelgroßer Steine gelten. Als Richtgröße kann dabei angenommen werden, dass Steine, die in der hohlen Hand gehalten werden können, dem Strafzweck am besten entsprechen.
So könnte man die Ausgangssituation fassen von Sobols Stück Sünder/Sinners — Die Englischlehrerin.
„Ein schöner Tag ist heute, oder?“
Oder anders: Ein junger Mann, Mitte zwanzig, ein hübscher Bengel, im Anzug, das Hemd gelöst, barfuß, schiebt eine Schubkarre Steine auf die Bühne, langsam und lautlos, bedächtig oder verstört, häuft er sie auf den sandfarbenen Bühnenboden. „Ein schöner Tag ist heute, oder?“ sagt die Frau, die da eingegraben ist. Laila heißt sie, ist Mitte vierzig, lernen wir später, und der junge Mann, der die Steine für ihre Hinrichtung herbei schafft, war ihr Student, ist ihr Geliebter, mit dem sie sich des mit Todesstrafe bewehrten Verbrechens des Ehebruchs schuldig gemacht hat. Hinter ihr eine sorgsam weiß getünchte Mauer, die manche Hinrichtung gesehen haben wird, eine Überwachungskamera, auf die der Mann immer wieder nervös blickt. Der Bühnenhintergrund ist schwarz gehalten, eine blaue Linie teilt die Stellwände auf halber Höhe, vielleicht der Horizont oder eine Grenze, wer weiß. Es ist die letzte Stunde vor der Hinrichtung.
Gegenläufig zur Statik der Machtverhältnisse und der fixierten Figurenkonstellation ist das Gespräch der beiden Liebenden von allergrößter Dynamik. Ein Schlappschwanz er, die Liebe ihres Lebens, der Verräter, der Geliebte. Eine Hexe sie, die Erlöserin, die Verführerin, die Geliebte. Vorwürfe, Schuldzuweisungen, Liebeserklärungen. Diskursiv ist sie in Vorlage, geschult an der Literatur der Sprache, die sie unterrichtet hat, er in der Defensive, todesmüde und lebensgierig beide.
Birte Schrein und Arne Lenk machen das mit ganz ungeheurer Intensität. Besonders Birte Schreins Spiel, bis auf den Kopf bewegungslos, vom Dschilbab zudem auf die Gesichtszüge eingeschränkt, ist sehr beeindruckend und sehr berührend.
Joshua Sobol, geboren 1939 in Tel Aviv, gilt als einer der führenden und streitbarsten israelischen Dramatiker. Sein Stück Ghetto war Mitte der achtziger Jahre ein Welterfolg (u.a. von Peter Zadek an der Volksbühne Berlin inszeniert).
Wenn ich recht informiert bin, wurden vor allem Frauen zum Tod durch Steinigung in den letzten Jahren verurteilt in Afghanistan, Nigeria, Iran, Irak, Jemen, Nigeria, Pakistan, Saudi-Arabien, Somalia, Sudan und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Zur Zahl der vollzogenen Steinigungen gibt es keine verlässlichen Angaben.
Joshua Sobol: Sünder/Sinners (Die Englischlehrerin). R: David Mouchtar-Samorai. D: Birte Schrein, Arne Lenk. Theater Bonn, Werkstatt. DE: 26. September 2012. 1¼h o.P.