Emil von Rezniceks Oper „Benzin“ am Theater Bielefeld
Zeitoper mit Zeppelin, Kirke und Foxtrott
Das Stadttheater Bielefeld bringt Emil Rezniceks Zeitoper „Benzin“ (1929) erstmals auf eine Bühne in NRW und holt mit Lust an der Farce aus dem eher schwachen Stück heraus, was rauszuholen ist.

Reznicek, Benzin, Stadttheater Bielefeld. Laszczkowski . Foto: © Bettina Stöß.
Am Anfang stolziert Luftschiffkommandant Ulysses Eisenhardt mit einem Globus in der Hand über die Bühne und markiert sein standing mit einer Fahne, auf der steht: „Ich“. Am Ende ist er auf allen Vieren grunzend mit einer Schweinskopfmaske unterwegs. Dazwischen steht Emil Rezniceks (1860-1945) komische Oper über den Geschlechterkampf, das „heiter-phantastische Spiel mit Musik“ – Benzin.
Reznicek hat das Ding nach eigenem Libretto 1928/29 geschrieben. Und obwohl er damals zu den renommierteren Opernkomponisten an deutschsprachigen Häusern gehörte (Donna Diana, 1894 – Ritter Blaubart, 1920 – Spiel oder Ernst, 1930), ging Benzin seinerzeit nicht über die Bühne. Hamburg und Leipzig lehnten ab, und Reznicek schreibt in seinen Memoiren, er habe es dann „schamhaft“ in seinem „Notenschrank verstaut“.
Für die Ablehnung mag es verschiedene Gründe gegeben haben. Die story war heikel, weil man sie skandalträchtig auf Passagiere der „Weltfahrt“ des LZ 127 Graf Zeppelin im August 1929 hätte verrechnen können. Vielleicht spielte aber auch eine Rolle, dass das Stück eher schwach ist.
80 Jahre später, 2010, hat die Oper Chemnitz Benzin aus dem Notenschrank gekramt und zur Uraufführung gebracht. Die Reaktion der Kritik war recht zurückhaltend (DLF: „überflüssiges Musiktheater“). Jetzt hat sich das Theater Bielefeld die erste Inszenierung in NRW vorgenommen.

Reznicek, Benzin, Stadttheater Bielefeld. Otten, Monteiro, Laszczkowski, Kreuter, Kimura. Foto: © Bettina Stöß.
„Denn der stärkste aller Triebe“
Reznicek nahm sich Calderón de la Barcas Fassung des Kirke-Mythos, Über allen Zauber Liebe, und strickte sie nach der spätweimarer Mode der „Zeitoper“ um, mit Anleihen an der technischen Moderne (hier: dem Zeppelin) und musikalischer Popularmoderne (hier: dem Foxtrott und angeblich auch dem Tango, der aber nicht so richtig klappt, vielleicht ist das Misslingen in diesem Fall aber auch komische Absicht).
Das LZ 69 muss seinen Weltrekordversuch einer Weltumrundung in 48 Stunden von Lakehurst nach Lakehurst wegen „Benzintank-Havarie“ unterbrechen und auf der „Unbenannten Insel“ notlanden. Die liegt auf 35°N und 66°W, knapp nördlich der Bermudas also, und hat zum Glück einen modernen Flughafen, taugliche Benzinreserven, gehört aber der Milliardenerbin Gladys Thunderbolt. Die hat sich dort einen Palast installiert und pflegt Besucher mittels Hypnose in Tiere zu verwandeln.
Genauso verfährt sie auch mit der Besatzung des LZ 69, nur Kommandant Eisenhardt weiß sich der Suggestion zu entziehen. Nach diversen komischen Verwicklungen, Drohungen, Treibstoffverweigerungen, Intrigen, Bluffs und Parallelliebschaften ist die widerspenstige Kirke endlich gezähmt, Heldinnen und Helden brechen im happy end gemeinsam zum Weiterflug auf. Die geschlechterpolitisch untadeligen Bielefelder lassen am Ende Gladys allerdings triumphieren und machen Eisenhardt als Schwein augenfällig.
„Ein ganz netter Operettenstoff“, befand Reznicek in etwas koketter Bescheidenheit. Seine Musik hat aber für die Operette zu wenig funktionierende Nummern, vielleicht mit Ausnahme eines hübschen Quartetts, mit (wirklich) lustiger Rivalität eines Berliners und eines Müncheners um die Gunst zweier Inselschönen, das aber leider auch Ausweis der Läppischkeit des Librettos ist:
Denn der stärkste aller Triebe
ist und bleibt die alte Liebe,
und trotz neuer Sachlichkeit
bleibt sie Trumpf in Ewigkeit.

Reznicek, Benzin, Stadttheater Bielefeld. Etezadzadeh, Otten, Mortelmans. Foto: © Bettina Stöß.
„Alles super“
Die Inszenierung von Cordula Däuper nimmt das Stück angemessen plakativ, knallbunt und schrill. „Alles super“ verheißt die Leuchtschrift auf einer Tankstelle (Bühne: Ralph Zeger), um die herum die Mädchen entweder in gelb-rot-blau-lila Petticoats oder in grauen Uniformen von Reinigungsfachkräften in Sachen Männer unterwegs sind. Die Jungs haben Braunmänner an (Kostüme: Sophie du Vinage).
Dazwischen wird kräftig mit Phalli gewedelt, eine Spielzeugfassung des Berliner Alex, eine aufblasbare Riesenweißwurst (in besagtem preußisch-bayrischem battle) und natürlich der Zeppelin selbst, der aber auf Modellbauformat geschrumpft ist. Als Daddy Thunderbolt per „Raketen-Blitz-Express-Flugzeug“ aus New York auf die Insel eilt, um aufzupassen, dass die Tochter nicht schon wieder Unsinn macht, tritt er als Trump-Karikatur auf.
Mit ähnlicher Lust an der Überzeichnung ist die musikalische Sektion in Bielefeld unterwegs (ML: Gregor Rot) und holt aus der heute etwas sehr brav anmutenden Partitur – zwischen spätromantischem Pasticcio und wenigen Tanzmusikeinlagen – das heraus, was herauszuholen ist.
Das Bielefelder Premienpublikum im gut gefüllten Haus applaudiert freundlich, aber mit Reserve. Nachher im Foyer wird gemoppert. Weitere Aufführungen sind für den 20. Januar, den 4., 6., 11. und 23. Februar, den 14. März und den 8. April 2018 angesetzt.

Reznicek, Benzin, Stadttheater Bielefeld. Otten, Monteiro. Foto: © Bettina Stöß.
Für Menschen, die die Anreise nach Bielefeld scheuen, gibt es seit November 2017 im verdienstvollen cpo-Label eine 2 CDs umfassende Aufnahme von Benzin in der Chemnitzer Besetzung.
Emil Nikolaus von Reznicek: Benzin. R: Cordula Däuper, ML: Gregor Rot, D: Melanie Kreuter, Jacek Laszczkowski u.a. Bielefeld, Stadttheater, P: 13. Januar 2018. 1¾h o. P.