Heike Makatsch liest Tucholskys Schloss Gripsholm
"Ja, damals, damals warst du glücklich."
Heike Makatsch liest Tucholskys Sommergeschichte Schloss Gripsholm und ihre laszive Melancholie macht sich gut.
Das ist eine Liebesgeschichte, die mir schon immer sehr gefallen hat. Eine „Liebesgeschichte … lieber Meister, wie denken Sie sich das? In der heutigen Zeit Liebe? Lieben Sie? Wer liebt denn heute noch? Dann schon lieber eine kleine Sommergeschichte.“ So sei es denn: eine Sommergeschichte.
Der Ich-Erzähler Kurt („Daddy“) und seine Geliebte Lydia („die Prinzessin“) verbringen einen langen Sommerurlaub in Schweden, mieten sich dort einen Anbau auf Schloss Gripsholm bei Mariefred an den Mälaren, unweit Stockholms. Da kann man Schlossbesucher erschrecken, auf der Wiese liegen und mit der Seele baumeln, und auch nachts findet sich was. Lydias Freundin Billie kommt zu Besuch – „Das ist mal ein nettes Mädchen: lustig; verspielt; ernst, wenn sie will“ – und mit ihr und Lydia erfüllt sich der Erzähler die älteste Männerphantasie einer eifersuchtsfreien Ménage à trois.
Gegen die heiter-verspielt erzählte, erotisch gespannte Idylle tritt das Unheil an: „Da war die Zeit. Wir hatten geglaubt, der Zeit entrinnen zu können. Man kann das nicht, sie kommt nach. […] Man denkt oft, die Liebe sei stärker als die Zeit. Aber immer ist die Zeit stärker als die Liebe.“ In der 1931 veröffentlichten Erzählung gelingt es noch, ein kleines Mädchen aus einem nahegelegenden Kinderheim zu befreien, in dem eine deutsche Vorsteherin die Kinder mit schwarzer Pädagogik und totalitärem Regiment quält. Dazu braucht es einige Briefe, Telefonate und etwas mitfühlende Entschlossenheit des Trios. Im Leben wird das zwei Jahre später nicht mehr reichen. Und der Autor nimmt sich 1935 im schwedischen Exil das Leben.
Heike Makatsch hat vor Jahren schon die Rolle der Lydia gespielt, in „Gripsholm“, einem Film von Xavier Koller, in dem Motive der Erzählung und der Biographie Tucholskys vermengt werden. Jetzt liest sie die Erzählung und sie macht das gut. Die bodenständige rheinische Laszivität ihrer Stimme hat die rechte unsentimental-kecke Melancholie für diesen Text. Und – was kein leichtes ist – ihr gelingt es, die für die Dialoge so wichtigen Passagen in „missingsch“, vielleicht was hölzern, aber charmant zu sprechen: „Missingsch ist das, was herauskommt, wenn ein Plattdeutscher Hochdeutsch sprechen will. Er krabbelt auf der glatt gebohnerten Treppe der deutschen Grammatik empor und rutscht alle Nase lang wieder in sein geliebtes Platt zurück.“
Anfangs war ich etwas irritiert, dass diese sehr männliche Sommerphantasie von einer Frau gesprochen wird. Das bringt das Gefüge der Erzählung ein wenig aus dem Gleichgewicht. Aber es funktioniert – und Tucholsky hätte das gefallen.
Der wiederum liegt begraben in Mariefred, dort wohin er sich sein kurzes Glück eines Sommers phantasiert hatte: „Und kurzes Glück: es ist wohl kein andres denkbar hienieden“.
Kurt Tucholsky: Schloß Gripsholm. Eine Sommergeschichte. Gelesen von Heike Makatsch. Zürich: Diogenes Hörbuch, 2007. 259 min. 4 CD