Wilhelm Morgner und die Moderne im LWL-Museum Münster
Das Genie der westfälischen Avantgarde
Noch bis 6. März 2016 zeigt das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster eine sehr sehenswerte Ausstellung zum Werk des Soester Avantgardisten Wilhelm Morgner (1891–1917) im Kontext der Moderne.
Wilhelm Morgner, Einzug in Jerusalem, 1912. Lizenz: PD-Art. Quelle: Wikimedia Commons.
Das ist eine sehr bittere Geschichte. 1907 setzt der 16-jährige Wilhelm Morgner in der westfälischen Provinz, in Soest geboren und aufgewachsen, seinen etwas eigenwilligen Kopf durch, er will Künstler zu werden. Einige kurze Monate wird Wilhelm an der privaten Malschule von Georg Tappert in den Grundlagen unterwiesen, zuerst in Worpswede, später in Berlin, aber im Wesentlichen ist er als Autodidakt unterwegs.
Er nimmt sich Liebermann und Van Gogh zum Vorbild (Rembrandt auch, sagt er selber), später Marc, Kandinsky, Jawlensky, Pechstein, Munch und produziert in wenigen Jahren ein atemberaubend vielgestaltiges und umfangreiches Werk: Um die 250 Gemälde, fast 2.000 Zeichnungen sowie knapp 70 Schnitte, Lithographien, Radierungen.
Wilhelm Morgner, Frau mit brauner Schubkarre, 1911, LWL-MKuK. Foto: Sabine Ahlbrand-Dornseif.
Seine Arbeiten finden in den Avantgarde-Kreisen rasch einige Anerkennung. Die Zeitschrift „Der Sturm“ druckt Holzschnitte von ihm ab, „Die Aktion“ bringt Zeichnungen.
In Gruppenausstellungen des Blauen Reiters, der Neuen Secession in Berlin, der Galerie Sturm, und der Berliner Juryfreien Ausstellung sind Werke von ihm zu sehen. Und als 1912 der Sonderbund in Köln den ersten Versuch einer Gesamtschau auf die Kunst der Moderne einzurichten unternimmt, ist Morgner mit einem Gemälde vor Ort, Lehmarbeiter (1911).
Wilhelm Morgner, Mutter und Kind auf grünem Grund, 1911, LWL-MKuK. Foto: Sabine Ahlbrand-Dornseif. „Sehr talentvoll und noch etwas jugendlich – aber alles gut (oder fast alles)“ befindet Kandinsky, „interessante Sachen“ sagt Marc, nur etwas störe ihn, „die vor allem für sein Alter fabelhafte Geschicklichkeit“ Morgners.
1913 glaubt Morgner, die Zeit des lernenden Experimentierens sei vorbei, an seinen Lehrer und Förderer Georg Tappert schreibt er:
Ich glaube, ich stehe jetzt am Anfang meiner ganzen Malerei.
Im gleichen Jahr noch geht Morgner als Einjährig-„Freiwilliger“ zum Militär, keine Malerei mehr, Zeichnungen noch, auch als Militärzeichner. 1914 wird er an die Westfront verfrachtet, später an die Ostfront, dann auf den Balkan und wieder an die Westfront. Im August 1917 wird Morgner bei Langemark getötet, da ist er gerade 26 Jahre alt.
Wilhelm Morgner in Münster
Wilhelm Morgner, Strickende weißhaarige Frau, 1909, LWL-MKuK. Foto: Sabine Ahlbrand- Dornseif. 50 Gemälde Morgners, rund 80 graphische Arbeiten und – auch sehr spannend zu sehen – 11 Druckstöcke hat das LWL-Museum in Münster für diese Schau zusammen gestellt. Die meisten sind aus eigenen Beständen und aus dem Morgner-Museum in Soest herbei geschafft, den beiden umfangreichsten Sammlungen von Werken des Künstlers.
Sie dokumentieren die rastlose Suche des jungen Morgner nach dem eigenen Ausdruck, von postimpressionistischen Landschaftsdarstellungen und Genreszenen aus dem bäuerlichen Umfeld, über pointillistische Experimente, expressionistische Druckgraphik und scharf konturierender, flächiger, fast comicartiger Malerei, bis hin zu ornamentalen und abstrakten Kompositionen.
Die heute wohl faszinierendsten Arbeiten enstehen – fast möchte man angesichts des Umfangs und der stilistischen Vielfalt von Morgners Werk sagen, in den mittleren Jahren, aber bei ihm muss man ja eher von den mittleren Monaten sprechen – entstehen also 1911/12: Gegenständliche Malerei und Graphik radikal vereinfachter Formensprache, Licht und Schatten werden zu Farbflächen reduziert, die Illusion räumlicher Tiefe wird gebrochen, das Subjekt und sein Raum in scharfen Konturen dynamisiert. Man hat diesen Arbeiten mitunter eine Verwandtschaft mit der späteren Bildsprache Keith Harings attestiert, nun ja.
Wilhelm Morgner, Zwei Männer, 1912, LWL-MKuK. Foto: Hanna Neander.
Im Kontext der Moderne
Die Münsteraner Ausstellung setzt Morgners Werk in Dialog mit rund 30 Arbeiten von Vorbildern und Zeitgenossen, je einzwei Stücke von Millet, Liebermann, Van Gogh, Munch, Jawlensky, Kandinsky, Kollwitz, Nolde, Münter, Nauen, Marc, Pechstein, Meidner, Kokoschka und Arp sind u.a. vor Ort. Die sind meist sehr gut ausgewählt und erlauben den vergleichenden Blick auf Morgners Versuch, durch künstlerische Mimesis zu einem eigenständigen ästhetischen Vokabular zu finden.
Wilhelm Morgner, Astrale Komposition XVIII, 1912, LWL-MKuK. Foto: Sabine Ahlbrand-Dornseif. Da hätte es ruhig auch ein wenig mehr sein können. Sehr gerne hätte ich einige von Kandinskys frühen Improvisationen neben Morgners Astralen Kompositionen gesehen.
Und spektakulär wäre es gewesen, neben Morgners Kreuzabnahme (1912) gleich Munchs Amor und Psyche (1907) zu hängen, aber das Stück ist derzeit in Amsterdam (Munch : Van Gogh). Ich weiß nicht, wann genau in 1912 Morgner seine Kreuzabnahme malt, aber eigentlich kann das nur sein, nachdem er Munch in der Kölner Sonderbundausstellung gesehen hat. Morgner simuliert im Übrigen einige Coolness, als er die Kölner Munch-Auswahl sieht, „enttäuscht“ sei er, müsse sich das aber noch „mal näher“ anschauen.
Die sehr sehenswerte Morgner-Schau im LWL-Museum schließt mit einem kurzen Verweis auf die spätere Verfolgung der Kunst Morgners. 1937 beschlagnahmen die Nazis 77 seiner Werke als „entartete Kunst“ (darunter auch die Kreuzabnahme), bei manchen ist der Verbleib bis heute nicht aufgeklärt.
Katalog
Wilhelm Morgner, Ornamentale Komposition VI, 1912, LWL-MKuK. Foto: Hanna Neander. Der Katalog zur Ausstellung ist im Wienand Verlag erschienen, umfasst 256 Seiten, kostet 29 Euro und geht für den Preis gerade noch in Ordnung. Die Abbildungen sind ok, eine Auswahlbibliographie und eine kleine Chronologie sind dabei. Unter den vier Essays gibt es eine überaus lesenswerte, vergleichende Studie der Kuratorin und Morgner-Expertin Andrea Witte, die dessen Arbeit im Kontext der zeitgenössischen Moderne untersucht.
Erläuterungen zu den einzelnen Werken fehlen aber im Katalogteil und etwas Lektorat hätte für die Textteile auch nicht geschadet. Das hätte vielleicht einige Ungeschicklichkeiten vermeiden helfen können, so etwa eine sehr missverständliche Formulierung, die nahe legt, der konservative Kunstmaler Carl Vinnen hätte 1911 den Ankauf eines Van-Gogh-Bildes durch die Kunsthalle Bremen gerechtfertigt, was die Vorgänge im damaligen „Bremer Kunststreit“ durchaus auf den Kopf stellt.
Links
- Weitere Informationen zur Ausstellung auf den Seiten des LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster.
- Kai Eric Schwichtenberg war wie üblich vor mir vor Ort und schreibt in seinen „Retrospektiven“ gänzlich begeistert über die Morgner-Ausstellung.
- Nicht weniger hingerissen äußert sich Christiane Vielhaber im Deutschlandfunk: „überzeugend“, „unglaublich und seiner Zeit voraus“, „eine Würdigung dieses Künstlers als ganz toller Maler, Zeichner, Graphiker“.
Wilhelm Morgner und die Moderne. K: Tanja Pirsig-Marshall, Andrea Witte. Münster, LWL-Museum für Kunst und Kultur, 13. November 2015 – 6. März 2016.