Constantin Meunier im Museum der Schönen Künste Brüssel
Heilige, Helden und Menschen
Die Brüsseler Musées royaux des Beaux-Arts zeigen noch bis 11. Januar 2015 rund 150 Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen des belgischen Realisten Constantin Meunier (1831-1905). Sehenswert.
Constantin Meunier, L’enlèvement du creuset brisé, 1884/1885.
Es ist das erste Mal – nach einer umfassenden Retrospektive 1909 in Leuven – dass eine Ausstellung den Überblick über das Gesamtwerk des belgischen Malers und Bildhauers Constantin Meunier ermöglicht.
Der sammelt einige Berühmtheit und internationale Anerkennung erst spät in seiner Karriere ein, etwa ab Mitte der 1880er Jahre. Damals ist es seine sozial-engagierte Malerei von Sujets aus der Montanindustrie sowie Plastiken von Helden der Arbeit, die ihn am Markt durchsetzen – auch in Deutschland findet Meunier seinerzeit Käufer und Bewunderer.
Im Groben chronologisch sortiert, im Detail nach Motivgruppen zusammen gestellt, erlaubt die gegenwärtige Sonderausstellung einen Blick auf die Entwicklung des sozialdemokratischen Meisters – unter Einschluss seines Frühwerks.
Von Courbet zu Zurbarán
Der junge Constantin, 1831 hineingeboren in durchaus prekäre Verhältnisse im Brüsseler Vorort Etterbeek, wird 1845 mit 14 Jahren in der Akademie aufgenommen, lernt Bildhauerei u.a. bei Charles Auguste Fraikin, einem heute eher langweilenden Neoklassizisten.
Gelangweilt hat sich auch Meunier, jedenfalls lässt er die Bildhauerei nach sechs Jahren beiseite, will jetzt malen, da müsse man nicht immer die ewig gleichen Darstellungen der Justizia aus dem Stein hauen. Schuld daran ist die Begegnung mit der neueren französischen Malerei, den Realisten Jean-François Millet und vor allen Gustave Courbet, für die sich Meunier begeistert.
Constantin Meunier, Saint Étienne, 1867.
Der Maler Meunier widmet sich in den 50er und 60er Jahren der Historienmalerei und noch mehr der religiösen Malerei. Die besten Sachen haben viel von der Magie eines Francisco de Zurbarán. Ich weiß nicht, ob Meunier Arbeiten des spanischen Barockmeisters kennt, aber der Trick ist derselbe: Anschlussfähigkeit der Spiritualität ans Alltagserleben herzustellen, durch das präzise, fast naturalistische Detail.
Aus Kortrijk ist die Beerdigung eines Trappisten in Brüssel zu Gast (L’Enterrement d’un trappiste, 1860). Aus Gent und Antwerpen sind zwei Fassungen von Meuniers Heiligen Stephanus angereist (Saint Étienne, 1866/67). Ein zeitgenössischer Kritiker befindet seinerzeit, dass sie kaum für die Ausstattung einer Kirche taugen, zu realistisch sei der Leichnam des Gesteinigten in die düstere Landschaft gelegt.
Der sozialdemokratische Meister
Ende der 1870er Jahre orientiert sich Meunier wieder neu. Er entdeckt die Arbeitswelt und die Welt der Arbeiter als Sujet für sich – und er fängt wenig später wieder an mit der Bildhauerei: Hafenarbeiter in Antwerpen, Feldarbeiter in Flandern, Arbeiter in der wallonischen Eisen- und Stahlindustrie.
Constantin Meunier, La Coulée de l’acier à Seraing, um 1880.
In manchen Stücken erinnert das an die ein oder andere Entgleisung des späteren sozialistischen Realismus, die man vor Besuch dieser Ausstellung aus dem Gedächtnis schmeißen sollte, um der Leistung Meuniers gerecht zu werden. Den Romancier und Kunstkritiker Eugène Demolder allerdings hat es damals vor Begeisterung beinahe aus der Kurve getragen:
So verherrlicht Meunier die gegenwärtigen Proletarier, indem er sie gleichzeitig als erniedrigt und voller Energie darstellt. Er lässt uns den Fluch spüren, der das gemeine Volk unterdrückt, die Resignation des Arbeiters, das Leid der Massen. In all seinen Bergarbeitern und Puddlern erkennen wir den Sklaven. Aber diesen Sklaven gibt er die Schönheit von Gladiatoren.
Constantin Meunier, Puddleur en repos, 1887.In den besten Stücken werden Elend und Würde des Proletariats zu Zeiten der industriellen Revolution auf sehr unmittelbare, berührende Weise in Szene gesetzt: Es sind keine Sklaven, keine Gladiatoren, es sind Menschen (L’Hécatombe de l’Agrappe, o.J.; Le Grisou – femme retrouvant son fils parmi les morts, 1888-1890; Femme du peuple, 1893).
Die klug zusammen gestellte Ausstellung – vornehmlich aus eigenen Beständen und Einzelwerken aus anderen belgischen Museen und Privatsammlungen – zeigt dabei Verbindungslinien auf, die sich durch das Gesamtwerk Meuniers ziehen lassen: Von der Darstellung des gemeinen Volks in der Historienmalerei des Frühwerks (Épisode de la guerre de Vendée, 1872) bis hin zur Mobilisierung religiöser Bildgestaltung für die Arbeiterdarstellungen des Spätwerks (Triptyque de la mine, um 1900).
Constantin Meunier, Triptyque de la mine, um 1900.
Der Katalog zur Ausstellung kostet 39 Euro, umfasst 320 Seiten, enthält mitunter etwas klein geratene und in Sachen Farbtreue nicht immer überzeugende Abbildungen der Werke Meuniers, aber auch verständige Essays, einen biographischen Abriss und eine etwas knappe Auswahlbibliographie. Er ist naturgemäß wahlweise in französischer und flämischer Sprache erhältlich.
Das Musée Meunier
Constantin Meunier, Puddleur, um 1894.Wenn noch was Zeit ist, lohnt sich der Weg in die Südstadt Brüssels. In Ixelles findet man das Musée Meunier. Nach seinem Durchbruch auf dem Kunstmarkt lässt sich Meunier in der Abteistraße ab 1899 ein Stadthäuschen hinbauen. Fünf Jahre, bis zu seinem Tod 1905, wohnt und arbeitet er hier, seit 1939 ist es als Museum eingerichtet. Für die Zeit der Retrospektive sind die Bestände naturgemäß geplündert, der Besuch lohnt aber trotzdem – und der Eintritt ist frei.
Im Haupthaus hängt u.a. eine alternative Fassung von Le creuset brisé und auf dem Kaminsims ist die großartige Büste des Puddlers abgestellt. Im Hinterhaus, in der Bildhauerwerkstatt sind Großskulpturen und Malereien ausgestellt, die es nicht in die Sonderausstellung geschafft haben, was aber keinesfalls an ihrer Qualität liegt.
Musée Meunier, Bildhauerwerkstatt.
Constantin Meunier. K: Francisca Vandepitte. Bruxelles, Musées royaux des Beaux-Arts. 20. September 2014 – 11. Januar 2015.