Kultur-Shutdown in NRW
Ora et labora
Die Coronaschutzverordnung des Landes NRW verfügt die Schließung aller Theater- und Opernhäuser, Museen und Ausstellungshallen in NRW zum 2. November 2020. Arbeiten und Beten bleibt erlaubt.

Fotomontage unter Verwendung von Illustration 2019-nCoV-CDC-23312, Ill.: CDC/ Alissa Eckert, MS; Dan Higgins, MAM, Quelle: Wikimedia Commons / Albrecht Dürer, Betende Hände, Quelle: Wikimedia Commons.
Das hat schon eine etwas mönchische, vielleicht auch protestantische Dimension. Soweit irgend machbar, sollen die Menschen in NRW ungesäumt weiter arbeiten, aber auch konsumieren, um den wirtschaftlichen Schaden der seuchenpolizeilichen Maßnahmen gegen SARS-CoV-2 möglichst gering zu halten. Zudem sind „Gottesdienste und andere Versammlungen zur Religionsausübung“ unter Beachtung der üblichen seuchenhygienischen Vorgaben weiterhin möglich. Was darüber ist, das ist vom Übel.
Der Beschluss
Der Beschluss der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 28. Oktober regt „zur Vermeidung einer akuten nationalen Gesundheitsnotlage“ an, dass „Institutionen und Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzuordnen sind“, geschlossen werden sollen. Dazu gehören, so der Beschluss:
a. Theater, Opern, Konzerthäuser, und ähnliche Einrichtungen,
b. Messen, Kinos, Freizeitparks und Anbieter von Freizeitaktivitäten (drinnen und draußen), Spielhallen, Spielbanken, Wettannahmestellen und ähnliche Einrichtungen,
c. Prostitutionsstätten, Bordelle und ähnliche Einrichtungen […].
Die Auflistung ist in mehrfacher Hinsicht verblüffend.
Natürlich können sich Theater-, Opern- und Konzerthäuser (so ist es wohl etwas stimmiger formuliert) mit Recht beleidigt zeigen, dass sie umstandslos mit Spielhallen, Wettannahmestellen und Bordellen in einen Topf der Freizeitaktivitätseinrichtungen versenkt werden – wg. Kulturnation und so.
Andererseits ist in der etwas überspezifischen Aufzählung „Theater, Opern, Konzerthäuser“ usw. eine bemerkenswerte Fehlstelle enthalten: Es fehlen die Museen, Kunst- und Ausstellungshallen.
Das kann man wahlweise einer unterstellten Kulturferne der besagten Chefinnen und Chefs zuschreiben oder aber als Indiz dafür nehmen, dass möglicherweise kurzzeitig unklar war, ob nicht Museen, Kunst- und Ausstellungshallen dem Sektor Bildung zuzuordnen wären. Dann wäre ja wie für Schulen, Hochschulen, Bibliotheken und für „weitere außerschulische Bildungsangebote“ eine weitere Betriebserlaubnis möglich gewesen.
Die Verordnung
Etwaige Hoffnungen, Museen könnten als Bildungseinrichtungen von der Schließung ausgenommen sein, macht die – für NRW dann bindende – NRW-CoronaSchVO in der Fassung vom 30. Oktober zunichte.
Diese „Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2“ des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen ordnet mit Wirkung zum 2. November 2020 an (§8 „Kultur“ Abs. 1):
Konzerte und Aufführungen in Theatern, Opern- und Konzerthäusern, Kinos und anderen öffentlichen oder privaten (Kultur-)Einrichtungen sowie der Betrieb von Museen, Kunstausstellungen, Galerien, Schlössern, Burgen, Gedenkstätten und ähnlichen Einrichtungen sind bis zum 30. November 2020 unzulässig.
Für Freunde eines etwas abseitigen Humors ist im Übrigen der §8 Abs. 2 der CoronaSchVO-NRW einschlägig. Der bestimmt, dass der „Betrieb von Autokinos, Autotheatern und ähnlichen Einrichtungen zulässig“ ist, „wenn der Abstand zwischen den Fahrzeugen mindestens 1,5 Meter beträgt.“ Immerhin, für den Schutz vor Neuinfizierungen von Automobilen ist gesorgt. Ich musste dabei etwas rätseln, was ein „Autotheater“ wohl sein mag, vom Autotheater Bonn hatte ich bislang nichts gehört.
Die Stellungnahme
In einer Stellungnahme haben Vertreter*innen deutscher Kunstmuseen die Schließungsanordnung als „symbolische Geste“ kritisiert und an die Verantwortlichen appelliert, die Entscheidung zu überdenken. Museen gehören, so die Stellungnahme, „schon aufgrund der ohnehin vorhandenen Sicherheitsstandards zu den sichersten öffentlichen Orten“. Museen seien öffentliche Bildungsorte: „Gerade in diesen Tagen sollten sie unterstützt und gestärkt werden, statt sie erneut in ihrer Rolle und in ihrem Funktionieren zu beeinträchtigen.“
Zu den Unterzeichnenden gehören u.a. die Intendantin der Bundeskunsthalle in Bonn, die Geschäftsführerin der Langen Foundation in Neuss sowie die Direktoren des Kunstmuseum Bonn, des Museum Folkwang in Essen und des Museum Kunstpalast in Düsseldorf.
Den naheliegenden Seitenhieb auf die Einsortierung in eine Kategorie mit Spielhallen, Wettannahmestellen und Bordellen spart sich die Stellungnahme. Sie verweist hingegen darauf, dass es unverständlich sei, „warum es möglich ist, Baumärkte, Autohäuser und andere Geschäfte offen zu halten, Museen aber […] geschlossen werden“.
Baumärkte werden wohl in kulturhistorischen und alltagsgeschichtlichen Arbeiten zur Pandemie eine ebenso prominente Rolle einnehmen wie das eingangs notorische Klopapier.
Summa
Jetzt wäre es kaum nachvollziehbar, wenn Intendantinnen und Direktoren von Museen und Ausstellungshallen sich nicht gegen die Schließung ihrer Institute aussprechen würden. Ein Gleiches gilt natürlich für die Intendanten und Geschäftsführerinnen von Theater- und Opernhäusern. Und ihre Argumente sind überzeugend: Es gibt plausible Sicherheitskonzepte, aber keinerlei Hinweise darauf, dass diese Einrichtungen bevorzugte Orte von Superspreader-Events wären (oder auch nur von minor spreading events).
Allerdings, bei aller Sympathie für und Solidarität mit den Kultureinrichtung und den dort Beschäftigten: Darum geht es nicht, auch nicht um Symbolik, genausowenig wie um Geringschätzung der Bedeutung von Bühnen und Museen für die Gesellschaft (wobei ich mir da bei den Chefinnen und Chefs nicht ganz sicher bin).
Die kulturellen Freizeitaktivitätseinrichtungen wären zu recht erneut beleidigt, würde man bestreiten, dass sie wichtige Orte des Diskurses und der Diskussion, der Begegnung und des – das schlimme Wort – Kontakts sind. Das beste Sicherheitskonzept endet dabei vor der Tür.
Ich verabrede mich nicht mit „haushaltsfremden“ Kontakten zum Besuch des Baumarkts, um mich danach intensiv über das gesehene auszutauschen (ich mag nicht ausschließen, dass es entsprechende Subkulturen gibt). Und ich fahre nicht von Bonn nach Düsseldorf mit dem ÖPV, weil im Düsseldorfer Autohaus eine spannende Inszenierung der Boliden zu sehen ist.
Dass durch den Shutdown wesentliche Orte der bürgerlichen Selbstverständigung (zumal im Medium des Ästhetischen) geschlossen werden, ist völlig unerträglich, aber wohl „alternativlos“. Das Theater kann was erzählen von tragischen Alternativlosigkeiten. Es gibt keine Handlungsmöglichkeit, die die Handelnden schuldlos bleiben lässt, und keine Möglichkeit des Nichthandelns. Ich möchte nicht in den Schuhen derjenigen stehen, die derzeit über Timing oder Reichweite eines circuit breaker entscheiden und die Abwägungen zwischen Museen und Baumärkten, Theatern und Bordellen oder Gottesdiensten treffen müssen.
In der Wikipedia lese ich, dass „ora et labora“ durch „Deus adest sine mora“ ergänzt wird: Bete und arbeite – Gott steht dir ungesäumt bei. Wohl deshalb. Es wird ein sehr trostloser November werden.
Nachtrag, 1. Dezember 2020: Die Coronaschutzverordnung NRW in der Fassung vom 30. November 2020 verlängert die Schließung der Kultureinrichtungen in NRW, jetzt ohne zeitliche Befristung im diesbezüglichen §8 („Kultur“). Allerdings regelt der abschließende §19 ein Außerkrafttreten der Verordnung insgesamt „mit Ablauf des 20. Dezember 2020“. Es wird ein sehr trostloser Winter werden.