Uraufführung von James MacMillans Clemency in London
Besuch bei den Abrahams
Gastfreundschaft, Vergeltung und Milde sind die Themen von James MacMillans sehr spannender Kammeroper Clemency, die jetzt auf der kleinen Bühne des Linbury Studio Theatre am Covent Garden uraufgeführt wurde. Das Stück nach alttestamentarischer Vorlage hat vor allem eine Schwäche: Es ist mit nur fünfzig Minuten deutlich zu kurz geraten.
James MacMillan – 1959 geboren in Kilwinning, Schottland – ist einer der profiliertesten Gegenwartskomponisten Großbritanniens. Vor allem seine Kirchenmusik hat ihm einige Aufmerksamkeit verschafft, MacMillan ist Laienpriester der Dominikaner und hat auch schon eine Messe für Papst Ratzinger geschrieben. Clemency ist die erste einer Reihe von Kammeropern, die das Royal Opera House in den nächsten Jahren in Auftrag geben wird.
Das Stück (Libretto von Michael Symmons Roberts) ist nicht eigentlich eine Dramatisierung, sondern eher eine Impression oder ein musikalisches Gemälde der Erscheinung des Herrn bei den Eichen von Mamre, dem Besuch der drei Gottgesandten bei Sarah und Abraham (Genesis 18).
Kleines Geld, goldener Rahmen
Letztere, ein in die Jahre gekommenes Paar, leben in einer etwas heruntergekommenem Unterkunft, in Wahrheit einer Ruine: eine Küche und ein Zimmer sehen wir, ein Olivenbaum hat sich durch das Fenster geschlagen, die Wände verlieren den letzten Putz, die Einrichtung stammt vielleicht aus den sechziger Jahren, manches scheint noch älter. Die ganze, von Alex Eales als ärmliche Behausung eingerichtete Bühne ist aber wie ein dreiflügeliges Altarbild in Gold gerahmt, es scheint sich also Bedeutsames zu ereignen bei den Abrahams.
Zunächst aber zählt Abraham (Grant Doyle) sein kleines Geld, das er wohl mit der Ausschlachtung von Elektroschrott verdient, nebenan macht Sarah (Janis Kelly) das Essen fertig. Eine Szene, die Katie Mitchell – Mitchell hat wie schon bei zwei früheren Opern MacMillans die Regie übernommen, Arbeiten von ihr sind auch bereits in der Rheinprovinz am Schauspiel Köln zu sehen gewesen (Wunschkonzert) – eine Szene also, die Mitchell in aller Ruhe ausspielen lässt, ohne Musik, man hört nur etwas Vogelzwitschern, bis dann Abraham einen gebetsartigen Gesang anhebt, ganz für sich. Das ist ein sehr konzentrierter, intensiver Einstieg, sehr Kammerspiel, kaum Oper.
Sarah bringt das Essen und die beiden essen und fragen sich, „was mag das Maß unserer Jahre sein?“ und wissen die Antwort: „Unser schweigendes Einverständnis“. Eigentlich könnte es so bleiben und das wäre sicher besser für die beiden, aber dann gäbe es ja keinen Goldrahmen und auch keine Oper. Also treten die drei Gesandten Gottes auf, von Abraham mit grenzenloser Gastfreundschaft aufgenommen.
Staub und Asche
Die drei etwas undurchsichtigen Gesellen sind Botschafter eines Gottes, der so ist, wie Götter waren, bevor das Christentum der Moderne sie weichgespült hat: unberechenbar, launisch, ungeduldig, strafend, zum Fürchten. Der Job der drei, neben der Verkündigung eines Nachkommens der neunzigjährigen Sarah, ist eine Strafaktion gegen die sündhaften Städte Sodom und Gomorrha, die hier aber keinen Namen tragen, einfach als die Zwillingsstädte am See bezeichnet werden. Die Sünde, deren man sich schuldig gemacht hat – soviel Gegenwart muss sein – ist nicht sexuelle Libertinage, sondern die Habgier: „Sie geben den Armen ein paar Münzen / Verkaufen ihnen dann weder Fleisch noch Brot / Und sie warten auf ihren Hungertod / Und holen ihr Geld von den Leichen“. Nunja, irgendwann muss mal jemand eine Oper schreiben, bei der das Fingerzeigen in Sachen Turbo-Kapitalismus nicht selbstgerecht in nur eine Richtung geht.
MacMillans weitgehend tonaler Soundtrack verbindet dabei Elemente homophoner und polyphoner christlicher Kirchenmusik mit melodischen Fragmenten aus nahöstlichen Traditionen und vereint das Ganze mit Formen, die der Musik der klassischen Moderne entlehnt sind. Das macht eine sehr spannende und kurzweilige Mischung, der ich gerne länger gelauscht hätte, zumal das Streichorchester der Britten Sinfonia (Clark Rundell dirigiert) daraus fast schon zu schöne Momente zieht.
Besonders eine der besten Szenen der Genesis, wenn Abraham („Vergib mir, ich bin nur Staub und Asche“) seinem Herrn eine Lektion in Sachen Milde und Gnade erteilt und ihm das Zugeständnis abtrotzt, dass die Bewohner der Städte um fünf Gerechte verschont werden sollen, kürzt MacMillan doch ein wenig zu gründlich zusammen. So ist der Abend nach nur fünfzig Minuten ganz unnötig schnell schon wieder vorbei.
James MacMillan / Michael Symmons Roberts: Clemency. R: Katie Mitchell. ML: Clark Rundell. D: Janis Kelly, Grant Doyle u.a. London, Linbury Studio Theatre, UA: 6. Mai 2011. 50 min. o. P.