Berliner Bühne im Dezember 2008
Zurück aus der derzeit doch etwas kühlen preußischen Residenzstadt (die dem Vernehmen nach in naher Zukunft sogar ein Schloss bekommen soll), folgendes über das dortige Theaterwesen.
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Jürgen Gosch inszeniert Tschechows Möwe mit dem DT an der Volksbühne
Bestes Theater. Tschechows bittere Komödie über die Schwierigkeit, den oder die Richtige zu lieben, über die Unmöglichkeit, das richtige Leben zu leben im falschen, und auch darüber, dass die Kunst einem in diesem Hinblick nicht wirklich weiter helfen kann, wird mit hervorragendem Schauspiel ins zeitlos, sehr gegenwärtig Gültige gebracht (renovierungs- und asbestbedingt zunächst aus dem Deutschen Theater ausgelagert an den Rosa-Luxemburg-Platz). V. a. Corinna Harfouch als ebenso selbstische wie verwundbare Theaterdiva Arkadina fand ich schwer beeindruckend.
Anton Tschechow: Die Möwe. R: Jürgen Gosch. D: Corinna Harfouch, Jirka Zett, Christian Grashof, Kathleen Morgeneyer, Alexander Khuon. Berlin, Volksbühne, P: 20.12.2008.
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Jan Bosse macht einen Hölderlinabend mit Sophokles‘ Antigone
Gelehrtes Theater. Nach dem Bürgerkrieg, Kleider verstreut im Bühnen- und Zuschauerraum, unter den Kleiderbergen die Toten, tote Soldaten, die den hier stummen Chor bilden. Starke Bilder. Hölderlins Nachdichtung von Sophokles Antigone, angefüttert mit Passagen aus dessen Briefroman Hyperion, die dem Polyneikes (der sonst, weil tot, wenig Text hat) Stimme geben (und Sebastian Rudolph eine starke Rolle). Natürlich ist es völlig unmöglich, pausenlose zwei Stunden Hölderlins Sprache zu folgen, deshalb ist mir auch völlig unklar, was Bosse sagen will, aber das macht er sehr eindrucksvoll.
Sophokles/Hölderlin: Antigone/Hyperion. R: Jan Bosse. D: Anja Schneider, Sebastian Rudolph, Ronald Kukulies. Berlin, Maxim-Gorki-Theater, P: 18.12.2008. 2h o.P.
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Claus Peymann inszeniert Wedekinds Frühlings Erwachen am Berliner Ensemble
Antiquarisches Theater. Das wilhelminische Pubertätsdrama (Uraufführung 1906) um die bösen Folgen jugendlicher sexueller Unaufgeklärtheit und repressiver Erwachsenenmoral wird am Schiffbauerdamm routiniert als historisches Schauspiel auf die Bühne gebracht, sogar in historisierenden (schwarz-weißen) Kostümen (mit Ausnahme der nuttigen Ilse, die als Vertreterin des so ganz anderen Lebens in rotem Gegenwartsfummel auftreten darf). Jede Szene der Textvorlage wird ausgespielt, was erstaunlich kurzweilig ist: Ich habe mich keine Minute gelangweilt. Anderseits demonstriert diese Art der Inszenierung die hoffnungslose Antiquiertheit des Stücks. Dabei gäben die jüngsten Kinderunruhen in Griechenland, Schweden und sonstwo genug Anlass, über eine gegenwärtige „Kindertragödie“ (so der Untertitel von Wedekinds Stück) nachzudenken.
Frank Wedekind: Frühlings Erwachen. Eine Kindertragödie. R: Claus Peymann. D: Sabin Tambrea, Anna Graenzer, Lukas Rüppel. Berlin, Berliner Ensemble, P: 06.12.2008, 3h m. 1 P.
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Mauro Bigonzetti lässt an der Staatsoper den Caravaggio tanzen
In der Pause gegangen. Die Musik „nach Claudio Monteverdi“ klänge erheblich besser wenn sie von Moretti nicht neoromantisch aufgekitscht wäre. Die Gruppenszenen waren sehr nah an dem, was zu meinen fürchterlichsten Kindheitserinnerungen gehört: das Fernsehballett im Samstagsabendfamilienfernsehen Ende der 70er Jahre. Ein lyrischer Pas de deux, der wirklich sehr hübsch war, wurde versaut durch aggressives Husten des weihnachtlichen Publikums (in der Rheinprovinz würden diese Störer von ihren Nebenleuten sofort zum Schweigen gebracht werden – nein, nicht wirklich). Was das alles mit Caravaggio zu schaffen hat, weiß ich auch nicht: Am Ende des ersten Aktes öffnet sich die Bühne zu einem Bilderrahmen, vielleicht spielt der in der zweiten Hälfte eine Rolle, aber da war ich ja nicht mehr dabei.
Caravaggio. Tanzstück von Mauro Bigonzetti. Musik von Bruno Moretti nach Claudio Monteverdi. C: Mauro Bigonzetti. ML: Paul Connelly. D: Michael Banzhaf, Polina Semionova. Berlin, Staatsoper, UA: 07.12.2008, 2h m. 1 P.